Das Prestige des AMS ist, glaube ich, nicht besonders hoch. Zumindest muss ich sagen, dass sich so manches Klischee nach meinem zweiten Besuch bestätigt hat. Und ich denke nicht, dass KulturarbeiterInnen dort schlechter gestellt sind, als andere Berufsgruppen. Jedenfalls hat es mich erwischt und ich landete beim AMS. Und ehrlichgesagt, dachte ich nicht im entferntesten daran, dass diese Termine in irgendeiner Form herausragend sein könnten, obwohl ich Amtsbesuche stets kafkaesk empfinde.
Ein wertvolles Mitglied
Ich sitze also das erste Mal in einer solchen Koje. Der immergleiche Amts-Chic: Pflanzen, Poster mit weisen Sprüchen, kleine Keramik- und Plüschfiguren, Familienfotos. Die Frau Sachbearbeiterin fragt mich nach meiner Versicherungsnummer und willkommen in der Informationsgesellschaft: alle relevanten Daten tauchen vor ihr auf dem Bildschirm auf. Langsam kräuselt sich ihre Stirn, erste Sorgenfalten tauchen wegen meiner Versicherungsjahre auf. Ich soll einmal sagen, was ich die letzten Jahre so machte, wo meine Fähigkeiten liegen und was ich einmal werden will, wenn ich groß bin. Ich fange zu erzählen an und ende bei meiner Unpäßlichkeit (Krankheit), die mich das letzte halbe Jahr etwas aufgehalten hat und spreche über Kulturarbeit. Die Dame mir gegenüber zieht ein sorgenvolles Gesicht und eine Unzulänglichkeit spiegelt sich dort, die mich etwas bestürzt. Ich zweifle, ob ich für eine AMS-Tour de force schon genug Energie habe. Dann wird mir die Arbeitswelt erklärt: „…in das System einsteigen“ … „funktionieren“ … „einen 40-Stunden-Job annehmen und um 7 Uhr morgens aufstehen, das heisst das“ … „ein wertvolles Mitglied der Gesellschaft werden“ …”diese Kulturarbeit, schön und gut, aber das ist eine Negativspirale.” „Und ausserdem, Sie sind ja überhaupt nicht krankenversichert!!“ Dass ich schon öfter und länger nicht krankenversichert war, verheimliche ich der Dame; auch, dass ich in einigen ehrenamtlichen Funktionen tätig bin.
Automaten
Dann wird alles wirklich kompliziert und die AMS-Dame verlangt, dass ich zum Hausarzt gehe und mit ihm aushandle, mich noch 2 Wochen krank zuschreiben, was schwierig wird, da ich nicht versichert bin und außerdem schon längst arbeite. Die Logik erschließt sich mir nicht. Aber da mein Verwirrungsgrad einigermaßen hoch ist, mache ich was von mir verlangt wird.
Die kurze Episode beim Hausarzt am nächsten Tag ist ähnlich unerfreulich. Ich versuche ein 5 Minuten Gespräch beim Arzt bei der Sprechstundenhilfe auszumachen, was mir nicht gelingt, da sie automatisch wiederholt: „Ja, aber … Sie sind nicht versichert!“ Dann gelingt doch der Eintritt ins Arztzimmer und der Herr Doktor gibt noch eines drauf und erklärt sich mit einem Vergleich: „Wenn Sie zum Trafikanten gehen und Zigaretten kaufen, brauchen’s auch a Geld“. Er vergißt zu fragen, wie es mir geht und ob ich noch Medikamente habe. Ich gehe. Ich bin menschlich enttäuscht und ärgere mich, dass mich das so betroffen macht. Einigermaßen nervenzerstört lese ich Zweigs „Die Welt von gestern“. Gute Literatur ist wie Aspirin. Man wirft es ein, es löst sich auf und es wirkt.
Performance lernen
Der nächste AMS Termin wird von mir auf unbestimmte Zeit verschoben. Ich lese und erhole mich von der äußeren Welt. Zwei Tage später öffene ich den Postkasten und merke, dass ich tags zuvor einen verpflichtenden Termin beim AMS wahrnehmen hätte müssen. Niemand ist postalisch schneller als das AMS. Herrje. Meine mir vermittelte Unzulänglichkeit habe ich soeben bestätigt. Ich fahre also wieder die Wienerstraße entlang und bin auf meinen neuen Sachbearbeiter gespannt. Ich bin nämlich jemandem Neuen zugeteilt worden. Das AMS ist auch am Vormittag wenig besucht. Wo sind alle arbeitslosen Menschen? In irgendwelchen Kursen. Beschäftigungstherapie – wird mir auch noch blühen. Niemand wartet vor Zimmer 2. Ich trete also ein. Ein schweres Vergehen. „Wer sind denn Sie? Haben Sie überhaupt einen Termin. Das ist ja noch schöner, da können wir uns den Zettel an der Tür ja überhaupt sparen!“, entsetzt sich der Herr Sachbearbeiter. Er scheint persönlich beleidigt zu sein. Seine Unfreundlichkeit ist so groß und so selbstverständlich, dass ich beinahe lachen muss. Er telefoniert, tippt in die Tastatur, er registriert, er spricht mit einer Kollegin und immer ist da dieser pikierte Zug um seine Lippen. „Jetzt setzens Ihnen schon hin! Laufens nicht so nervös herum. Für was haben wir Sessel?“ mault er gnädig in seinem Reich. Der Dünkel ist enorm in diesen Zimmern. Es widerstrebt mir mich zu setzen, vorher will ich aufklären, warum ich hier bin. Er räumt ein, dass der Termin tatsächlich sehr kurz angesetzt war. Und ich sei im Übrigen eh versichert. Fragezeichen im Kopf. Das ist alles schrecklich langweilig. Ich unterschreibe ein Formular, mit dem ich meine Säumigkeit entschuldige. Wir schieben Daten hin-und her und streiten ein wenig, weil ich nicht schon ab 7 Uhr früh arbeiten will.
Das ist alles nur eine Performance.