In einem gemeinsamen Brief appelliert die KUPF OÖ gemeinsam mit allen anderen Landesorganisationen der freien Kulturarbeit und ihrem Dachverband, der IG Kultur Österreich, an die Österreichische Bundesregierung: Setzen Sie die bisher nur angekündigte Unterstützung für gemeinnützige Organisationen endlich rasch und unbürokratisch um. Die Zahl der zahlungsunfähigen Kulturvereine steigt von Tag zu Tag. Lassen Sie es nicht zu, dass eine beispiellose Konkurswelle Österreichs Kulturlandschaft erschüttern und nachhaltig schädigen wird.
Sehr geehrte Damen und Herren der Österreichischen Bundesregierung!
Die Bewältigung der COVID-19 Krise stellt uns alle vor herausfordernde Zeiten. Erste Erfolge konnten durch das Zusammenwirken aller bereits erreicht werden – auch der Kulturbereich hat seinen Beitrag zum Erfolg der Maßnahmen geleistet.
Tausende Kultureinrichtungen und -vereine haben ihre Tätigkeit über Nacht eingestellt. Der Kunst- und Kultursektor war unter den ersten von der Krise betroffenen und wird – nach derzeitigem Stand – zu den letzten zählen, die wieder zur Normalität zurückkehren können.
Seit Wochen wird in Gesprächen, Hearings und Pressekonferenzen immer wieder vermittelt, dass die Vielfalt des künstlerischen und kulturellen Schaffens als systemrelevant für die Entwicklung von Gesellschaft und Demokratie angesehen wird. Der Intention folgend „Niemand wird zurückgelassen“ wurden seit Beginn der Krise zahlreiche Überbrückungshilfen realisiert. Doch während andere Branchen bereits wieder aufsperren können, warten gemeinnützige Kunst- und Kulturvereine auf die angekündigte „Soforthilfe“ bis heute, zwei Monate nach Start der Maßnahmen, vergeblich.
Ohne Unterstützung in Form schneller und unbürokratisch Hilfszahlungen, droht dieses Fundament des österreichischen Kunst- und Kulturlebens zu kollabieren.
Über 9.000 Veranstaltungen mussten bis Ende Juni alleine in diesem Segment des Kultursektors abgesagt werden, über 3.000 Beschäftigte – Mitarbeiter*innen, Künstler*innen, technische Teams, etc. – sind davon betroffen, wie eine Umfrage der IG Kultur Österreich und der Landesorganisationen der freien Kulturarbeit gezeigt hat. Die Veranstaltungstätigkeit ist auf Zwangspause gesetzt, die fortlaufenden Fixkosten zum Erhalt der kulturellen Infrastruktur sind es nicht, auch nicht bei gemeinnützigen Vereinen. Diese sind aus allen beschlossenen Hilfsmaßnahmen bislang ausgeschlossen. Über die Hälfte aller Kulturvereine ist ab Mai nur mehr beschränkt zahlungsfähig, jedem vierten Kulturverein droht die Zahlungsunfähigkeit. Ab Juni droht bereits jeder dritte Kulturverein dauerhaft zusperren zu müssen.
Die Uhr tickt also: Die Zahl der zahlungsunfähigen Kulturvereine steigt von Tag zu Tag. Wenn die Bundesregierung die angekündigten Hilfsmaßnahmen nicht rasch umsetzt, wird eine für die zweite Republik beispiellose Konkurswelle Österreichs Kulturlandschaft erschüttern und nachhaltig beschädigen.
Es droht ein irreparabler Schaden: Denn es ist diese Vielzahl klein-strukturierter, lokal verankerter Kulturvereinen, die kulturelle Nahversorgung bieten, neuen Kunstschaffenden wichtige erste Auftritts-, Präsentations- und Experimentiermöglichkeiten ermöglichen, Partner und Auftraggeber für Künstler*innen sind und damit auch deren zukünftig Einkommensmöglichkeiten sichern; sowie Räume der gesellschaftlichen Teilhabe und Partizipation am Diskurs öffnen.
Die Bundesregierung hat ein umfassendes Veranstaltungsverbot erlassen, das die Kulturvereine in ihrer Existenz bedroht, nun muss sie sich auch um die Schadensbegrenzung kümmern. Es ist die Aufgabe der Bundesregierung, ihre bisher nur angekündigte Unterstützung für gemeinnützige Organisationen endlich rasch und unbürokratisch umzusetzen.
Wir appellieren daher dringend an Sie, ihr Versprechen an die österreichische Kulturszene endlich in die Tat umzusetzen.
Im Namen der IG Kultur Österreich und den Landesorganisationen der freien Kulturarbeit, den Interessenvertretungen autonomer Kulturinitiativen.
Präsentation der OÖ-Ergebnisse der österreichweiten Datenerhebung von IG Kultur und KUPF OÖ: Zahlen – Fakten – Konsequenzen – Maßnahmen
Von 19. bis 29. März 2020 führte die Kulturplattform Oberösterreich (KUPF OÖ) gemeinsam mit der IG Kultur Österreich eine bundesweite Datenerhebungdurch. Ziel war, erstmals konkrete Aussagen über das Ausmaß der entstandenen Einnahmenausfälle und des drohenden Gesamtschadens für die freie Kunst- und Kulturszene treffen zu können.
Diese ist seit Einsetzen des Veranstaltungs- und Versammlungsverbots besonders gefährdet. Bereits vor der Corona-Krise war die Finanzlage in Oberösterreichs Kulturszene extrem angespannt: Rücklagen sind kaum vorhanden, MitarbeiterInnen unterbezahlt, Investitionen in die Infrastruktur sind schon lange nicht mehr möglich, einige Vereine sind sogar verschuldet. Das einst stolze Kulturland OÖ gilt heute als Sorgenkind der österreichischen Kulturszene.
Angesichts dieser Ausgangslage sind die Folgen der Corona-Maßnahmen – so wichtig und notwendig sie sind – für diesen Sektor umso drastischer: Während in den öffentlichen Kultureinrichtungen die Eigenmittel oft nur 10–20% ausmachen, müssen viele gemeinnützige Träger 50–80% ihres Umsatzes selbst erwirtschaften, sind finanziell also ungleich stärker von dem Veranstaltungsverbot betroffen. Die wegbrechenden Einnahmen stammen dabei nicht nur aus dem Verkauf von Eintrittskarten, viele Vereine sind in Folge der Sparkurse der öffentlichen Hand auch auf Einnahmen aus gastronomischen Betrieben angewiesen. Und jeder Euro, der bei den Kulturbetrieben nicht ankommt, ist ein Euro, der bei MitarbeiterInnen, KünstlerInnen, Veranstaltungsfirmen und noch vielen anderen Branchen fehlt, die stark von der Kulturindustrie abhängen.
In einer virtuellen Pressekonferenz am 2. April präsentierte die KUPF OÖ nun die oberösterreichischen Ergebnisse der Datenerhebung und die daraus abgeleiteten Schlussfolgerungen und Forderungen.
Ergebnisse der Datenerhebung für OÖ
Details zur Auswertung: Zielgruppe: Gemeinnützige Kulturinitiativen mit Sitz in OÖ, die Mitglieder der KUPF OÖ sind Ausgefüllte Fragebögen: 74 Grundmenge: 158 Rücklaufquote: 47% Erhebungszeitraum: 19.03.2020–29.03.2020 (10 Tage) Datenauswertung: Absolute Werte wurden auf Grundmenge hochgerechnet
Ergebnisse:
Von Beginn des teilweisen Veranstaltungsverbots bis zum vorläufig mit 13. April festgesetzten Ende des vollständigen Versammlungsverbots schätzen Oberösterreichs Kulturvereine den entstandenen Schaden vorerst auf mindestens 930.000 € ein.
In dieser Zeit mussten 1.044 Veranstaltungen und Projekte abgesagt werden, weitere 414 wurden auf einen späteren Zeitpunkt verschoben.
Von den Folgen des Veranstaltungsverbots sind bei den Mitgliedern der KUPF OÖ die Arbeitsplätze von 350 ArbeitnehmerInnen sowie die Lebensgrundlage von mehr als 710 freien Werkvertrags-nehmerInnen bedroht. 30 Angestellte wurden bereits gekündigt, oder stehen kurz vor der Kündigung.
Wenn das Veranstaltungsverbot bis Ende Juli gilt, dann sind 50% aller Kulturvereine zahlungsunfähig oder von der Zahlungsunfähigkeit bedroht.
Je länger das Veranstaltungsverbot gilt, desto höher wird der finanzielle Schaden: Bis Ende Juli summiert sich der befürchtete Schaden auf bereits 2,7 Mio. €.
Sollte das Veranstaltungsverbot bis Ende Juli gelten, so werden in Summe mehr als 5.000 Kulturveranstaltungen ausfallen.
Von den bisherigen angekündigten Maßnahmen können Kulturvereine nur in geringem Umfang profitieren:
38% würden von einem Erlass der Mietkosten profitieren. 19% können oder wollen Kurzarbeit nutzen. 16% erhoffen sich Erleichterung durch eine Herabsetzung der AKM Gebühren. 9% würden von einer Herabsetzung oder Stundung der Sozialversicherungsbeiträge profitieren. 9% würden von einer Herabsetzung oder Stundung von Steuervorauszahlungen profitieren. 43% halten keine der Maßnahmen für relevant oder notwendig.
Sowohl im Erhebungszeitraum als auch während der Auswertung war noch nicht geklärt, wie und in welcher Höhe Kulturvereine vom Härtefonds der Bundesregierung profitieren können.
Allgemein betonte der Großteil der Befragten die Schwierigkeit der Bezifferung des Schadens aufgrund großer Unsicherheiten und nicht gegebener Planbarkeiten wegen der ausbleibenden verbindlichen Entscheidungen der politischen EntscheidungsträgerInnen.
Schlussfolgerungen und Forderungen der KUPF OÖ
Was ist nun zu tun?
Aus diesen Zahlen und Fakten sowie den zahlreichen Beratungsgesprächen und Rückmeldungen leiten sich aus Sicht der KUPF OÖ folgende Schlussfolgerungen und nötige Maßnahmen ab:
(Bund) Härtefonds Es braucht endlich Kriterien für die Inanspruchnahme des von der WKO verwalteten Härtefonds, auf die sich die Bundesregierung bis heute nicht einigen konnte. Auch die Kulturvereine sind auf rasche Hilfszahlungen angewiesen und brauchen Planungssicherheit. Mindestens muss der Fonds alle durch die Maßnahmen entstandenen Kosten abdecken. Vorkehrungen zur unbürokratischen Deckung von bereits getätigten Vorleistungen für Veranstaltungen ab 14. April bis Sommer – zur Gewährleistung der Planbarkeit von zukünftigen Veranstaltungen (siehe Punkt 2) sind wichtig.
(Bund) Bessere Planbarkeit, mehr Sicherheit Niemand rechnet damit, dass nach dem aktuellen Ende des Veranstaltungsverbots am 14. April bereits Kulturveranstaltungen stattfinden können. Der Bund sollte das Veranstaltungsverbot realistisch bewertet so lange wie notwendig erlassen. Die aktuelle wochenweise Verlängerung führt nicht nur zur zusätzlichen Verunsicherung der Veranstaltungsbetriebe, sie verunmöglicht Planung, Vorbereitung und verantwortungsvolles Agieren im Sinne der Wirtschaftlichkeit.
(Bund) Erweiterung der Kurzarbeit auf Geringfügige Aktuell sind geringfügige ArbeitnehmerInnenvon der Kurzarbeit ausgeschlossen. Gerade im gemeinnützigen Kulturbereich sind allerdings viele ArbeitnehmerInnen nur geringfügig beschäftigt, besonders in Bereichen wie Publikumsservice, Kassa- und Bardienst oder Reinigungsbereich. Eine Erweiterung auf geringfügige DienstnehmerInnen würde wohl nur geringe Mehrkosten verursachen und gleichzeitig eine wichtige Hilfestellung für den Kulturbetrieb bedeuten.
(Land OÖ) Kultur-Konjunkturpaket OÖ Das Land OÖ hat gerade ein Konjunkturpaket angekündigt, um Oberösterreichs Wirtschaft nach der Corona-Krise wieder anzukurbeln. Die KUPF OÖ betont, dass darin auch der Kulturbereich mit den notwendigen Mitteln bedacht werden muss. Konkret schlägt die KUPF zumindest folgende Maßnahmen eines Kultur-Konjunkturpakets vor:
Kulturhärtefonds OÖ Dort, wo andere Maßnahmen wie Kurzarbeit und der Bundeshilfsfonds nicht greifen, muss das Land OÖ seine eigenen Kulturvereine unterstützen und die Einnahmenentgänge abfedern. Das Ziel ist einfach formuliert: Kein Kulturverein darf in die Insolvenz schlittern oder gezwungen sein, sich zu verschulden (so dies überhaupt möglich ist, viele Vereine erhalten mangels Bonität keine oder nur geringe Kredite). Die notwendige Dotierung ist aktuell schwer abzuschätzen.
Arbeitsstipendien Um die Kulturszene kurz- und mittelfristig aus der Schockstarre zu holen und wieder arbeitsfähig zu machen, fordert die KUPF OÖ die rasche Einrichtung von Arbeitsstipendien für KünstlerInnen, KulturvermittlerInnen und KulturarbeiterInnen in und für Oberösterreich im zweiten Quartal. Vergleichbare Programme wurden vor wenigen Tagen für Salzburg und Wien angekündigt; essentiell ist dabei der Fokus auf Prozessorientierung, das heißt z. B. Projektentwicklung, Lesungs-, Ausstellungs- und Veranstaltungskonzeption bzw. -vorbereitung.
Neustart des Innovationstopfes Der letzte Innovationstopf des Landes OÖ wurde 2016 ausgeschrieben, danach fiel das Programm der Kürzungspolitik zum Opfer. Die KUPF schlägt vor, so rasch wie möglich einen mit 1 Mio. € dotierten Kultur-Innovationstopf für die Zeit nach Aufhebung des Veranstaltungsverbots auszuschreiben und stellt sich für die professionelle Abwicklung zur Verfügung. Ziel soll sein, neue Programme und Ideen zu entwickeln, um so einerseits das verunsicherte Publikum anzulocken und andererseits den drastischen Einschnitt in die Kunst- und Kulturszene produktiv zu nutzen. Wie hat sich Kunst und Kultur verändert? Wie kann/muss sie nach COVID-19 (neu) gedacht werden?
Bauliche/Hygiene-Maßnahmen fördern Sollte es notwendig sein, die Social Distancing Maßnahmen längerfristig aufrecht zu erhalten, ist dies besonders in vielen kleinen Kultureinrichtungen nur schwer ohne Umbauten möglich. Auch braucht es mehr Geld für die Verbesserung von sanitären Anlagen sowie den Ankauf von Desinfektionsmitteln.
(Land OÖ) Neustart in der Kulturförderung Die KUPF OÖ beklagt seit Jahren die mangelnde Finanzierung im Bereich der gemeinnützigen Kunst- und Kulturinitiativen und der zeitgenössischen Kunstszene. Es braucht mehr denn je eine Verdoppelung des jährigen Förderbudgets von etwa 5 Mio. € auf 10 Mio. €.
(Land OÖ) Informationspolitik Bis dato gibt es keine Informationen für Kulturvereine und Kulturschaffende auf der Website des Landes OÖ zu den Auswirkungen der Corona-Epidemie auf den Kulturbereich. Hier braucht es eine bessere Informationspolitik und rechtsverbindliche Auskünfte besonders zu bereits öffentlich getätigten Zusagen wie die Kulanz bei der Förderabrechnung, der Verzicht auf Ratenzahlungen oder die raschere Abarbeitung offener Förderanträge.
Zusammenfassung
In einem Monat ist Oberösterreichs Kulturvereinen – u. a. durch die Absage oder Verschiebung von 1.500 Veranstaltungen und Projekten – ein Schaden von fast 1 Mio. € entstanden. Bis Ende Juli summiert sich der befürchtete Schaden bereits auf fast 3 Mio. € und 5.000 entfallende Kulturveranstaltungen. Akut bedroht sind Arbeitsplatz und Lebensgrundlage von über 1.000 ArbeitnehmerInnen und WerkvertragsnehmerInnen. Wenn das Veranstaltungsverbot bis Ende Juli gilt, dann sind etwa 50% aller oberösterreichischen Kulturvereine zahlungsunfähig oder von der Zahlungsunfähigkeit bedroht. Die bisher angekündigten Maßnahmen reichen nicht aus, wie die Auswertung der österreichweiten Datenerhebung zur Lage der Kulturinitiativen zeigt. Die KUPF OÖ fordert weitere Hilfen von Bund und Land Oberösterreich und startet die Aktion #drüberretten.
Die Maßnahmen der Bundesregierung gegen die Verbreitung von COVID-19 wirken sich stark auf die freie Kunst- und Kulturszene und ihre Einrichtungen aus.
Immer noch ist völlig unklar, ob und – wenn ja – wie lange das Versammlungs- und Veranstaltungsverbot verlängert wird, wie die verschiedenen Hilfsmaßnahmen für Kulturvereine auf Bundesebene aussehen und wann sie endlich wie umgesetzt werden. Von Planbarkeit und Arbeitsfähigkeit kann nicht die Rede sein. Die Situation für Kulturarbeiter*innen ist nach wie vor bedrohlich.
Gemeinsam mit der IG Kultur startet die KUPF OÖ also eine Datenerhebung zur Lage der Kulturarbeiter*innen um die Konsequenzen der COVID-19-Maßnahmen auf unsere Mitglieder und unabhängige Kultureinrichtungen und -initiativen zu erfassen.
Dies soll eine erste Grundlage bilden, um monetäre Hilfsmittel bemessen zu können.
Wir bitten vor allem unsere Mitglieder um Teilnahme AB SOFORT und bis 26. 3. – Je mehr Vereine hier Auskunft geben (auch dann, wenn die Maßnahmen keine negativen Konsequenzen für euch haben), umso aussagekräftiger sind die Datenund umso eindringlicher und gezielter können wir hier politische Lösungen einfordern.
Viele von euch haben schon Vorverkaufskarten für eine kommende Kulturveranstaltung zu Hause. Ausnahmslos alle Kulturveranstalter*innen in Österreich stehen allerdings gerade wegen des Veranstaltungsverbots finanziell mit dem Rücken zur Wand.
Daher bitten wir euch: Fordert das Geld nicht zurück, wenn ihr aktuell darauf verzichten könnt. Mit diesem Beitrag helft ihr den vielen engagierten Kulturarbeiter*innen, ob aus der Freien Szene, einer öffentlichen Einrichtung oder auch für private Veranstalter*innen, die kommenden Wochen und Monate etwas besser zu überstehen. Denn die Fixkosten (Mieten, Personal, etc.) laufen ja weiterhin. Viele der Veranstalter*innen wollen die ausgefallenen Konzerte ohnedies nachholen, manche werden auch von sich aus die gekauften Karten zurückerstatten. Aber wie gesagt: Wenn ihr es euch leisten könnt, ist jetzt der richtige Zeitpunkt mit den vielen tausenden Menschen im Kulturbetrieb solidarisch zu sein.
Die Kampagne darf natürlich gern geteilt werden! Wir haben euch auch ein ZIP Paket mit den Grafiken zusammengestellt.
Vielen Dank! Bussis, Eure Kulturplattform Oberösterreich
Katharina Serles: Zunächst ganz allgemein gefragt: Wie gehen Aktivismus und Kunst zusammen und wie sieht dieses Verhältnis bei Social Impact genau aus? Ist da Kunst das Vermittlungsmedium für den aktivistischen Inhalt oder umgekehrt?
Isabella Herber: Bei Social Impact ist Kunst auf jeden Fall das Vermittlungsmedium für unsere Inhalte. Wir machen hauptsächlich Kunst im öffentlichen Raum, unsichtbares Theater oder performative Kunst. Dabei setzen wir auf das überraschende Moment für das Publikum – und das unterscheidet uns von reinem Aktivismus, wo es etwa eine angemeldete Demo gibt und jeder weiß, was da abgehen wird. Wir inszenieren die Überraschung bis zu einem gewissen Grad. Alles geht recht schnell eigentlich, wir verkleiden uns und stürmen Bühnen, stören Veranstaltungen. Oft merkt unser Publikum gar nicht, wenn wir da etwas aufbauen. Das ist schon Teil der Verwirrung, die gestiftet wird.
Kommen die Vorbilder für euch entsprechend aus der Kunst oder aus dem Aktivismus?
Ich würde Christoph Schlingensief als großes Vorbild nennen, der bezüglich Aktivismus und Kunst formuliert hat, dass Widerstand zu wenig ist, und dass Widersprüche hergestellt werden müssen. Ich glaube, das trifft unser Vorhaben ganz gut. Abgesehen davon finden wir natürlich das Zentrum für politische Schönheit super und Peng! und Monochrom zum Beispiel.
Wir wissen in Wirklichkeit auch nicht, wie die Welt zu retten ist.
Isabella Herber, Social Impact
Denkt ihr, dass Kunst auch noch mehr kann, als vermitteln? Also dass eine künstlerische Aktion zum Beispiel auch etwas beantworten, etwas lösen kann?
Wir glauben schon, dass Wissenschaft und Kunst eng miteinander verbunden sind und keine Gegensätze bilden. In der Kunst wird ja auch Erkenntnis erzeugt. Unser Anliegen ist entsprechend auch, Situationen zu erschaffen, die Reaktionen erzeugen und dann zu Erkenntnisgewinn auf beiden Seiten führen. Dabei ist uns wichtig, keine fertigen Botschaften zu vermitteln, sondern Menschen zum selbständigen Denken anzuregen. Wir wollen keine Lösungen aufzeigen. Wir wissen in Wirklichkeit auch nicht, wie die Welt zu retten ist.
Sammelt ihr die Ergebnisse? Habt ihr eine Möglichkeit, den Erkenntnisgewinn auf beiden Seiten zu dokumentieren?
Eines unserer Mitglieder, Thomas Duschlbauer, beschäftigt sich tatsächlich wissenschaftlich damit und publiziert Bücher über Aktivismus wie zum Beispiel Guerilla. Exploration, Improvisation und Kommunikation (2017) oder, gemeinsam mit Carlos Anglberger und Barbara Larcher, Die Freunde des Wohlstands. Rat und Hilfe für Menschen der Premiumklasse (2013).
Es ist spannend, dass wir plötzlich mit den absurdesten Forderungen ernst genommen werden, nur weil wir Anzüge tragen und nicht wie links-linke Gfraster aussehen.
Isabella Herber, Social Impact
Und wie kommt man an Förderungen, wenn man zwischen den Stühlen von Gesellschaftspolitik und Kunst sitzt?
Wir haben jedes Jahr weniger Förderungen bekommen. Während wir zuerst ziemlich gut gefördert waren, wurde es immer schwieriger. Wir überlegen jetzt, andere Mittel auszuprobieren, Crowdfunding zum Beispiel. Letztes Jahr reichten wir gar nicht mehr ein, bei Stadt, Land und Bund. Es ist schwierig. Wie wir genau weitermachen, ob wir nächstes Jahr wieder etwas einreichen, wissen wir eigentlich nicht.
Wie geht ihr denn grundsätzlich an ein neues Projekt heran? Habt ihr zuerst eine These, die ihr dann an einer Aktion austestet?
Wir haben immer ein gesellschaftspolitisches Thema, das uns nahe geht oder das uns ärgert. Dafür konzipieren wir dann Situationen der Überzeichnung oder Übertreibung, beobachten die Reaktionen und entwickeln Projekte daraus weiter. Mit unserem Projekt Freunde des Wohlstands gelingt uns das oft am besten: Hier spielen wir die Super-Reichen, sind schön angezogen und treten für ganz merkwürdige Positionen ein. Es ist spannend, dass wir plötzlich mit den absurdesten Forderungen ernst genommen werden, nur weil wir Anzüge tragen und nicht wie links-linke Gfraster aussehen. Nicht zu glauben, welchen Sachen die Leute dann teilweise zustimmen… Am meisten mögen wir ja die, die einsteigen und mitspielen.
Wir brauchen ein bisschen Verjüngung.
Isabella Herber, Social Impact
Wie viele seid ihr und wie seid ihr alters-/geschlechtsmäßig zusammengesetzt?
Der harte Kern besteht aus etwa fünf Personen, im Ganzen sind wir bis zu 15. Wir sind ca. gleich viele Männer wie Frauen, aber insgesamt zu alt. Wir brauchen ein bisschen Verjüngung. Wir suchen immer Leute, die Lust darauf haben, sich zum Narren zu machen. Die es spannend finden, unterschiedliche Rollen einzunehmen und dabei Konventionen und Regeln auszuloten, auszudehnen, oder zu brechen.
Wie lange gibt es Social Impact?
Gegründet wurde es bereits 1997. Ich bin seit 2007 dabei.
Was hat sich seit der Gründung verändert und was habt ihr verändern können?
Es ist schwierig. Weltpolitisch hat sich noch nichts geändert durch unsere Aktionen. Wir haben mit vielen Menschen diskutiert und vielleicht manche davon zum Nachdenken gebracht, vereinzelt.
Aber immerhin wart ihr dieses Jahr beim Oberösterreichischen Umweltkongress eingeladen. Also es gibt dieses Interesse von Politik und Wissenschaft – Stichwort „Artistic Research“ -, die Kunst als Ideenbringerin und Lösungsfinderin einzubinden. Das könnte ja vielleicht hoffnungsvoll stimmen…
Das wäre schön, ja, man merkt es aber nicht recht.
Einmal positive Utopien erzeugen zu können und nicht beschimpft zu werden, war zur Abwechslung eine angenehme Erfahrung.
Isabella Herber, Social Impact
Was treibt euch dann an?
Was uns allen ziemlich gefällt, ist das unmittelbare Erleben in den von uns inszenierten Situationen. Du weißt nie genau, was passieren wird, es entstehen so viele interessante und skurrile Gespräche, Begegnungen und Situationen. Das, glaube ich, treibt uns an – und wir verstehen uns auch untereinander gut.
Kannst du eure klima-aktivistischen Projekte für den Umweltkongress skizzieren?
Das ist natürlich ein Thema, das uns immer schon interessiert, das wir aber bisher eigentlich nie richtig bearbeiten konnten. Da kam die Anfrage vom Land Oberösterreich gerade recht. Prinzipiell war es super, weil es großteils liebe, harmlose Geschichten waren, die niemanden aufregten. Einmal positive Utopien erzeugen zu können und nicht beschimpft zu werden, war zur Abwechslung eine angenehme Erfahrung. Es gab da zunächst einen mobilen Pop-Up-Garten, gestaltet von meiner 19-jährigen Tochter Lucia Herber, in den man von unten hineinklettern konnte. Eine weitere Aktion war das Escort-Service der Bäume, unser „Beschattungsunternehmen“. Dabei standen zwei als Bäume verkleidete Menschen auf dem Hauptplatz und boten ihre Dienste an, begleiteten Menschen beim Einkaufen, spendeten Schatten und ließen sich natürlich auch umarmen. Das wurde ungemein positiv angenommen. Dann haben wir einen Rollrasen auf der Landstraße verlegt, von der Mozartkreuzung bis zur Passage, und ausgestopfte Tiere aus dem Jagdmuseum Asten darauf positioniert. Damit drehten wir Universum-ähnliche Dokus über die Tiere, die sich die Stadt wieder zurück erobern. Und so fuhr der Feldhase auf der Rolltreppe im Kaufhaus hinauf oder wühlte der Bär im Stadtmüll herum. Das waren also alles sozusagen ‘positive Utopien’. Verwirrter waren die Leute von der „Shadow-Challenge“: Dafür traten zwei Gruppen gegeneinander an, mit Solarzellen ausgestattet, um auf dem Weg durch die Altstadt so wenig Sonnenlicht wie möglich abzukriegen. Einige rauften und kämpften in Folge um die Schattenplätze, was einige Zuseher*innen schon kopfschütteln weggehen ließ. Das war eine negative Utopie.
Was war bei all diesen klimabezogenen Interventionen besonders spannend für dich?
Die Shadow-Challenge war schon heftig und beängstigend. Als direkt Beteiligte hat mich dieses Kämpfen um Ressourcen noch lange nachher bewegt. Wir haben aber noch nicht alle Aktionen, die wir geplant haben, durchgeführt.
In euren Arbeiten geht es immer stark um die Entwicklung von Narrationen und Bildern. Wie ist euch das in Bezug auf die Klimakrise gelungen?
Es ist sehr schwierig, hier treffende Bilder zu erzeugen. Wir alle kennen dieses Eisbär-Bild auf der wegschmelzenden Scholle. Das ist allerdings relativ weit weg von der österreichischen Alltagssituation, was auch das Problem daran ist: Die Klimakrise ist global, schleichend und so wenig greifbar…
Die Wirtschaft wird’s schon richten.
Die Freunde des Wohlstands
Immer häufiger hört man, dass Klimapolitik auch Kapitalismuskritik sein muss, dass die Wachstumslogik als Verursacherin der Klimakrise hinterfragt und radikal verändert werden muss. Was sagen denn die Freunde des Wohlstands dazu?
Die Freunde des Wohlstands finden das natürlich total blöd. Im Gegenteil: Die Wirtschaft wird’s schon richten. Sie hat ja auch Vorteile, diese sogenannte Klimakrise, weil wir im Winter viel weniger heizen müssen! Außerdem können wir jetzt wieder viel mehr in Russland investieren, weil da so viele Gebiete abgetaut werden, die man dann für Landwirtschaft und Industrie intensiv nutzen kann. Also es ist ja nicht so, dass die nur Nachteile hat, diese sogenannte Klimakrise. Für die Freunde des Wohlstands tun sich dadurch viele neue Möglichkeiten auf.
Die Klimakrise als positive Utopie sozusagen.
Genau. Und die Natur regelt das ohnehin von selbst, oder? Es hat immer wieder Phasen gegeben, in denen sich das Klima verändert hat. Das passt schon. Man muss das halt zu nutzen wissen.
Shadow Challenge (Foto: Social Impact AG / Flightkinetic)
Garden2Go (Foto: Social Impact AG / Flightkinetic)
Beschattungsunternehmen (Foto: Social Impact AG / Flightkinetic)
> Zum Thema Klimaaktivismus und Kunst siehe auch den Artikel "Provokant beharrlich" von Valentine Auer "Provokant beharrlich".
Es wird nicht still ums #KTMgate beziehungsweise den oberösterreichischen Kulturförderungsskandal. Nach Aufdeckungsarbeit der KUPF und journalistischer Berichterstattung reagieren nun Kunst- und Kulturschaffende öffentlich. Hier herunterzuladen und nachzulesen sind das Forderungspapier der Grazer Autorinnen Autorenvereinigung, Regionalgruppe Oberösterreich sowie David WagnersOffener Brief an Landeskulturdirektor Reinhold Kräter, die uns von den Verfasser*innen freundlicherweise zur Verfügung gestellt wurden. Gemeinsamer Nenner: So lassen wir uns nicht behandeln.
1. Forderungspapier der GAV OÖ
Wir, die Regionalgruppe der Grazer Autorinnen Autorenversammlung Österreich (GAV OÖ), die größte Vereinigung von SchriftstellerInnen des Landes, werden in unserer Arbeit zusehends gehindert. Der Stellenwert der Literatur nimmt ab, unser Beruf ist mittlerweile höchst prekär. Unsere Arbeitsbedingungen haben sich in den letzten Jahren sukzessive verschlechtert. Das „Land der Möglichkeiten“ steht Literaturschaffenden nicht offen.
Liegt die Art, wie wir von der Politik behandelt werden, am Unwissen bezüglich unserer täglichen Arbeitsbedingungen, oder wird es vielmehr vorsätzlich darauf angelegt, dass freie Kulturschaffende ebenso wie engagierte Kulturinitiativen und interessiertes, aufgeschlossenes Publikum zugunsten einer massentauglichen Event-Kultur früher oder später aus diesem Land verschwinden?
Reinhard Kannonier, ehemaliger Rektor der Kunstuniversität Linz
„Architektonisch nicht schlecht, alles – auch die Ausstattung – sehr auf Dynamik ausgerichtet. In sich gut gemacht, aber mit einem Museum hat das nichts zu tun“
Im Zusammenhang mit den für das Projekt gewährten öffentlichen Geldern ist er der Ansicht: „Gegen Industrieförderungen ist nichts einzuwenden, aber keinesfalls aus dem Kulturbudget“.
Am 8. Mai 2019 stieß Landeshauptmann Stelzer den Entwicklungsprozess zum neuen Kulturleitbild an. Das kam so vorzeitig und überraschend, dass sich in der Kunst- und Kulturszene berechtigte Ängste und Fragen breit mach(t)en: Wieso jetzt? Was steckt dahinter? Was kann passieren?
Um diesen Unsicherheiten etwas Produktives entgegenzuhalten, versteht sich die Nummer 170 der KUPFzeitung so zugespitzt wie noch nie als Informationsgrundlage und Argumentationswerkzeug. Wir möchten unser Möglichstes tun, um aus dem Kulturleitbild kein Kulturleidbild zu machen.
Dafür haben wir unter anderem jene gefragt, die es (besser) wissen müssten: DiePolitik – mit LH Stelzer und LH a. D. Pühringer im exklusiven Interview. Die Wissenschaft – mit einem grundlegenden Artikel von Beate Kegler, Lehrbeauftrage am Institut für Kulturpolitik der Uni Hildesheim. Und die Kulturarbeiter*innen selbst – in seinem Leitartikel nimmt Klemens Pilsl kein Blatt vor den Mund.
Herzstück dieses Schwerpunkts ist unser Forderungskatalog. Darin benennen wir 10 konkrete Maßnahmen, die Kulturpraxis wirksam und nachhaltig unterstützen.
Die KUPFzeitung stopft jedes Sommerloch!
Es gibt einiges zu entdecken in dieser Ausgabe – fad werden soll Ihnen über den Sommer nicht: Die Künstlerin Regina Picker hat dafür etwa ein alternatives Nachschlagewerk der Heimat-Begriffe konzipiert. Die Autorin Vina Yun hat den Comic Von Unten – über Migration und Arbeit – von Daria Bogdanska, rezensiert.
Im Terminkalender für Juni bis September finden sich in der Printausgabe wieder einige Schmankerl – allen voran Festivals, Freiluftveranstaltungen und Sommercamps, sodass niemand allein daheim vor sich hin schwitzen muss.
Was ist die KUPFzeitung?
Die KUPFzeitung ist das kulturpolitische Magazin der Kulturplattform Oberösterreich. Es erscheint vier mal im Jahr als Printmagazin.
Was kostet die KUPFzeitung?
Abonnent*innen bezahlen beim Abo 19,80 EUR (inkl. 10% UST) pro Jahr für vier Ausgaben. Wohlwollende Unterstützer*innen können zudem auch ein Förder-Abo für 44,00 EUR (inkl. 10% UST) pro Jahr wählen. Das Abonnement kann jederzeit gekündigt werden, ganz unkompliziert per Formular, Email oder Telefon. Kleiner Tipp: Ein Abo ist natürlich auch ein super Geschenk!
Über das Symposium „Freie Szene – Freie Kunst. Soziale Gerechtigkeit – Fair Pay“ in Wien
Am 8. und 9. April 2019 fand im Gartenbaukino in Wien das Symposium „Freie Szene – Freie Kunst. Soziale Gerechtigkeit – Fair Pay. Konkrete Strukturen und Ideen für Wien“ statt. Auf Initiative von Veronica Kaup-Hasler, Wiener Stadträtin für Kultur und Wissenschaft, organisierten die Interessensgemeinschaften einen internationalen und interdisziplinären Austausch über Rahmenbedingungen der Kunst- und Kulturarbeit in Österreich.
Für
die KUPFzeitung saß Katharina Serles erstmals im Publikum und fasste
ihre Eindrücke von Tag 1 wie folgt zusammen:
So wichtig die Auseinandersetzung mit den eigenen Strukturen ist, so irritierend war es für mich festzustellen, wie grundsätzlich die Diskussion immer noch geführt wird. Einige Redebeiträge konnten mir nur ein verwundertes ‚ja eh!‘ oder ‚wieso nicht schon längst?‘ abringen; das Lamento über die prekären Arbeitsbedingungen der (freien) Kunst- und Kulturszene ist ein allzu bekanntes Lied, das leider ebenso oft ohne echte Konsequenzen oder Handlungsmaßnahmen verklingt.
Verantwortung der Kultur-Szene
Veronica Kaup-Hasler begrüßte mit einer angriffigen Rede, in der sie die umgreifende Maximierungslogik als eine Ursache für schlechtere Arbeitsbedingungen in der Kunst- und Kulturszene identifizierte. Ähnlich formulierte das später Yvonne Gimpel: „Dass immer mehr mit immer weniger realisiert wird, ist eine trügerische Erfolgsgeschichte.“ Die Stadträtin enthob dabei aber die Szene selbst und ihre Akteur*innen nicht jeglicher Verantwortung: Rahmenbedingungen, so Kaup-Hasler, könnten und müssten sowohl von Seiten des Staates als auch durch die eigenen Strukturen geschaffen wie verändert werden.
Begrüßung von Stadträtin Veronica Kaup-Hasler
Forderungen nach Solidarität und Repräsentation
Bojana Kunst vom Institut für Angewandte Theaterwissenschaft in Gießen bot mit ihrem Impuls den nötigen künstlerisch-theoretischen Weitblick und schaffte es, aus einem immer noch aktuellen Filmbeispiel aus den 70er Jahren neue Perspektiven abzuleiten: Ausgehend von Die allseitig reduzierte Persönlichkeit – Redupers (1978) von Helke Sander diskutierte sie, wie wir unser Verständnis von ‚Arbeit‘ radikal verändern müssen, um Kulturarbeit gleichberechtigt verorten und entlohnen zu können. Sander spielt in ihrem eigenen Film eine junge Mutter, Fotografin, Künstlerin, Feministin und Aktivistin, die zwischen all diesen Positionen und Professionen in einem Paradoxon der ‚unfreien Autonomie‘ verstrickt ist. Zu sehen ist, wie das Ideal eines emanzipierten Lebens langsam erodiert und in sein Gegenteil umschlägt. Aus dem selbstbestimmten wird ein fremdbestimmtes Leben, in dem der Alltag die eigenen (sozial-)politischen Ansprüche im Keim erstickt. Dass dieses Paradoxon heute noch gilt, wurde schnell klar. Kunst verortete das Problem aber nicht im Individuum und seiner Forderung nach einem autonomen Leben, sondern in den fehlenden Strukturen und einer Gesellschaft, die keine freien Formen zulasse. Forderungen nach mehr Geld seien also naheliegend und wichtig, zu oft vergessen würden aber Forderungen nach Solidarität – und mehr noch, nach institutioneller/struktureller Verortung und Anerkennung von autonomen Lebens- und Arbeitskonzepten.
Maßnahmen zur Verwirklichung der Utopie
Yvonne Gimpel, Geschäftsführerin der IG Kultur, fragte dann nach der „Utopie des Möglichen“: Ist gerechte Bezahlung für Kunst- und Kulturarbeit wirklich eine Utopie? Ähnlich wie später Irmgard Almer verwies sie auf die schlechte Datenlage als Ausgangssituation für Veränderungen: Best Practice Beispiele gäbe es kaum, wenig davon sei auf Österreich übertragbar. Für Österreich gäbe es erst seit einem halbem Jahr eine Studie zu Kulturarbeiter*innen/-vermittler*innen, die nichts wirklich Neues enthalte: Kultur-Arbeit ist meist ein Zusatzgeschäft neben anderen Brotjobs und in atypischen Beschäftigungssituationen; das führt zu lücken- oder fehlerhaften Absicherungen bei Krankheit, Erwerbslosigkeit, oder im Alter; und Frauen haben es dabei noch prekärer als Männer. Kurz: Von der Kunst leben zu wollen, heißt die Kunst des Überlebens (schmerzvoll) zu lernen. Die internationalen Rahmenbedingungen sehen ähnlich düster aus: In allen westeuropäischen Staaten haben sich die Kulturbudgets seit der Finanzkrise nicht erholt, stattdessen stagnieren oder sinken sie. Als Antwort darauf, als Weg aus der Utopie zum Möglichen, skizzierte sie folgende konkrete Schritte:
Kunst-/Kulturproduktion ist aus ihrem auratischen Nimbus beziehungsweise aus der Degradierung zum Hobby herauszuholen. Kunst und Kultur ist Arbeit, die materiell entlohnt werden muss. Erst wenn man sich als Arbeiter*in begreift, kann man Forderungen formulieren.
Schlechte Bedingungen dürfen nicht akzeptiert werden, sie sind nicht naturgegeben.
Es braucht mehr und stärkeren kollektiven Widerstand, sowie neue Allianzen.
Verbindliche Mindeststandards für professionelle Kunst- und Kulturarbeit sind essentiell; gerade auch dort, wo die öffentliche Hand fördert.
Es braucht Kostenwahrheit in Förderanträgen sowie Transparenz und Nachvollziehbarkeit in Förderabwicklungen.
Die Output-Orientierung in Förderinstrumentarien muss in den Hintergrund geraten; Exzellenz und Vielfalt brauchen einen geschützten Nährboden.
Es geht um mehr Geld. Für die Budget-Verhandlungen muss eine Faktenbasis geschaffen werden.
Um diesen Paradigmenwechsel für die freie Szene anzustoßen, regte Gimpel an, einen Kulturentwicklungsplan gemeinsam mit der Szene, ihren Akteur*innen und ihren Interessensvertretungen zu erarbeiten, also konkrete Rahmenbedingungen, Prioritäten, Ziele und Zielgruppen festzulegen, sowie einen Plan zur regelmäßigen Selbst-Evaluierung zu entwickeln.
Top-Down und Bottom-Up
Irmgard Almer, Geschäftsführerin der IG Kultur Wien, lieferte schließlich weitere Zahlen und Fakten, die die schlechte Situation der freien Szene als „Stiefkind der Kulturförderung“ untermauerten. So gäbe es in Wien keinen eigenen Fördertopf für Kulturinitiativen, die entsprechend auf atypische Arbeitsverhältnisse und Ehrenamt angewiesen seien. Obwohl diese einen wichtigen Beitrag zur sozialen und kulturellen Nahversorgung leisten, seien sie Stadt/Land/Bund nicht das entsprechende Geld wert.
Die weiteren Redebeiträge aus der Praxis bestätigten meinen Eindruck: Im neoliberalen Umfeld wird ‚frei‘ zu ‚flexibel‘, ‚selbstoptimiert‘ und ‚vereinzelt‘. Um von außen einen politischen Kulturwandel einzufordern und ihn auch von innen zu erreichen, braucht es Zusammenschlüsse, gemeinsame Visionen und Strukturen. Top-Down und Bottom-Up gleichzeitig also, das wird viel Arbeit – und auch wenn die angekündigten ‚konkreten Strukturen und Ideen‘ am ersten Tag nicht immer deutlich wurden, die Notwendigkeit und der Wille dafür sind immerhin da.