Anlässlich eines Gender Mainstreaming-Workshops in Ebensee bat Stefan Haslinger die Referentin Zita Küng zu einem Interview über Strategien, Machtfragen und die Sinnhaftigkeit von Schwerpunktjahren. Zita Küng betreibt in der Schweiz die Agentur Equality, die sich mit der Konzeption von Gender-Analysen beschäftigt.
KUPF: Michel Foucault eröffnete sein Buch „Über Hermaphrodismus“ mit der Frage: „Brauchen wir wirklich ein wahres Geschlecht?“ In diese Frage ist der Ansatz eingebettet, nach welchem es keine Form von Geschlecht gibt, die nicht sozial determiniert ist. Ist das auch der Ansatz von Gender Mainstreamings, die Mann/Frau-Rollen aufzuheben? Zita Küng: Ich denke Gender Mainstreaming geht davon aus, dass die Frage nach dem Geschlecht und der Bedeutung des Geschlechts tatsächlich gestellt wird. Dass sich einerseits die einzelnen Personen immer wieder diese Frage stellen und dass andererseits die zur Zeit gültigen gesellschaftlichen Vorstellungen hinterfragt werden. Gerade die Determinierung, die Festlegung auf Geschlechter-Charaktere so wie wir sie jetzt kennen, hat immer auch etwas Diskriminierendes. Diese behindern die Chancenwahrung von Frauen und Männern. Deshalb müssen die Rollenzuschreibung hinterfragt und verändert werden.
Ist es das Endziel von Gender Mainstreaming, diese Rollen vollkommen aufzuheben? Die Frage ist, was das für einen Effekt hat. Wenn sie einfach von der heutigen Situation aus sagen, ab morgen gibt es kein Geschlecht mehr, dann gehen sie an den Realitäten – wie sich Geschlecht herstellt – vorbei. Die Wirkung und wie die Zuschreibung passiert, muss zur Debatte gestellt werden und immer mehr Streuung zulassen. Das wäre die Methode. Zu sagen, das gibt es nicht mehr, damit hören wir auf, geht an der Realität vorbei.
Natürlich ist das kein Prozess von heute auf morgen. Aber auf lange Sicht sollte eine Gesellschaft ohne vorbestimmte Geschlechtermuster existieren? Mit meiner Erfahrung als Frau ist das unbedingt mein Ziel, weil ich davon ausgehe, dass wenn das nicht stattfindet, den Frauen die Diskriminierung anhängt. Ich brauche das als Frau, zu wissen, dass Frauen und Männer alles können. Es gibt keinen Grund, weshalb ich aufgrund des Geschlechts irgendwelche Zuschreibungen, Ge- oder Verbote haben sollte. Und zwar aus der Erfahrung als Zugehörige zum diskriminierten Geschlecht. Ich bin darauf angewiesen, dass ich das weiß. Wenn ich davon nicht überzeugt wäre, dann würde ich es gar nicht versuchen, mich gar nicht anstrengen. Dann würde ich einfach versuchen meinen Teil vom Kuchen zu bekommen.
Oberösterreich hat 2002 das Jahr der Chancengleichheit ausgerufen. Es sieht so aus, als ob es vor allem um eine Quotierung gehen soll, also die Quote der Frauen auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern. Was nicht ersichtlich ist, sind nachhaltige Konzepte. Gerade Gender Mainstreaming bzw. die Genderdebatte wird doch von diesem Nachhaltigkeitsgedanken geprägt? Gender Mainstreaming betrachtet das Geschlechterverhältnis als Prozess und setzt darauf es immer zu reflektieren. Das kann nicht im Jahr der Chancengleichheit erledigt werden, das kann einen Schwerpunkt bilden, aber es muss weitergehen. Es braucht immer wieder Entscheidungen, den langen Atem und den Willen etwas zu tun. Das können sie in dem Sinne niemandem verordnen, aber sie können Chancen schaffen, dass das tatsächlich etwas wird. Ich bin schon der Meinung, dass, wenn es gelingt die Möglichkeiten der Frauen im Erwerbssektor zu erhöhen, dass das eine wichtige Geschichte ist. Dann hat das auch nachhaltige Wirkung im Sinne der Eigenständigkeit dieser Personen. Hier den Prozentsatz der Frauen zu steigern, fände ich eine ganz tolle Geschichte, und würde mir das auch nicht mit einem abschätzigen Quotenargument aus der Hand nehmen lassen. Die Erwerbsbeteiligung der Frau ist eine ganz wichtige Kennzahl.
Diese Prozesshaftigkeit, von der sie gesprochen haben, wirft doch auch die Frage auf, wer diese Prozesse am laufen hält. In der Definition des Europarates steht, dass die an politischer Gestaltung beteiligten AkteurInnen dafür zuständig sind, was mich stört. Denn die politischen AkteurInnen werden nahezu immer mit BerufspolitikerInnen übersetzt. Muss nicht vielmehr eine Gesellschaft die Aufgabe übernehmen den Prozess voranzutreiben? Ich denke die Absicht dahinter war lediglich zu sagen, wo die Verantwortung liegt. Nicht zu sagen wer etwas tun soll. Ich gehe davon aus, dass die Personen, die in den politischen Mühlen keine hohen Ämter bekleiden, über sehr viel Ideen und Willen verfügen und dass sich ohne sie zu bewegen und zu begeistern nichts nachhaltig verändert. Die Inspiration wird auch von unten kommen und die Umsetzung wird ohne die Basis nicht passieren. Bisher war es aber so, dass die Geschlechterfrage einfach jenen Personen anhing, die sich darum kümmerten. D.h. dass alle, die Verantwortung tragen, sich aus der Verantwortung nehmen konnten. Und damit sich das ändert, haben wir einen qualitativen Schritt getan, auch dass sich die Leute nicht einfach daraus verabschieden können.
In der Zuschreibung der Verantwortung wird oft die Angst von Frauen thematisiert, dass die (feministische) Frauenpolitik zugunsten des Gendergedankens zurückgedrängt wird. Ist es ein Ziel von Gender Mainstreaming, die seit Jahrzehnten betriebene Frauenpolitik aufzulösen, also die Frauenpolitik zu absorbieren? Gender Mainstreaming ist als Doppelstrategie konzipiert. Der erste Strang ist, alle Anliegen, die nötig sind die Frauenpolitik zu festigen, voranzutreiben. Zusätzlich – als zweiten Arm der Strategie – müssen sich alle Themen mit der Geschlechterfrage auseinandersetzen und das nicht nur dort, wo Frauen betroffen sind, die etwas tun wollen. Die ganze ordentliche Politik muss ihre Entscheidungen unter diesem Aspekt prüfen. Deshalb denke ich, dass die Gefahr, die Anliegen der Frauen einfach vom Tisch zu wischen, nicht zu 100% gegeben ist. Aber sie droht natürlich immer, weil die Interessen diese Themen nicht zu behandeln natürlich vorhanden sind. Gender Mainstreaming ist ein Konzept das die Verantwortung in die Hierachiespitze setzt. Dort sitzen Männer – und ein paar homöopathisch verteilte Frauen – die entscheiden, und die können die Errungenschaften der Frauen wieder zurückbuchstabieren. Dem müssen wir ins Auge schauen und versuchen, das von unten her zu verhindern, oder unter Umständen die Personen an der Spitze auswechseln.
Hier kommt dann die Angst der Männer vor Machtverlust zum Tragen, welche natürlich immer an ökonomische Zwänge gekoppelt ist. Stellt sich da nicht die Frage, ob Gender Mainstreaming in einem kapitalistisch patriarchalen Wirtschaftssystem überhaupt funktionieren kann? Gender Mainstreaming geht nicht auf die Machtfrage los. Weil es ja mit den bestehenden Hierarchien rechnet. Und die Barriere wird da sein. Wo tatsächlich eine Umverteilung Realität werden soll und diese nicht passiert, dort – hoffe ich – werden die Interessierten auch die Machtfrage stellen.
Aber der Ansatz ist doch die zuvor analysierten bestehenden Strukturen, also bestehende Gesellschaftsformen und Geschlechterrollen aufzubrechen? Ich glaube Gender Mainstreaming als Konzeption hat keine solchen Ansatzpunkte, die mit Aufbrechen zusammenhängen, sondern eher Vorschläge zur Überwindung, zum Auflösen, zur Erweiterung zu liefern. Das Vokabular ist nicht aus revolutionären Bewegungen, es ist kein Kampf-Vokabular. Das soll aber nicht verschleiern, dass es tatsächlich um wichtige Fragen geht. Es werden Auseinandersetzungen stattfinden, aber im Moment zumindest mit der Voraussetzung, dass der Dialog möglich ist, und dass er etwas bringen kann. Aber er muss auf einem entsprechenden Niveau, an Hand von Fakten einsetzten und nicht einfach mit irgendwelchen Killerphrasen – und dann wird es spannend.
Das heisst Gender Mainstreaming als der sanfte Weg der Vorbereitung? Vielleicht. Durchaus mit dem Ziel der Geschlechterdemokratie und der Gerechtigkeit. Aber da sind wir ja noch weit davon entfernt. Die Ziele machen große Veränderungen nötig.
Stefan Haslinger