»Ich dachte, ich kotz mich gleich an«. Christian »Giro« Diabl über die Zielscheiben der politischen Aggression im Hausruck.
Die Halle ist zum Bersten voll, bierselig jubeln 800 echte Österreicher Strache, Mölzer und Haimbuchner zu. Frankenburg, 400 Jahre nach den Würfelspielen: »Sie soll nach Hause gehen«, gröhlen die Besoffenen, ein Hauch von Pogromstimmung. Ein Funke und der rechte Mob hätte wer weiß was getan. Ich war nicht dort, befreundete Journalistinnen erzählten mir vom blauen Wahlkampffinale im Wohnort Arigonas. »Ich dachte, ich kotz mich gleich an«, war der Grundtenor. Selbst hartgesottene FPÖ-Wahlkampfbeobachterinnen konnten ihr Entsetzen nicht verbergen. Ein 17jähriges Mädchen mußte als Projektionsfläche für den Hass der »Schlechtmenschen« herhalten. Die Schilderungen jenes Abends gehen mir durch den Kopf, als ich die Autobahn nach Wels verlasse und in einen Teil Ober-österreichs komme, den ich bisher nur aus dem Geschichtsunterricht kannte. 1934 wurde hier gekämpft, Schutzbündler an die Wand gestellt. Ich bin ein wenig besorgt, ob aus dem steten Nieselregen nicht doch Schnee werden könnte, da ich natürlich noch mit Sommerreifen unterwegs bin. Hügelig, rural und typisch österreichisch ist der Hausruck. Chris Müller, der Intendant des Theater Hausruck, hatte mich eingeladen, einer von vielen, die sich dem Abgrund entgegenstellen. Wir sprechen über die vergangenen zwei Jahre, die unglaubliche Dynamik und die erschreckende Dramatik, welche die Debatte um das Bleiberecht der Familie Zogaj entfaltete. Die Causa ist Kulminationspunkt einer sich ständig verschärfenden Migrations- und Asylpolitik in Österreich. An ihr lässt sich viel ablesen und doch nichts verstehen.
Wie konnte es soweit kommen? Im Herbst 2007 war Feuer am Dach, eine 15 jährige Frankenburgerin brachte ungeplant den restriktiven Konsens in der Asylpolitik ins Wanken. Zumindest für kurze Zeit. Statistiken erschrecken keinen mehr. Viele wissen, dass in Österreich gegen alle Konventionen Minderjährige in Schubhaft genommen werden, doch sorgt das kaum für Protest, weil zu abstrakt. Plötzlich aber gibt es ein Gesicht dazu, ein junges hübsches Gesicht, große »unschuldige« Augen, die der Unmenschlichkeit eines bürokratischen Systems Gestalt verleihen. Fast alle Medien waren auf der Seite der Zogajs, der Gemeinderat sprach sich einstimmig (!) für deren Verbleib aus, der Landeshauptmann ebenfalls. »Die Leute waren zum ersten Mal alle dafür, dass sie dableibt, haben gesagt: so geht´s nicht«, erinnert sich Chris Müller an die ersten Tage. Er hatte die beeindruckende Demonstration im Ort organisiert, auf der unter den argwönischen Augen der Staatspolizei auch Nationalratspräsidentin Barbara Prammer sprach. Für einen kurzen Moment schien ein Diskurs möglich, der, obwohl notwendig und alternativlos, so lange nicht vorstellbar war: Eine grundlegende tabulose Debatte über österreichische Identität, Migration und die Zukunft unserer Gesellschaft. »Anfangs haben alle das Gefühl gehabt, dass jetzt endlich eine positive Zäsur wäre, wie Hainburg oder so.« Wenige Tage später schlug das Imperium zurück. Der stark unter Druck geratene Innenminister Platter gab den Startschuss zur Wende. Am Rande einer ÖVP-Klausur am Wolfgangsee kommentierte er den Fall mit den Worten Helmut Schmidts, eines Mannes, der dem Tiroler Leichtgewicht politisch wohl nicht mal die Hand schütteln würde. »Ein Staat darf sich nicht erpressen lassen.« Ein fatales Signal an die Stammtische, die wie von der Kette gelassene Hunde über das Thema herfielen und die wenige Tage dauernde positive Grundstimmung in altbewährter Manier zerschmetterten. Was dann folgte, spricht für den erbärmlichen Zustand unserer Gesellschaft, die Diskursunfähigkeit, die diese unterentwickelte Demokratie kennzeichnet. Aus dem Mädchen wurde schlagartig eine Bedrohung für das gesamte Gemeinwesen. Datenbanken wurden angezapft, EKIS-Auszüge an die Medien gespielt, Gerüchte verbreitet. Professionell und erbarmungslos, zu groß war die Gefahr eines Stimmungsumschwunges in der Bevölkerung. Strafregisterdaten, Polizei- und Krankenakten, Protokolle der Fremdenpolizei und Informationen über Vermögensverhältnisse wurden publik. Peter Pilz spricht von einer gezielten Diffamierungskampagne. In diesem Zusammenhang wird gegen zahlreiche Beamte ermittelt, unter anderem auch gegen Platter und Pühringer. Zusätzlich zu den behördlichen Daten gerieten nach und nach Unwichtigkeiten und Lügen an die Öffentlichkeit. Das staatliche Mobbing ergänzte sich auf tragische Weise mit der Gerüchteküche der »einfachen Leute«. »Man hat irgendwie das Gefühl gehabt, es ziehen sich Schrauben zusammen und man kann nichts dagegen machen, auf einmal war es ganz unangenehm, man hat gemerkt, es passiert was im Hintergrund«, erinnert sich Chris Müller an das Ohnmachtsgefühl jener Tage. Kein einziges Gerücht, keine der zahllosen Unterstellungen hält einer Überprüfung stand. Aber das spielte längst keine Rolle mehr. Die beinharte Medienlogik hatte alle Protagonistinnen fest im Griff. Positive Energie mündete in eine Welle des Hasses, die bis heute ungebrochen anhält und die betroffenen Personen schrittweise kaputt gemacht hat. Die rechte Mehrheit hat ein Exempel statuiert. 20 Jahre restriktiver Asylpolitik standen auf dem Spiel und verlieren war nicht drin für Platter & co.
Leuchtfeuer Seitdem ist im Hausruck nichts mehr wie es war. Die Bevölkerung tief gespalten, die Unterstützerinnen Arigonas weithin angefeindet und eine Abwärtsspirale, die sich scheinbar unaufhaltsam weiterdreht. Die Grundfrage, wie das passieren konnte, wie so ein dramatischer Stimmungsumschwung möglich war, beschäftigt Chris Müller und seine Mitstreiterinnen bis heute. Einen spektakulären Versuch, sich der Thematik auf künstlerischer Ebene zu nähern, startete das Theater Hausruck im vergangenen Sommer. »A Hetz oder die letzten Tage der Menschlichkeit« heißt das Stück, das in bewährter Zusammenarbeit mit Franzobel entstand, Asyl- und Migrationspolitik thematisiert und in Form einer Theaterreise mit zahllosen Laiendarstellerinnen aus der Region umsetzt. Dynamisch, eindrucksvoll und verstörend soll es gewesen sein. »Wir wollten ein Stück über Gerüchte machen, angelehnt an diesen Fall mit der Frage »Wie konnte das umschwenken?«, das haben wir auch eingebaut.« Ich habs nicht gesehen, da ich im Sommer wie so oft unwichtigeres zu tun hatte. Als ich die Fotos durchblättere ahne ich, was ich verpasst habe. Kulisse und Umgebung, Zuschauerinnen und Darstellerinnen, Inszenierung und Realität verschwommen zu einem verstörenden Gesamtbild, das niemanden kalt ließ und so manchem die Grenzen der eigenen Belastbarkeit aufzeigte. Genese und Umsetzung des Projektes reihen sich nahtlos in die Ereigniskette der vergangenen zwei Jahre ein. Sponsoren sprangen ab, keine Unterstützung vom Land, lediglich Linz09 finanzierte das Theater geringfügig. Finanziell war die Inszenierung wie meist ein enormes Risiko. Glücklicherweise halfen einige bei der Publicity mit. Neben dem »Dauerbrenner« Arigona wurden nun auch das Theater Hausruck und Chris Müller als Person zur Zielscheibe der politischen Aggression. Zeitungsinserate prangerten die Kulturaktivistinnen als Nestbeschmutzer und »Gutmenschen im Dienste der Asylmafia« an. Das Wahlergebnis in der Region sprach dann Bände… Abends nimmt mich Chris Müller noch zum Theaterstammtisch mit und ich verlasse den Hausruck schließlich doch noch mit vorsichtigem Optimismus und der Gewissheit, dass es nach wie vor viele Menschen gibt, die den Status Quo nicht einfach so hinnehmen, den Finger in die Wunden legen und auch vor persönlichen Risiken nicht zurückschrecken. Ich hoffe, dass aus diesem immer wieder erneuerten Projekt eine dauerhafte Einrichtung wird und dass wir das Theater Hausruck bald als KUPF-Mitgliedsverein begrüssen dürfen.
Christian Diabl, Politikwissenschafter und Kulturaktivist in Linz und Wien