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Ratlosigkeit als politische Kategorie?

Die folgenden Zeilen haben keinen Sinn, keine Aussage. Sie sollen Erlebtes und meine Ratlosigkeit ausdrücken.

Ich bin gern in Berlin. So zum Beispiel diese Tage. Und immer, wenn ich in Berlin bin, verbringe ich am liebsten Zeit in Deutschlands berühmtesten Problem-Bezirk Neukölln. Sie kennen die mediale Aura: Heroin, Hartz4, Rütli-Schule. Moslems, Gangster, Problem-Kids.
Den Gangster traf ich aber nicht in Berlin, sondern am Heimweg. Via „Bobobomber“ (das Wort habe ich erfunden und steht für AirBerlin) flog ich nach Salzburg, von dort gings weiter per Zug nach Linz.

Zwischen Wels und Linz läuft mir am Gang ein schwarzer Jugendlicher entgegen, dicht gefolgt vom Schaffner. Der Schaffner erwischt den Knaben, der offenbar ohne Ticket unterwegs ist. Der Knabe im Gangsta-Outfit dreht ordentlich auf, schreit rum, der Schaffner ruft mit dem Handy die Polizei. Ich versuche, das Gesehene zu ignorieren und gehe zu meinem Platz.

Weil es mir dann doch keine Ruhe lässt und weil ich anfällig für rassistische Gutmenschen-Klischees bin (ich vorverurteile gelegentlich Uniformträger und halte schwarze Kids manchmal für potentielle Opfer) gehe ich zurück. Der Schaffner, groß und kräftig, bebt vor Wut, bemüht sich aber, ruhig zu bleiben. Da ich dem schwarzfahrenden (dirty wording, i know) Kid den Ärger mit der Polizei ersparen will, frage ich den Schaffner, ob man denn nicht noch ein Ticket nachkaufen könne. Den illegalen Passagier zum legalen machen.

Der Schaffner ist sehr erstaunt. „Warum?“ fragt er mich. Weil ich selber ein lästiger Jugendlicher war und deshalb Verständnis aufbringen möchte, sage ich, und der Schaffner verkauft mir das Ticket plus Aufschlag für den Jugendlichen. Ich fordere den nach wie vor rumschimpfenden Jugendlichen auf, endlich die Klappe zu halten, sich beim Schaffner für dessen Kulanz zu bedanken und drücke ihm sein Ticket in die Hand. Jovial-provokativ tätschelt der Jugendliche dem zornesroten Schaffner die Schulter, der zuckt zurück. Ich bugsiere den Knaben weg, er bedankt sich flüchtig bei mir und zischt ab.

Ich bin froh, die Sitiuation ausgestanden zu haben, bedanke mich beim Schaffner für sein Entgegenkommen sowie seine Contenance und halte die Sache für erledigt.

Denkste! In der Straßenbahn sehe ich den Knaben wieder, unschwer zu erkennen nicht nur an der Hautfarbe, sondern am Gangsta-BlingBling samt fake-diamond-skull-cap. Er blockiert lautstark für eine halbe Minute die Straßenbahntür, dann fährt die Bim los. Sofort stehen Kontrolleure bei ihm und fragen nach seinem Fahrausweis. Er hat diesmal ein gültiges Ticket in der Hand, beginnt aber sofort lautstark zu brüllen. Er erklärt brüllend die verschreckten Kontrolleure zu Rassisten und „Hurenkindern“, dann zeigt er sein Ticket. Er erklärt in der gefüllten Bim den Kontrolleuren unüberhörbar, wie er ihre Mütter zu ficken gedenkt und dass er sich auch vor einem Boxkampf nicht fürchte. Ich gehe wieder zu ihm, sehe im zum ersten Mal in die Augen. Es ist nüchtern, aber hochgradig aggressiv. Er erkennt mich, ich rede kurz auf ihn ein, sich zu beruhigen. Eher vergeblich. Die Kontrolleure haben Angst und steigen aus, er brüllt ihnen lautstark nach, dass er vor niemanden, aber auch wirklich niemanden Angst habe und steigt eine Station später selber aus. Eine tickende Zeitbombe.

Er hinterlässt eine mit mehrheitsösterreichischen Passagieren prall gefüllte Straßenbahn. Alle hörten starr zu, wie der Jugendliche die Kontrolleure niederbrüllte, alle hatten Angst. Der kleine Gangsta entspricht all Kronen-Zeitung-Klischees. Mangelnde Zivilcourage trifft Rassismus. Ich fremdschäme mich für den kleinen Gangsta. Ich kann sogar die Angst der anderen Passagiere verstehen. Hatte Kirsten Heisig doch recht und gutmenschliche Liberalität wie meine verstärkt die Gewaltspirale migrantischer Kids, führt letztendlich sogar zur Bestätigung und Reproduktion rassistischer Klischees? Ich bleibe ratlos zurück.