„Ist der Faschismus noch aufzuhalten?“

Der Mühlviertler Autor Richard Wall hat uns einen Gastbeitrag zugesandt, den wir an dieser Stelle veröffentlichen möchten:

„Man kann sagen, dass der Faschismus der alten Kunst zu lügen gewissermaßen eine neue Variante hinzugefügt hat – die teuflischste Variante, die man sich denken kann – nämlich: das Wahrlügen.“

– Hannah Arendt, Zur Zeit

Es sei gar nicht so einfach, meinte ich, eine Nation, einen Kontinent so weit zu bringen, dass die Bevölkerung ihre Ideen von Freiheit und zivilisatorischem Umgang aufgibt. Ich habe mich, so wie viele andere, geirrt.

Faschismus entsteht in einer Demokratie nicht von heute auf Morgen. Man muss Versuchsballone starten, die folgenden Zweck erfüllen:

Menschen mit gezielten Aussagen an etwas zu gewöhnen, von dem sie im ersten Moment noch zurückschrecken. Zweitens die Mittel dieser Manipulation – eindimensionale Erklärungsmuster – zu verfeinern, zu variieren und quantitativ zu steigern.

Diese Wühlarbeit geschieht derzeit. Man muss schon ein Narr oder Dummkopf sein, um dies nicht zu erkennen.

Ein bevorzugtes Mittel des Faschismus ist die Manipulation von Wahlen. Jeder konnte sehen, wie dies beispielsweise bei der Wahl von Trump, beim Brexit- Referendum, und in der Türkei funktionierte.

Eine weitere Strategie ist das Ansprechen atavistischer Gefühle, die Schaffung von stammesähnlichen Identitäten, die Spaltung der Gesellschaft in sich gegenseitig ausschließende Gruppen und Gruppierungen.

Der Faschismus benötigt keine Mehrheit. Er erobert sich die Macht mit weniger als 50 Prozent der Wählerstimmen. Er versucht in der Folge mit allen möglichen Mitteln, Kontrolle über das politische Geschehen zu erlangen; und er betreibt Einschüchterung, um die Macht auszubauen und schließlich zu konsolidieren.

Es macht gar nichts aus, wenn die Mehrheit diese Vorgänge ablehnt, solange rund 30 bis 40 Prozent den Prozess fanatisch unterstützen. Selbstverständlich wird der Faschismus durch eine Wirtschaftsideologie begünstigt, die all dem nichts entgegensetzt: Der Neoliberalismus ist auf seiner Seite. Die Theoretiker und Professoren Friedrich August von Hajek und Milton Friedman haben die Grundlagen geliefert, Heerscharen von Schulen wie jene der „Chicago Boys“ haben erfolgreich eine Gegenbewegung zur Sozialen Marktwirtschaft eingeleitet. Und, wir erinnern uns: „Wer aber vom Kapitalismus nicht reden will, sollte auch vom Faschismus schweigen.“1

Die Strategen des Faschismus brauchen und gebrauchen eine Propagandamaschinerie, die so effektvoll ist, dass sie für seine Anhänger und Handlanger ein ganzes Universum von „alternativen Fakten“ schafft. Diese Indoktrinierung geht permanent und aggressiv gegen ungewünschte Realitäten und Tatsachen vor. Sind Lügen einmal in die Welt gesetzt, ist es nahezu unmöglich, das Gegenteil zu beweisen. Emotionen, nicht Fakten, schaffen die Realität.

Dies alles geht in Ungarn, in Polen, in Deutschland, in der Türkei, in den USA und hierzulande bereits vor sich, wird ausgetestet, hat Erfolg.

Sobald all dies funktioniert, haarsträubende Aussagen und Anschuldigungen zur Gewohnheit werden und mit dem Frühstück zum Alltag gehören, kommt der nächste Schritt: Moralische Grenzen werden unterminiert und zu Fall gebracht. Das Volk wird daran gewöhnt, extrem grausame Handlungen zu akzeptieren. Wie eine Meute von Bluthunden muss es auf den Geschmack gebracht werden. Es muss mit Schlagwörtern unter Begleitung einer ungezügelten Frechheit soweit gebracht werden, dass es nichts Widriges mehr daran findet, sich an Brutalitäten und Grausamkeiten zu begeilen. Und schließlich zu beteiligen.

Faschismus vollzieht dies, indem er Angst und Bedrohung aufbaut, Hass schürt, Sündenböcke aufzeigt, enthumanisiert, und zum Abschuss freigibt. Sobald dies erreicht wurde, kann nach und nach an der Schraube gedreht werden, vom Türen- und Fenstereinschlagen bis zur Auslöschung der Gegner. Die Hetzjagden in Chemnitz sind ein Vorgeschmack des Kommenden.

Auch dieser Schritt wurde und wird getestet. Hierzulande, in den USA, in den meisten Ländern Europas. Linke, „Gutmenschen“, Ausländer, Roma und Sinti sind die Zielgruppen, die Punzierten. Der rechtsextreme Innenminister Italiens, Matteo Salvini, führt dies nicht nur an den Flüchtlingen und Migranten vor, sondern er schlug auch vor, die Roma registrieren zu lassen; ist dies einmal geschehen, werden sich schon Bluthunde finden: Von anonymen Tätern sei diese und jener erschlagen, erstochen, erschossen worden – wird es dann heißen.

Und getestet wurde von Trump: Lasst sehen, wie meine Fans über Babys in Käfigen reagieren.

Die Bilder von Ertrunkenen, von Kleinkindern, die von ihren Eltern getrennt sich aus Verzweiflung ihre Seelen aus dem Leib schreien, sind Test-Bilder. Faschismus bediente und bedient sich der Bilder. Und er liebte und liebt Experimente.

Die Türkis-Blaue Regierung testet und experimentiert Tag für Tag. Wir erinnern uns: Wir werden uns noch wundern, was alles möglich sein wird.2

Der allgegenwärtige rechtsextreme Wahn – auch aus den verfänglichen Ablagerungen des Netzes – sind in den Parlamenten angekommen. Rechtsextreme Parteien werden weltweit bestärkt durch eine affirmative Parallelstruktur aus Verschwörungstheorien, Desinformationskampagnen und Hass-Postings. Sie provozieren, diskriminieren und mobilisieren.

Jeden Tag wird ein Schäuferl nachgelegt. Längst hat man sich hierzulande auf die sozialen und zivilisatorischen Errungenschaften der 2. Republik eingeschossen. Auf ihre sozialen Institutionen, aber auch auf die Menschenrechte und Werte wie respektvoller Umgang mit dem Nächsten, auch wenn diese oder dieser anders aussieht und anderer Meinung ist. Zu helfen, solidarisch oder karitativ zu wirken, wird denunziert, Begriffe wie „Gutmensch“ und „links-links“ wurden getestet, sind längst Schimpfwörter geworden. Heißt, unausgesprochen, der „Schlechtmensch“ ist en vogue.

Politiker vom rechten Rand wie Udo Landbauer, Innenminister Herbert Kickl und Vizekanzler H. C. Strache betrachten (noch) das Strafrecht als einzigen Maßstab für politische Verantwortung. Dass es auch eine moralische gibt, ist Schnee von gestern. Wenn nun auch Gesetze so geändert werden, dass eine faschistische respektive nationalsozialistische Gesinnung sowie Taten, die dieser folgen, nicht mehr sanktioniert werden können – Bestrebungen gibt es in ganz Europa – , ist es aus mit einer Politik, die als Grundlage für ihre Entscheidungen die Inhalte der Deklaration der Menschenrechte anerkennt.

Die Medien, nicht nur die sogenannten sozialen – ich erlaube mir seit Jahren, diese als asozial zu bezeichnen – ziehen mit. Gratiszeitungen, der Boulevard, jedoch nicht nur dieser3, forcieren ein manichäisches Weltbild, sind ein einziger Abgrund. Millionen von US-Amerikanern und Europäern werden tagtäglich indoktriniert, „lernen“, das Undenkbare zu denken.

Der Test geht weiter, die Resultate werden analysiert, die Methoden perfektioniert, die Botschaft geschärft und zugespitzt. Taten können folgen4.

Engerwitzdorf, September 2018


1 Max Horkheimer, Die Juden in Europa

2 Das Originalzitat – „Sie werden sich noch wundern, was alles möglich ist!“ – sagt einiges aus über den Sprachgebrauch des Autors; hat er etwa keine „Deutschklasse“ besucht? – Und der derzeitige Vizekanzler meinte in einer Rede vor dem Nationalfeiertag 2016, „mittelfristig“ sei ein „Bürgerkrieg nicht unwahrscheinlich“.

3 Die Indoktrinierung von Printmedien à la OÖN, die von sich behaupten, Qualitätszeitungen zu sein, sind nicht weniger problematisch. Mit dem Anspruch der Seriosität bereiteten sie mit dem ständigen Miesmachen des Sozialstaates und ihrer tragenden Säulen den Boden auf für die FPÖ und den Rechtsruck.

4 Beispielsweise in Chemnitz. Nach der entschieden zu verurteilenden Ermordung eines Deutschen durch Afghanen, die sich in Untersuchungshaft befinden, organisierten sich Rechtsradikale zu einer Hetzjagd auf „Ausländer“ und Personen mit dunklerer Hautfarbe; diese Ausschreitungen sind dokumentiert; dennoch behauptet der Chef des deutschen Bundesamts für Verfassungsschutz (BfV), Hans-Georg Maaßen, es lägen keine Informationen vor, dass „Hetzjagden stattgefunden haben“. Ist der BfV auf einem Auge blind? Oder ist es ein Zufall, dass die rechtsextreme Terrorgruppe NSU unentdeckt morden konnte?

Bild: Monika Wall-Penz

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