„BEABSICHTIGT IST EINE TIEFE VERÄNDERUNG IM KOLLEKTIVEN DENKEN “

Klemens Pilsl
im Gespräch mit
Rubia Salgado
(maiz)über Kulturarbeit,politischen Aktivismus von MigrantInnen,Gegenhegemonien den Sinn des ganzen:Wo soll denn das hinführen?

Klemens Pilsl:
Was ist Kulturarbeit in unserem gesellschaftlichen Kontext beziehungsweise was könnte und sollte sie sein?
Rubia Salgado:Wenn wir einen Blick auf die verschiedenen Praxen werfen,haben wir eine enorme Vielfalt. Ich glaube differenziert ist der Ort,wo und woher sich diese Kulturarbeit artikuliert. Ich beziehe mich oft auf die Definition der KUPF für freie Kulturarbeit in den „Zumutungen “.Ich finde es sehr gelungen,wie dort der Begriff definiert wird:Kulturarbeit
im Sinne von Grenzüberschreitung. Eine Arbeit,die Grenzen überschreitet,eine Arbeit,die nationalstaatliche wie geschlechtliche Konstruktionen in Frage stellt und dekonstruiert. Eine Arbeit,die heteronormative Modelle in Frage stellt. Das würde ich als autonome Kulturarbeit,als Begriffsdefinition, mittragen.Ich interessiere mich für die Herstellung eines gegenhegemonialen Standortes der Beobachtung.

K.P.:
Zum „gegenhegemonialen Standort “in der Kultur:Wird politischer Aktivismus als Kulturarbeit getarnt,weil dies im gesellschaftlichen Kontext momentan opportun und eine der letzten Möglichkeiten dafür ist. Oder aber:Sollte freie,autonome Kulturarbeit per se politisch sein?
R.S.:Also ich bin überzeugt von der zweiten Variante,wobei ich die erste Variante nicht außer acht lassen will. Denn die Frage nach dem „Ort “des politischen Handelns ist absolut aktuell. Wo sind die traditionellen Orte wie Gewerkschaften,politische Parteien?Und andererseits,ausgehend von meiner Situation als Migrantin,wo oder in welchem Rahmen können wir als Nicht-BürgerInnen uns auch politisch artikulieren? Da bietet sich der Kulturbereich als ein interessanter Ort für Selbstorganisation und politischen Aktivismus an.

K.P.:
Heißt das dann,dass freie Kultur irgendwie ein politischer Rückzugspunkt geworden ist,wo man sich politisch selbst eine Stimme geben kann,wo man selbst politisch agieren kann?
R.S.:Ich denke maiz ist dafür ein gutes Beispiel:Hier wird seit über 10 Jahren versucht,in verschiedenen Feldern politisch aktiv zu sein –die Strategie dabei sind sich ergänzende Tätigkeiten. Unsere Kulturarbeit steht in starker Verbindung mit Bildungsarbeit. Und diese ist nicht getrennt zu denken von unseren Tätigkeiten im sozialen Bereich.Und damit ist sie nicht getrennt von politischem Aktionismus zu denken. Es ist eine verschränkte,sich ergänzende Strategie,die sich ihre Räume jedoch sehr stark im kulturellen Feld schafft. Räume der Vermittlung eigentlich. Selbstorganisierte Orte,die es uns ermöglichen, bestimmte Öffentlichkeiten anzusprechen und bestimmte Anliegen bekannt zu machen.

K.P.:
Zur Selbstorganisation:Immer mehr Aufgaben,die früher der Staat übernommen hat,werden mittlerweile selbstorganisatorisch von AktivistInnen erledigt. Gerade im angesprochenen Sozialbereich ist die Tendenz sehr stark, dass Behörden ihre Tätigkeiten an Vereine auslagern. Wie groß ist die Gefahr oder auch die Chance bei Selbstorganisation im kultur- und politaktivistischen Bereich, dass man plötzlich originäre Funktionen des institutionalisierten Staates übernimmt?
R.S.:Das ist eine lange Diskussion,eingeschrieben in bestimmte Traditionen. Du hast vollkommen Recht,die Entstehungsgeschichte der Selbstorganisation im Bereich der Kulturinitiativen Ende der 1970er und 80er lag in einem ganz anderen Kontext:Es galt Hierarchien und Illegitimitäten von Strukturen zu hinterfragen. Im Entwicklungszusammenhang des Neoliberalismus ist aber eine Umkehrung der Selbstorganisation erfolgt. Heute gibt es ein neoliberales Diktat zur Selbstorganisation,zur Selbstversorgung,zur Autonomie.„Autonomie “hat eine ganz andere Bedeutung bekommen. Heute redet man von „aktiver Arbeitsmarktpolitik “–was so nett klingt heißt aber:Du bist für dich selbst verantwortlich. Für deinen Erfolg und auch für deinen Misserfolg. Wenn du keinen Erfolg hast,bist du selber Schuld. Wenn wir das auf die kulturelle und politische Selbstorganisation übertragen,bedeutet das natürlich eine enorme Veränderung. Die Gefahr ist absolut vorhanden,dass wir mit unseren selbstorganisatorischen Ansätzen letztendlich systemerhaltend wirken. Die einzige Möglichkeit dem zu entgehen ist eine kontinuierliche Reflexion und Auseinandersetzung mit dieser Gefahr. Immer wieder die Strategien zu reflektieren,zu hinterfragen,neue Schritte zu planen.Und hier ist es der Begriff der „Kollektivität “,der nicht konform geht mit den neoliberalen Ansätzen zur Selbstorganisation. Denn dort geht es um Ich-AG ’s,um sehr individualisierende Prozesse. Aber wie wir den Kulturbereich erleben und wie wir uns definieren,das ist kollektiv. Das ermöglicht eine Verschiebung und eine Distanz.

K.P.:
Dort wo Selbstorganisation quasi-staatliche Aufgaben übernehmen darf und soll oder wo keine andere Möglichkeit bleibt,gibt es in freien Initiativen eine andere Tendenz:Initiativen mit freien,fast revolutionären Ansprüchen aus den 1970er/1980er Jahren werden im Laufe ihrer Institutionaliserung von selbstorganisierten Gruppen mit politischen und kulturellen Anliegen immer mehr zu kulturellen Dienstleistern. Ähnlich einem Supermarkt,der billige Kultur in eine Region bringt.
R.S.:Hier kommen wir auch zur ersten Frage zurück. Das Phänomen der Entpolitisierung,in verschiedenen gesellschaftlichen Fällen,in westlichen Gesellschaften,ist nicht zu leugnen. Auch nicht im freien Kulturbereich;dieses „weg “von autonomen Ansätzen. Aber es gibt jetzt andere,neue Orte,wo diese Arbeit stattfindet, die ja eine hinterfragende,eine prozessorientierte Arbeit ist. Es sind neue Felder entstanden,neue Artikulationen. In der KUPF sind zum Beispiel Behindertengruppen,die Kulturarbeit machen und da Prozesse entwickeln und nicht nur an der Herstellung von Produkten und Dienstleistungen interessiert sind. Und das kann man auch bei MigrantInnen feststellen.Wenn wir uns bestimmte selbstorganisierte Kontexte anschauen,sehen wir,dass auch andere Formen und Kontexte entstehen, die nicht zu vergleichen sind mit den Bewegungen der 80er.Aber das Ziel der Hinterfragung,das Ziel des Prozesses,das Ziel der Partizipation,diese Ziele werden von anderen weiter verfolgt.

K.P.:
Du stimmst also mit der KUPF überein,dass freie Kulturarbeit einen gesellschaftlichen Mehrwert produziert und durch ihre kulturelle Praxis wirklich eine gewisse „Umwegrentabilität “erzeugt. Die „Nützlichkeit “und „Umwegrentabilität “von Kultur taucht ja auch aktuell in der Kulturhauptstadtdebatte auf –ich gehe jetzt einmal davon aus, dass Linz im Jahr 2009 Kulturhauptstadt wird um sich als Standort zu profilieren. Und die KAPU,die Initiative aus der ich komme,ist in der Linzer Bewerbung zur Kulturhauptstadt plötzlich als „wertvolle Kulturinitiative “aufgeschienen und somit zum Standortfaktor geworden. Ich denke maiz ist auch von diesen Vereinnahmungen betroffen. Wie geht es dir damit,dass man plötzlich zum Standortfaktor wird –ob man will oder nicht.
R.S.:„Kulturarbeit von MigrantInnen “wurde im Bewerbungspapier auf jeden Fall genannt. Was besonders drastisch ist,da dadurch impliziert wird,dass Migrantinnen hier in Linz einen Platz als AkteurInnen haben. Was nicht der Realität entspricht.

K.P.:
Und ist es nicht auch gefährlich für freie und autonome Kulturarbeit,gerade in Zeiten verschärfter Standortdebatten,wenn sie immer ihre eigene Nützlichkeit betont oder meint,diese betonen zu müssen?
R.S.:Es geht hier nicht um eine Rechtfertigung der Kulturarbeit im Sinne von „wir leisten etwas “;im Sinne von Mehrwert an der Gesellschaft,um diese zu verändern. Wir bei maiz denken Kulturarbeit nie getrennt von der Idee des Erreichens einer Hegemonie im Feld des Symbolischen. Ich spreche vom Feld des Immateriellen. Da geht es darum,bestimmte Bilder und Narrative,die als gegenhegemoniell gelten,herzustellen und zu verbreiten. Beabsichtigt ist eine tiefe Veränderung im kollektiven Denken,im kollektiven Imaginären.

K.P.:
Vom Underground heraus den Mainstream beeinflussen?
R.S.:Na ja,die Frage die sich hier natürlich stellt ist:Was passiert wenn wir tatsächlich hegemonial werden? Ich plädiere dafür auf dem Weg zum Hegemonialen zu bleiben. Wir wollen nicht im Hegemonialen ankommen. Es geht darum,auf dem Weg dorthin Spannung zu schaffen;sich in der Spannung zu bewegen. Also wirklich im Sinn von Macht als Spannung. Die Spannung soll erhalten werden!

Rubia Salgado
ist Mitbegründerin und Aktivistin bei maiz und lebt in Linz;

Klemens Pilsl
arbeitet in der KAPU und lebt in Linz.

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