Am 2. Juni findet alljährlich der Internationale Hurentag statt. Unsere Mitgliedsinitiative MAIZ, die unter anderem Arbeit für und mit Sexarbeiterinnen in Linz leistet, hat zu diesem Anlass gemeinsam mit anderen Organisationen eine Presseaussendung veröffentlicht. Thema ist die neue Besteuerungspraxis für Sexarbeiterinnen, die ab 1.7.2014 in ÖSterreich per Erlass eingeführt wird.
PA: Selbstorganisation von Sexarbeiter_innen und Beratungsstellen fordern
arbeitsrechtliche Gleichstellung und Entstigmatisierung von Sexarbeit
Am 2. Juni, dem Internationalen Hurentag, weisen österreichische Beratungsstellen für Sexarbeiter_innen, sowie eine Selbstorganisationen für Sexarbeiter_innen, erneut auf rechtliche Diskriminierungen und die prekären Arbeitsverhältnisse von Sexarbeiter_innen hin. Die Plattform sexworker.at und die Vereine LEFÖ (Wien), maiz (Linz), SXA-Info (Graz), PiA (Salzburg) und iBUS (Innsbruck) fordern die politischen Entscheidungsträger_innen auf, einen politischen Ansatz zu verfolgen, der Sexarbeiter_innen nicht nur in die Pflichten nimmt, sondern ihnen auch tatsächliche Rechte zugesteht und rechtlichen Schutz garantiert. Neben einer Entkriminalisierung des Bereichs Sexarbeit muss eine Entstigmatisierung von Sexarbeiter_innen und eine gleichzeitige Beteiligung und Einbindung in politische Entscheidungsprozesse dieser im Zentrum stehen.
Änderung in der Besteuerungspraxis – Verschärfte Pflichten für Sexarbeiter_innen ohne einhergehende arbeitsrechtliche Gleichstellung
Am 1. Juli 2014 wird in Österreich eine Besteuerungspraxis für Bordellbetriebe und Sexdienstleiter_innen per Erlass eingeführt. Diese ist ein aktuelles Beispiel dafür, wie die gesellschaftliche und gesetzliche Doppelmoral sich in der Reglementierung von Sexarbeit manifestiert und welche Auswirkungen die gesetzlichen Bestimmungen auf die Arbeits- und Lebensbedingungen von Sexarbeiter_innen haben.
Aufgrund mangelnder Kommunikation und fehlender Informationen seitens des Finanzministeriums, verbreitete sich in der Branche große Verwirrung bezüglich der neuen steuerrechtlichen Vorschriften. Angesichts dieser Unklarheiten, hat das Finanzministerium die Einführung der neuen Praxis vom 1. April, auf den 1. Juli verschoben.
Welche Konsequenzen hat diese Regelung für Sexarbeiter_innen?
Wir befürchten, dass sich durch die Regelung die bereits beschränkte Anzahl an legalen Arbeitsplätzen, sowie die Vielfalt der Arbeitsorte und Wahlmöglichkeiten für Sexarbeiter_innen, noch weiter reduzieren wird und Sexdienstleister_innen vermehrt im illegalisierten und unsichtbaren Bereich arbeiten müssen.
Zudem ist eine schlichte steuerrechtliche Anpassung an ein Dienstverhältnis, ohne einhergehende arbeitsrechtliche Veränderungen, welche die rechtliche Gleichstellung und Anerkennung von Sexarbeit mit anderen Berufen ermöglicht, unserem Erachten nach, nicht zielführend. Den politischen Verantwortlichen geht es nicht um eine Verbesserung der Situation von Sexdienstleister_innen, sondern ausschliesslich um die Besteuerung ihres Verdienstes.
Forderungen an die politischen Verantwortlichen
Sexarbeiter_innen sind Expert_innen ihrer Arbeitsumstände und müssen als solche wahrgenommen und anerkannt werden. Sexarbeiter_innen wurden in diesen politischen Entscheidungsprozess weder eingebunden, noch rechtzeitig über die Änderungen informiert. An dieser Vorgehensweise wird erkennbar, dass die Lebensrealitäten sowie die Arbeitsbedingungen von Sexarbeiter_innen, von politischen Verantwortlichen nicht berücksichtigt und wahrgenommen werden.
Eine verantwortungsvolle Politik, welche als Ziel eine tatsächliche Gleichstellung sowie eine Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen von Sexarbeiter_innen anstrebt, muss Sexarbeiter_innen in ihrer Selbstbestimmung stärken und darf nicht ermöglichen, dass die Selbständigkeit von Sexarbeiter_innen durch finanzamtliche Praxen, Willkür von Behörden und Betreiber_innen gefährdet und korrumpiert werden kann.
Den Sexarbeiter_innen werden in diesem Sinne wieder Pflichten aufgezwungen, ohne dass Rechte damit einhergehen. Die nahenden steuerrechtlichen Veränderungen in Österreich, sowie die aktuellen Abschaffungs- und Kriminalisierungsforderungen auf nationaler und europäischer Ebene, gehen eindeutig in die falsche Richtung, mit schwerwiegenden Konsequenzen für die Betroffenen. Es braucht eine arbeitsrechtliche Gleichstellung, die Kompetenzen einräumt um sich gegen Ausbeutung und Gewalt zu wehren. Überdies muss Sexarbeit als Beruf in seiner Vielfalt anerkannt werden und die unterschiedlichsten Lebenssituationen der Sexarbeiter_innen berücksichtigt werden.
MAIZ, LEFÖ, SXA-Info und sexworker.at
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Politischer Hintergrund des Internationalen Hurentags:
2. Juni 1975: Proteste und Kirchenbesetzung von Sexarbeiterinnen in Frankreich
Am 2. Juni 1975 streiken Sexarbeiter_innen in Frankreich und bezeichnen in diesem Zusammenhang den Staat als den größten Zuhälter. 150 Frauen besetzen 10 Tage lang die Kirche Saint-Nizier in Lyon und schaffen damit eine internationale Öffentlichkeit für ihre Situation und ihre Forderungen. Als Aktionskollektiv wenden sie sich gegen die staatliche Diskriminierung und gegen polizeiliche Repressionen, die vorgeblich dem Kampf gegen Zuhälterei dienen sollen: ständige Kontrollen und Verhaftungen, Beleidigungen, Schikanen, unverhältnismäßige Strafen, willkürliche Steuerbescheide sowie Tatenlosigkeit der Polizei gegenüber Morden, Misshandlungen und anderen Formen von Gewalt gegen Sexarbeiter_innen. Die Sexarbeiter_innenbewegung von Lyon wehrte sich damit auch gegen die Stigmatisierung von Sexarbeiter_innen und gegen die staatlich institutionalisierte Doppelmoral.
Die dazugehörige Radiosendung kann unter folgendem Link abgerufen werden: http://cba.fro.at/260269