Das kollektive Spiel mit der Zukunft

Vier ausgewählte Kulturprojekte lindern unsere Sorge, dass bald natürliche Kreativität durch künstliche Intelligenz ersetzt wird. Und sie zeigen, dass der Weg ins Offene führt. Von Dominika Meindl.

Die Kluft zwischen der analogen und der digitalen Welt scheint zuweilen tiefer als der Marianengraben. Ein Unterschied, um den man Klavier spielen können möchte, wie die Wiener*innen so schön sagen! „Spiel“ ist das Stichwort: Es braucht Neugier und Leichtigkeit, um die Sphären zu verbinden. Im Folgenden stellen wir vier Kulturprojekte vor, denen in diesem Jahr ein spannender Zugang zur Dialektik von analog vs. digital gelungen ist. So sehr sich die Intentionen und Ansprüche unterscheiden, so eint sie doch die Arbeit im Kollektiv bzw. in Kollaboration. Und die optimistische, offene Haltung gegenüber den technologischen Hervorbringungen, bei aller Kritik an den sich ballenden Machtstrukturen. Eines lässt sich auch vorwegnehmen: Noch keine KI der Welt könnte Vergleichbares auf die Beine stellen.

Da lud das Salzburger kollektiv KOLLINSKI unter der künstlerischen Leitung von Susanne Lipinski und mit Gamedesigner Florian Jindra ein, sich gemeinsam in eine Science-Fiction-Dystopie zu werfen. „Spielt mit uns um eine bessere Zukunft, denn durch’s Reden kommen d’Leut zam!“, hieß es in der Einladung zu BIG BANG. Vier Kunstsparten – Performance, Musik, Tanz, Spiel – und vier Naturwissenschafts-Fächer – Physik, Meteorologie, Bewegungswissenschaft und Systemtechnologie – kollaborieren, um Weltuntergangsszenarien und Zukunftsvisionen zu entwerfen. Das Publikum findet sich zwischen analogen und digitalen Spielwelten wieder. Was sich lustvoll, fast flockig liest, hat einen ernsten Kern, der uns allen derzeit unangenehm bewusst ist: die drei apokalyptischen Ks – Klima, Krieg, Krise.

Bleiben wir in Salzburg, bleiben wir bei der ARGEkultur: Das OPEN MIND-Festivalmotto „OPEN MIND – DIGITAL BODY“ stellte im November eindrucksvoll unter Beweis, dass die strenge Unterscheidung zwischen virtuell und analog in die Irre führt. Gemeinsam mit Student*innen der FH Salzburg und mentoriert durch das Medienkunst-Kollektiv minus.eins baute die ARGEkultur eineinhalb Jahre an einer dreidimensionalen Spielstätte auf Basis der Social-VR-Software Mozilla Hubs: dem Digitalen Foyer. Die virtuelle Spielstätte ist für alle mittels Avatar und Computer oder VR-Device zugänglich und auf vielfältige Weise künstlerisch bespielbar; sei es mit digitalen Installationen, Tanz, Gesprächen oder Performances aller Art. Es soll ein Gegen-Ort werden, Raum für Medienkunst und Begegnung. Sebastian Linz sieht darin einen kleinen, aber wichtigen Schritt – einen demokratisch strukturierten Gegenentwurf zu Mark Zuckerbergs gruseliger Vision eines Metaverse, die ja recht streng nach Monopolisierung, Machtkonzentration und Zerstörung der digitalen Öffentlichkeit riecht. 

Noch weiter in die ‘reale’ Welt hinaus reicht das Projekt Don’t mess with my rights!, im Zuge dessen Jugendliche verschiedener Weltgegenden per digitaler Kommunikation gemeinsam Filme zu Kinderrechten produzieren. Konkret arbeiten Schüler*nnen der Berufsschule Linz mit Kolleg*innen in Kenia, der HAK Eferding mit jenen aus Äquatorialguinea und der HAK Traun mit Jugendlichen aus dem Senegal. Filmemacher*innen wie Natalie Halla, Sandra Krampelhuber und Tina Leisch begleiten die Zusammenarbeit. Die zwölf dabei entstandenen Filme wurden Anfang Dezember im Linzer Moviemento präsentiert. Hinter dem Projekt steckt das Kollektiv Die Schweigende Mehrheit. Es versteht sich als vielsprachige, internationale künstlerisch-politische Interventionsgruppe, die sich zum Ziel gesetzt hat, “alles zu tun, was die bescheidenen Mittel der Kunst zur Rettung der Welt beitragen können”, so Leisch.

Auch das steirisch-internationale Kollektiv Das Planetenparty Prinzip treibt die Frage um, wie sich Zwischenmenschlichkeit und Verbundenheit in den ‘unkörperlichen’ virtuellen Raum transferieren ließe. Seine neueste Produktion gehört in die wachsende Sparte des Gaming Theaters, in dem sich alles um Immersion dreht: Ab wann habe ich das Gefühl, mich in einem ‘echten’ Raum aufzuhalten? Der Titel des VR-Stücks am Staatstheater Augsburg ist lang und vielsagend: Das Eine das Andere und der wahrscheinliche Ausgang einer Reise bei der man zu Hause bleibt. Die neun jungen Grazer*innen wissen um die Angst, alleine in der Unendlichkeit verloren zu gehen. Das Stück, das man mittels VR-Brille von Zuhause aus miterlebt, läuft über direkte Begleitung und die innige Einladung zur Verbindung: „Synchronisieren wir das eine und das andere Ich, in der einen und der anderen Welt und alle Ichs in allen Welten. Lass dich ein auf eine schöne neue, eine bessere Welt.“

Ob der Optimismus angebracht ist? Wer weiß. Aber ohne können wir gleich alles den Maschinen überlassen!

Im Zuge ihrer Recherchen stellte Dominika Meindl den Initiativen ein paar Fragen, die ein paar von ihnen wie folgt beantworteten:

Tina Leisch, „Die Schweigende Mehrheit“

Ist die Welt noch zu retten?

Ja. Sagt der Club of Rome.

Und wie?

Sofortige Umstellung der Weltökonomie auf Klimagerechtigkeit. Sprich: Abschaffung des Kapitalismus. Gerechte Löhne überall. Strengstens kontrolliertes Lieferkettengesetz. Umverteilung und nachhaltige Entwicklung für ein gutes Leben für alle. Sofortiges Ende aller fossilen Energieformen. Enteignung und Sozialisierung der fünf großen Datenmonopole, die unsere digitale Kommunikation feudal reglementieren. Also Google/Alphabet, Apple, Meta/Facebook, Microsoft und Amazon müssen zerschlagen oder ins Gemeineigentum überführt werden. Lebensnotwendige Güter und Dienstleistungen dürfen nicht privatisiert werden. Vielleicht allen über 50-Jährigen das aktive und passive Wahlrecht entziehen. Wir Alten haben alles versaut und unser Recht mitzubestimmen verwirkt.

Klappt die Rettung durch intelligente Nutzung der Technologie, wie ihr es ja vorgemacht habt in eurem Projekt?

Every tool can be a weapon. Aber: Das Problem ist, dass der Datenvorsprung, den die fünf großen Datenmonopole haben, dazu führt, dass sie die Entwicklung der Algorithmen der KIs bestimmen können und damit ihre derzeitige ökonomische und politische Definitionsmacht exponentiell verstärken.

Susanne Lipinski, kollektiv KOLLINSKI

Ist die Welt noch zu retten?

Ja, wenn der Mensch kollektiv für einen Wandel bereit ist. Derzeit steuern wir direkt auf die Apokalypse zu – die Tragödie ist, dass wir sie nicht mehr erleben werden. Es wird nur einfach ungemütlich für uns. Grund dafür sind wir selbst: Das fängt beim wahnsinnig exponentiellen Wirtschaftswachstum an (ein Virus wächst übrigens auch exponentiell) und hört bei privatem Luxus auf. Die Kunst hat unserer Meinung nach nicht die Aufgabe, die Welt zu retten. Was sie vermag, ist aufzeigen, anstoßen, anregen – und genau das tun wir mit unserer Produktion BIG BANG, einem Sortierabend in die Unendlichkeit, unserer Ko-Veranstaltung von kollektiv KOLLINSKI sozial und der ARGEkultur.

Wie gelingt die Rettung?

MAKE A CHANGE

Konkret: Geht sich die Rettung noch aus? Oder hofft ihr auf einen Neustart nach der Apokalypse?

Als Künstler*innen spitzen wir die Apokalypse, die Dystopie zu, um eine große Fallhöhe und Handlungszwang bei unseren Zuschauer*innen zu evozieren, wir verbinden das mit der Leichtigkeit des Spiels, denn auch Dystopien können unterhalten. Insofern kitzeln wir einen Neustart regelrecht ‘heraus’. Ist es nicht immer gut, offen durch die Welt zu gehen, seine Muster zu reflektieren und sich zu ändern – zu einem positiven Miteinander, einem achtsamen Umgang mit Menschen, Tieren und dem Planeten?

Klappt die Rettung durch intelligente Nutzung der Technologie, wie ihr es ja vorgemacht habt in eurem Projekt? 

Bei BIG BANG haben wir ein digitales Gaming-Format entwickelt, das analog zu spielen ist, insofern geht es vorrangig um Gemeinschaft. Dass wir selbst Technologie intelligent nutzen sollten, steht dabei außer Frage, aber da kann sich ja jede*r an der Nase nehmen und den Test bei der eigenen Nutzung machen, wieviel Prozent dann intelligent ausfallen. Bei mir würde ich sagen 50:50… Da steckt auch noch großes Change-Potenzial drin.

Das Planetenparty Prinzip

Ist die Welt noch zu retten? Und wenn ja, wie?

Retten oder nicht sind vielleicht gar nicht die essentiellen Fragen. Angesichts aktueller Zukunftsentwicklungen werden sich, so wie es aussieht, in recht kurzer Zeit sehr viele Dinge drastisch ändern. Wie diese Veränderungen aussehen sollen, welchen Gestaltungsraum man hat und auf welchen Parametern man Entscheidungen basiert, wird diese Entwicklungen beeinflussen. Für uns ist genau das Theater ein Ort, an dem man sich unter anderem mit solchen Zukunftsperspektiven auseinandersetzen kann, sie gedanklich durchspielen und deren Wirkungskraft erforschen. 

Konkret: Geht sich die Rettung noch aus? Oder hofft ihr auf einen Neustart nach der Apokalypse?

Nach der Apokalypse gebe es ja gar keine Menschen mehr, die etwas neu starten könnten. Dann lieber ein Neustart vor der Apokalypse.

Klappt die Rettung durch intelligente Nutzung der Technologie, wie ihr es ja alle vorgemacht habt in euren Projekten?

In unseren Projekten wird die Technologie ja immer von den Teilnehmenden verwendet. Sie müssen sich selbst überlegen, wie sie damit umgehen und was das für den Verlauf der Performance bedeutet. Ähnlich halten wir das mit der Techniknutzung außerhalb des theatralen Raumes. Und sich einfach nur zurückzulehnen und den Bordcomputer alle Entscheidungen treffen zu lassen, macht ja auch nicht so viel Spaß.