Die Beschwörung der Zivilgesellschaft ist ein Ersatzstoff für politisches Handeln, meint
Franz Fend
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Der Begriff der Zivilgesellschaft hat auch schon viel mitgemacht. Begegnet er einem,wirkt er leicht abgerissen,zuweilen leicht schmuddelig,weil ihn zu viele schon in der Hand oder gar im Mund hatten. Dass sich mit der mannigfaltigen Verwendung des Begriffs durch die unterschiedlichsten Szenen,auch dessen Bedeutung einem Wandel unterlegen ist, ist müßig zu betonen. Der Begriff der Zivilgesellschaft hatte immer schon etwas Ambivalentes,aber die jüngste Geschichte seiner Verwendung trägt bizarre Züge. Wir erinnern uns,dass selbst der katholische Fundamentalist und ehemalige Parlamentspräsident Andreas aus der Zivilgesellschaft eine Bürgergesellschaft bastelte,die freilich eher volksgemeinschaftliche Züge trug und als ideologische Marschmusik zur Zerschlagung sämtlicher sozialer Sicherungssysteme diente. Aber Khol reklamierte die Zivilgesellschaft für sich und seine Zwecke. Etwa zur gleichen Zeit,als die Demonstrationen gegen die damalige schwarz-blaue Regierung ihren Höhepunkt erreichten und viele gesellschaftliche Gruppen und Milieus ihre Opposition zur neoliberal-rechts-konservativen Wende zum Ausdruck brachten,veranstaltete die IG-Kultur eine Konferenz zur Zivilgesellschaft. Als Teil dieser Opposition beanspruchte die Kulturszene,relevante zivilgesellschaftliche Akteurin zu sein.Die globalisierungskritische Bewegung wurde ebenso als zivilgesellschaftliche Kraft beschrieben. Doch ist ihre Bandbreite enorm. Sie reicht von den radikalen Protesten gegen die G8 Gipfel bis zu ultranationalistischen Ansagen eines José Bové,dessen Globalisierungskritik darin gipfelte,zu verhindern,dass angelsächsische Stiere die französischen Kühe besprängen.
Seit die extreme neue Rechte die Zivilgesellschaft und das Konzept der kulturellen Hegemonie für sich entdeckt hatten,sind ohnehin alle Dämme gebrochen und es verwundert nicht,dass hierzulande selbst die so genannte Antitemelin-Bewegung,ein von der Landesregierung finanziertes und gesteuertes Projekt,das in erste Linie anti-tschechische,revanchistische Reflexe zu mobilisieren trachtet,als zivilgesellschaftliche Einrichtung gelten darf. Die Verwirrung ist beträchtlich und der Begriff der Zivilgesellschaft riecht nicht nur komisch,sondern es dreht einen den Magen um,wenn man ihm begegnet.
WAS ZIVILGESELLSCHAFT ALLES MUSS
Ein Blick auf die Geschichte des Konzepts der Zivilgesellschaft und der kulturellen Hegemonie zeigt,dass die naive und romantische Lesart,die in den aktuellen Debatten,beispielsweise in den Szenen der initiativen Kulturarbeit,vorherrschend ist, nicht immer vorhanden war. Für Antonio Gramsci bedeutete Zivilgesellschaft einzig die Gesamtheit der nicht-staatlichen Organisationen,welche wesentlich die öffentliche Meinung bestimmen. Er zählte dazu Kirchen, Gewerkschaften,die Presse,aber auch Schulen,Vereine bis hin zur Architektur. Heute muss Zivilgesellschaft,so sie in einem bürgerlich demokratischen Kontext verhandelt wird,auch noch gewaltlos sein,die Menschenrechte respektieren,die Prinzipien der repräsentativen Demokratie anerkennen:„Gemeinhin meint Zivilgesellschaft eine Vielfalt gesellschaftlicher Gruppen,Initiativen und Bewegungen,die weitgehend unabhängig von staatlichen,parteipolitischen oder privat-wirtschaftlichen Institutionen wirken. Die Zugehörigkeit zu diesen gesellschaftlichen Gruppen ist freiwillig,die Organisationsstruktur demokratisch. Achtung der allgemeinen Menschenrechte,Toleranz gegenüber anderen Meinungen und Wertvorstellungen,Anerkennen der Grundsätze des bürgerlich-demokratischen Gesellschaftsmodells und des demokratischen Rechtsstaats gehören ebenfalls zu den zivilgesellschaftlichen Prinzipien.“Diese Definition,die Joachim Kolb vorschlug,ist auch hierzulande weit verbreitet,doch auf Gramsci lässt sich mit ihr nicht Bezug nehmen. Ausgangspunkt für dessen Überlegungen zur Zivilgesellschaft war die Frage,warum im rückständigen Russland die Revolution erfolgreich war und im wesentlich weiter entwickelten Westen so grandios scheiterte.Und hier brachte Gramsci die Zivilgesellschaft ins Spiel, nämlich als Hindernis für die Revolution. Allein das Ausbleiben der Revolutionen in Westeuropa sowie deren Niederlagen,dort wo sie stattgefunden hatten,war der Grund für die Auseinandersetzung Gramscis mit der Zivilgesellschaft,und nicht die Tatsache,dass der Zivilgesellschaft per se etwas Revolutionäres oder zumindest Fortschrittliches anhaftete. Zwischen der ökonomischen Basis und dem staatlichen Überbau,der „politischen Gesellschaft “ mit seinen Zwangsapparaten,so die heutige Lesart,stehe die Zivilgesellschaft,in welcher der Kampf um die Hegemonie,die Vorherrschaft über die Köpfe der Massen,ausgefochten wird.Gewiss, Gramsci hat das Feld der Zivilgesellschaft als wichtiges markiert, doch als den entscheidenden Schauplatz der Auseinandersetzung zwischen Fortschritt und Reaktion,wie diese in zeitgenössischen Debatten noch immer überhöht wird,hat er sie ebenfalls nicht beschrieben.Weil erstens die freiwillige Unterwerfung der Mehrheit in den kapitalistischen Staaten,dort wo die Zivilgesellschaft am weitesten entwickelt sei, wesentlich ökonomisch hergestellt wird,erst in zweiter Linie der gesellschaftliche Konsens aus dem Wirken der zivilgesellschaftlichen Akteure resultiert. Sabine Kebir, eine der bedeutendsten Gramsci-Forscherinnen im deutschsprachigen Raum,hat diesen Gedanken hervorgehoben,nicht ohne darauf hinzuweisen,dass Gramsci den ökonomischen Determinismus des vulgären Marxismus vehement bekämpfte.
MIT ZWANG GEPANZERT
Vielmehr beschrieb Gramsci in seiner These vom „integralen Staat “das Streben des Staates,die Zivilgesellschaft zu integrieren.„Im konkreten Leben sind politische und Zivilgesellschaft ein und die selbe Sache “,notierte Gramsci in diesem Zusammenhang. Die Zivilgesellschaft wird in diesem Prozess vom Feld der Auseinandersetzung um Hegemonie zu einem Werkzeug zur Herstellung von Hegemonie,die,wie Gramsci ebenfalls anmerkte,stets mit Zwang gepanzert sei. Der integrale Staat unterläge,so die These von Gramsci,stets einer doppelten Bestimmtheit von Zwang und Konsens,von Diktatur und Hegemonie. Die Überlegenheit der herrschenden Eliten manifestiere sich immer als „Herrschaft “und als „Intellektuelle und moralische Führung.“Gramsci ging es also um die Revolution und um die Analyse dessen,was sie vorantriebe und behindere,dazu gehörte nun auch die Zivilgesellschaft. Heute hierzulande von der Revolution zu
schwärmen wäre naiv und romantisch.Die Hegemonie der herrschenden Eliten ist besser aufgestellt denn je,der
Repressionsapparat effizienter denn je und die Zivilgesellschaft ein Surrogat von politischem Handeln und daher eine nette Dekoration des politischen und ökonomischen Status quo.
Dass zivilgesellschaftliche Zusammenhänge und Strukturen in den zeitgenössischen Auseinandersetzungen ausschließlich die Funktion haben,die Hegemonie der jeweils Herrschenden zu festigen zeigt auch die Tatsache,dass sie
von den politischen Repräsentanten stets aufs Neue beschworen werden,wenn wieder einmal Feuer am Dach ist. Gegen rassistische und antisemitische Ausfälle und Übergriffe wird sie von den Regierenden in Stellung gebracht,es geschieht selbstverständlich nur dann,wenn die Regierenden nicht gedenken,gegen Antisemitismus und Rassismus etwas zu unternehmen. Wenn der Neofaschismus wieder einmal besonders degoutant am dampfen ist,muss ebenfalls die Zivilgesellschaft herhalten,damit die Regierenden keine schärferen Gesetze gegen ihn machen muss und damit die Exekutive die Gesetze nicht durchsetzen muss. Die Zivilgesellschaft hat immer dann besonders Konjunktur,wenn sie die Regierenden und ihre Apparate selbst aus der Verantwortung entlassen möchte,sie wird dadurch zum zeitgeistigen Accessoire der vorherrschenden Politiken.
ZIVILGESELLSCHAFT ALS POLITIK-BERATUNG
Als sich zu Beginn dieses Jahrzehnts die Initiativen und Verbände der freien Kulturarbeit zum kulturellen dritten Sektor,also zur kulturellen raktion der Zivilgesellschaft formiert hatten,Demonstrationen und Resolutionen,Aktionen und Konferenzen organisierten,die allesamt zum Ziel hatten,den unerträglichen Zustand der nach der Machtergreifung der blauschwarzen Koalition herrschte,zu beenden,war Aufbruchstimmung. Das Bemühen der Aktivistinnen ging in Richtung „posteuphorischer Nachhaltigkeit “,die sich jedoch bald in Agonie auflöste.Der Widerstand gegen blau-schwarz hielt nicht einmal so lange wie diese Koalition regierte,und jene Regierung,die ihr nachfolgte,und wesentlich das Selbe macht wie ihre Vorgängerin,ist von Widerstand gar nicht mehr behelligt. Just zu einem Zeitpunkt,als die freie Kulturszene sich zu einem relevanten gegenpolitischen, kritischen Faktor entwickeln hätte können,hat sie sich als eine kulturelle Fraktion der Zivilgesellschaft konstituiert,und wurde somit zur Werbeveranstaltung für Politik selber. Die freie Kulturszene hat sich einen gesellschaftlichen Ort zugewiesen,den sie nicht hätte einnehmen müssen und den sie gewiss auch nicht einnehmen wollte. Die Vernetzung,die man angestrebt hatte,war eine Vernetzung von Expertendiskursen,die Ausschlüsse erzeugten,die Oben und Unten konstruierten. Expertendiskurse,die erst recht nicht zu Teilhabe am Politischen einluden,sondern in der politischen Repräsentation gefangen waren. Überdies wurden die zivilgesellschaftlichen Vorschläge als eine Art Politikberatung dargebracht und nicht als fundamentale Kritik derselben. Wer Politik berät,nimmt bald ihre schlechten Manieren an. Man kann Boris Buden zustimmen,der bereits im Jahr 2000 angemerkt hat:„In und mit der Zivilgesellschaft lässt sich nichts politisch Relevantes bewegen,dass die Zivilgesellschaft nur noch den Leerlauf der heutigen Politik darstellt –die wahre Form der Entpolitisierung. Erst jenseits des zivilgesellschaftlichen Horizonts öffnet sich die Möglichkeit, kreativ auf die politischen Herausforderungen zu reagieren.“
Franz Fend
lebt und arbeitet in Linz und ist Vorstandsmitglied der KUPF-Akademie.