Die IG Freie Theaterarbeit hat heute folgenden offenen Brief veröffentlicht, den die KUPF OÖ vollinhaltlich unterstützt:
Jetzt handeln: Stabile Bedingungen für die freie Szene schaffen
Sehr geehrter Herr Vizekanzler Mag. Werner Kogler,
sehr geehrte Frau Staatssekretärin Mag. Andrea Mayer,
sehr geehrte Frau Landeshauptfrau Mag. Johanna Mikl-Leitner
sehr geehrte Frau Stadträtin Mag. Veronica Kaup-Hasler,
sehr geehrte Frau Landesstatthalterin Dr. Barbara Schöbi-Fink,
sehr geehrte Frau Landesrätin Dr. Beate Palfrader,
sehr geehrter Herr Landeshauptmann Dr. Peter Kaiser,
sehr geehrter Herr Landeshauptmann Mag. Hans Peter Doskozil,
sehr geehrter Herr Landeshauptmann Dr. Wilfried Haslauer,
sehr geehrter Herr Landeshauptmann Mag. Thomas Stelzer,
sehr geehrter Herr Landesrat Mag. Christopher Drexler,
die am Samstag verkündeten neuen Maßnahmen zur Eindämmung der Covid 19-Pandemie treffen die Künstler*innen und Veranstalter*innen hart. Gerade erst wurde mit der Realisierung der verschobenen Projekte vom Frühjahr begonnen, die nun präsentiert werden konnten – nun kommt eine weitere Unsicherheit und Unterbrechung auf alle Beteiligten zu. Weitere Lockdowns sind nicht auszuschließen.
Dass die Künstler*innen der freien Szene flexibel und schnell mit Inhalten und Formaten reagieren können, ist ein Vorteil. Dennoch ist auch hier die Politik gefordert. Die bestehenden Förderformate entsprechen nicht den ständig neuen Herausforderungen und Bedingungen, unter denen Kunst und Kultur derzeit produziert und gezeigt werden kann.
Als wirksame Instrumente braucht es zumindest bis Ende 2021 kontinuierliche Absicherungen für die Künstler*innen, unabhängig von künstlerischen Produktionen, aber auf die Fortführung der künstlerischen Arbeitspraxis abzielend (etwa durch langfristige halbjährliche / ganzjährige Arbeitsstipendien bzw. „künstlerisches Grundgehalt“ oder „Basishonorar“)
- Förderungen für die geplanten und nun notwendigerweise abzusagenden Produktionen sollen zur Gänze – zum Zeitpunkt der Absage – anerkannt und alle vereinbarten Honorare und Gagen zur Gänze an alle Beteiligten ausbezahlt werden.
Wichtig: Die Erfahrungen aus dem ersten Lockdown dürfen sich nicht wiederholen! Es darf keine zweite Welle von einseitigen Vertragsauflösungen von Seiten der Häuser und Institutionen geben – die Künstler*innen müssen für die vereinbarten Leistungen entlohnt werden, auch wenn diese aufgrund der Pandemie nicht erbracht werden können. Eine Gleichstellung der Angestellten und freischaffenden Akteur*innen ist unbedingt anzustreben.
- Wenn Produktionen noch einmal verschoben werden müssen, sollen für den weiteren Arbeits- und Wiederaufnahmeprozess gesonderte Mittel zur Verfügung stehen. Hiermit soll das zusätzliche Arbeitsaufkommen, neue Honorare, Kommunikation, Werbung, Mieten, Corona-Testungen etc. abgedeckt werden.
- Alternative Förderformate, die auf hybride, digitale, ortsunabhängige, nicht auf Live-Publikum bedachte Produktionen und künstlerische Arbeitsprozesse abzielen, sollten schnell etabliert und auf Dauer gestellt werden. In Abstimmung mit den Akteur*innen der Szene können hier schnell passende Formate gefunden werden.
- Training von professionellen Künstler*innen muss gleichgestellt werden mit dem Training von Spitzensportler*innen – und immer möglich sein.
- Die Raum- und Arbeitsplatzsituationen gerade für freischaffenden Künstler*innen muss sichergestellt werden:
- Jetzt müssen die bestehenden Proben- und Arbeitsräume, die oft in bestehenden Koproduktions- und Kooperationshäusern für die freie Szenen existieren, unbedingt offen gehalten werden. Häuser sollen ihre Proberäume nicht schließen.
- Ergänzende Räume, die den Hygienevorschriften (Platz, Lüftungsmöglichkeiten etc.) entsprechen, sollten jetzt der Szene zur Verfügung gestellt werden und Gelder zur Anmietung solcher Räume schnell und einfach bereitgestellt werden.
- Mittelfristig müssen die vorhandenen Kapazitäten erweitert, vergrößert und verbessert werden (Stichwort: Neue, interdisziplinäre Arbeits- und Produktionshäuser, niederschwellig, groß, serviciert statt kuratiert).
- Jetzt müssen die bestehenden Proben- und Arbeitsräume, die oft in bestehenden Koproduktions- und Kooperationshäusern für die freie Szenen existieren, unbedingt offen gehalten werden. Häuser sollen ihre Proberäume nicht schließen.
- Dringend anzugehen ist ein Monitoring dieser Zeiten – und wissenschaftliche Begleitung. Was hat sich für die Künstler*innen verändert, wo sind die Häuser und Institutionen gefordert, was braucht das Publikum? Kunst- und Künstler*innenförderung soll neu gedacht werden und gleichzeitig soll aufgrund einer soliden Datenbasis die Kulturpolitik künftige Handlungsfelder wie etwa Förderprogramme, Infrastrukturen etc. neu bestimmen.
Der Europäische Dachverband der freien darstellenden Künste lanciert derzeit europaweit eine Studie bezüglich der Situation der freischaffenden darstellenden Künstler*innen; wichtig ist parallel die Erfassung der konkreten Situation auf lokaler, regionaler und nationaler Ebene.
- Die soziale und finanzielle Absicherung der Künstler*innen muss erweitert werden – künftige Sozialversicherungsmodelle für Künstler*innen und Kulturschaffende berücksichtigen einen „Artist Status“ mit einer durchgehenden Versicherungsleistung und einer entsprechenden Kranken- und Pensionsversicherung.
- Die Beratungs-, Fort- und Weiterbildungsangebote für Künstler*innen und Kunstschaffende müssen gestärkt und weiter professionalisiert werden – darunter fallen vor allem die Angebote bezüglich organisatorischer, juristischer, förderspezifischer, medialer Expertise. Die IG Freie Theaterarbeit sieht den dringenden Bedarf, das bestehende Angebot in ganz Österreich weiter auszubauen – und in direktem Feedback mit den Künstler*innen stetig zu adaptieren.
Wir sehen die wiederkehrenden Unsicherheiten gerade für den Kunst- und Veranstaltungsbetrieb auch als Chance, die gesamte Fördersystematik für diesen Sektor zu überarbeiten. Neue Förderformate, neue Ideen bezüglich neuer Arbeitsorte und einer nachhaltigen sozialen Absicherung gerade für die freischaffenden Künstler*innen und neue Weiter- und Fortbildungsangebote können nun entwickelt werden.
Trotz allen Herausforderungen gibt es genug Ideen, um über 2020 hinaus eine lebendige, stabile zeitgenössische und in die Gesellschaft wirkende freie Tanz-, Theater- und Performer*innenszene in Österreich nicht nur erhält, sondern ausbaut. Wir laden alle Kulturpolitiker*innen und Verantwortlichen ein, gemeinsam die Strukturen für Kunst und Kultur weiterzuentwickeln.