158.320 OberösterreicherInnen haben das Volksbegehren unterschrieben. Das erfreuliches Ergebnis kommentiert Hans Riedler.
Mit dem Hinweis auf wirtschaftliche Zwänge läuft in Europa seit Jahren eine Offensive zur Schwächung des Sozialstaats. Politik kürzt Leistungen, schwächt Institutionen und untergräbt den Grundsatz der Solidarität. Propagiert wird die Eigenvorsorge im Fall von Krankheit, Unfall, Arbeitslosigkeit oder Alter. Verbesserungen im Bildungswesen, in der Jugendwohlfahrt, bei der Kinderbetreuung und bei sozialen Diensten für Pflegebedürftige werden zugunsten privater Marktlösungen vernachlässigt. Armutsbekämpfung bleibt Lippenbekenntnis.
Das Ziel des Volksbegehrens “Sozialstaat Österreich“ ist daher die bessere rechtliche Absicherung des bestehenden österreichischen Wohlfahrtsstaates. Insbesondere soll das österreichische Sozial- und Wohlfahrtssystem, das ja bekanntlich weltweit eines der besten und wirtschaftlichsten ist, in den Verfassungsrang gehoben werden. Damit soll sichergestellt werden, dass ein Abgehen vom Prinzip der öffentlich-rechtlichen Solidargemeinschaft in Zukunft nur mit einer Zweidrittelmehrheit im Parlament möglich ist.
Die Aufnahme dieses Textes in die Verfassung hätte eine mehrfache Bedeutung: – Soziale Sicherheit und Chancengleichheit sind von der Verfassung geschützte eigenständige Ziele. – Vor Beschluss eines Gesetzes gibt es eine “Sozialverträglichkeitsprüfung“ über die Auswirkungen auf die Betroffenen – z.B. hinsichtlich Gleichstellung von Männern und Frauen. – Die solidarische Absicherung im Fall von Krankheit, Unfall, Behinderung, Alter, Arbeitslosigkeit, Armut durch öffentlich-rechtliche Sicherungssysteme wird garantiert, die Privatisierung dieser Sicherungssysteme verhindert. – Die Finanzierung der erforderlichen Aufwendungen für unser vielfältiges Sozialsystem muss schrittweise den geänderten Arbeits- und Produktionsbedingungen angepasst werden – die gesamte Wertschöpfung eines Betriebes wäre eine gerechtere Berechnungsgrundlage.
Ein beachtlicher Beitrag Die OÖ Plattform für das Volksbegehren “Sozialstaat Österreich“ ist mit dem Gesamtergebnis des Volksbegehrens sehr zufrieden, vor allem aus OÖ-Sicht. Die Oberösterreicherinnen und Oberösterreicher haben mit 15,79 % und 158.320 Unterschriften anteilsmäßig einen beachtlichen Beitrag zur erwarteten Million geleistet (in absoluten Zahlen erreichte damit Oberösterreich den ersten Platz unter allen Bundesländern). Es gab nicht den von einem Linzer Meinungsforschungsinstitut prophezeiten Flop, sondern ein um fast genau 100 % besseres Ergebnis als vorhergesagt. Wir freuen uns über dieses beachtliche Ergebnis auch deswegen, weil wir diese Anzahl an Unterschriften ohne besondere Unterstützung eines Massenmediums und trotz einiger anderer erschwerter Bedingungen erreicht haben. Bedeutung und Qualität unserer sozialen Sicherungssysteme sind nun viel stärker im Bewusstsein der Bevölkerung verankert als vor diesem Volksbegehren.
Wir legen jetzt die Hände nicht in den Schoß, sondern arbeiten in den entstandenen Netzwerken und Plattformen für die Ziele des Volksbegehrens weiter – für die Erhaltung und Absicherung unserer öffentlich rechtlichen Solidargemeinschaft, für die Einführung von Sozialverträglichkeitsprüfungen, für solidarische, gerechtere Finanzierungsgrundlagen unseres gesamten Sozialsystems. Und wir werden auch nicht müde werden, immer wieder mit allen demokratischen Mitteln für die Verankerung all dieser Ziele in unserer Verfassung zu kämpfen. Dies wird leider nicht unmittelbar möglich sein, weil derzeit dafür noch keine parlamentarische Mehrheit in Sicht ist.
Die Einführung der geforderten Sozialverträglichkeitsprüfung sollte aber trotzdem als nächstes konkretes Ziel angestrebt werden, denn dieses Anliegen wird meiner Einschätzung nach auch von vielen Menschen unterstützt, die das Volksbegehren aus parteitaktischen Gründen nicht unterschrieben haben.
PolitikerInnen und EntscheidungsträgerInnen unseres Landes sind nun gefordert, dieses beachtliche Votum für unseren Sozialstaat ernst zu nehmen. Der Sozialstaat Österreich betrifft uns alle – alle Generationen, Männer und Frauen, Gesunde und Kranke, Arbeitsplatzbesitzer und Arbeitslose, Leistungsstarke und Leistungsschwächere. Jeder und jede von uns braucht ihn – wenn schon nicht unmittelbar heute, vielleicht aber schon morgen.
Hans Riedler