Sind Comics lustig? Muss Kunst “ernst” sein, damit sie ernst genommen wird? Welche Rollen spielen dabei Unterhaltung und Partizipation? Lisa-Viktoria Niederberger hat sich bei Protagonist*innen aus Forschung, Kunst und Kulturarbeit umgehört.
Comics lesen als Kind
Wer etwas über Comics wissen möchte, kann eine Comicforscherin fragen. Eine solche ist Barbara M. Eggert. Die promovierte Kunsthistorikerin ist seit 2019 Forschende und Lehrende am Institut für Kunst und Bildung der Kunstuniversität Linz. „Comics waren das Erste, was ich gelesen habe. Bevor ich überhaupt lesen konnte“, erzählt sie. Von diesen ersten Leseerfahrungen als Kinder und Jugendliche kommen auch die Assoziationen vieler Menschen, dass Comics lustig sein müssten. Immerhin „stand doch sogar ,Lustiges Taschenbuch’ drauf”, sagt Eggert. Auch die Comicstrips, die es in Zeitungen gibt, zeichneten sich seit jeher durch Slapstick und Schlusspointen aus, man nennt sie nicht umsonst „Funnies“.
Ausstellungen als Erfahrungsräume
Eggert interessiert sich besonders für das Ausstellen von Comics und die theoretischen Aspekte dahinter: Wie muss so eine Ausstellung beschaffen sein, um diesem speziellen Medium überhaupt gerecht werden zu können? „Viele Leute finden vor allem die Präsentation von Originalen spannend, weil man an ihnen jenen Schaffensprozess nachvollziehen kann, der sonst im Verborgenen stattfindet.“
Die Comicausstellung, nicht nur als Lese-, sondern auch als Erfahrungsraum – diesem Anspruch hat sich auch das NEXTCOMIC Festival verschrieben. Seit 2009 wird im Linzer OK sowie an weiteren Standorten Raum für die Rezeption von Comics im Ausstellungskontext gemacht. Den Besuchenden wird so ermöglicht, auch die Werke von weniger etablierten Zeichner*innen kennenzulernen. Ein Familientag und – auf Initiative von Eggert – seit 2019 auch ein wissenschaftliches Symposium ergänzen das Angebot, dessen Ziel es ist, vielen Menschen einen niederschwelligen Zugang zu ermöglichen.
Sich selbst einbringen
Niederschwelligkeit ist auch eines der Grundprinzipien des Kollektivs Potato Publishing. Die Initiator*innen der offenen Druckwerkstätte sind Sarah Maria Schmidt, Paul Schwediauer und Oskar Wlaschitz. In der Videokonferenz zur Vorbereitung dieses Beitrags halten sie abwechselnd Exemplare der Zines in die Kamera, die bei Potato Publishing aus dem Risodrucker kommen. „Zine-Produktion ist ein guter Weg, um auf lustige Art Dinge, die mich beschäftigen, aufzuarbeiten“, berichtet Sarah Schmidt und zeigt ein knallbuntes Werk, in dem sie die absurden Momente verarbeitet, die ihr regelmäßig als Rollschuhfahrerin am Skatepark widerfahren.
Potato Publishing ist für alle da: Am „Riso-Mittwoch“ können Interessierte direkt in die Werkstatt kommen. „Nicht nur Künstler*innen, sondern auch Kulturarbeiter*innen und Personen von sozialen Initiativen sind dabei. Wir helfen auch beim Druck von Flugblättern und Infomaterial.“ Potato Publishing ist DIY pur, ist: Ideen finden, zeichnen, drucken, binden, schneiden, ausstellen, verkaufen, in den Dialog mit anderen Zeichnenden kommen.
Essenz, Ernst, Partizipation
Die Freude am Tun ist hier essenziell. „In der Kunst ist es doch so, dass das, was weniger ernst ist, als weniger ‘sophisticated’ gilt. Es muss eine gewisse Schwere haben, damit es seriös ist. Genau das deuten wir aber um, indem wir diese Comic-Ästhetik in unsere Poster übernehmen. Wir sind von unserem Kunstzugang her alle sehr an Partizipation interessiert und daran, dass Kunst unabhängig vom Bildungsgrad oder der sozialen Schicht zugänglich ist. Kunst soll für alle da sein“, betont Oskar Wlaschitz.
Er verweist außerdem auf den Namen des Kollektivs: „Die Kartoffel ist ein Grundnahrungsmittel, ein Essen für alle. Gleichzeitig breitet sie sich unter der Erde immer weiter aus und verwurzelt sich.“ Auch Potato Publishing möchte wachsen, sich ausbreiten, möchte bei Zine-Fairs – Messen mit Verkaufsmöglichkeiten – die Grenze zwischen Künstler*innen und Besuchenden aufheben. Letztes Jahr haben die Macher*innen zu einem Rennen mit selbstgebauten Autos aus Kartoffeln eingeladen. Paul Schwediauer lobt die Freiheit, einfach tun zu können, was unterhält: „Dieses Independent Publishing, wie wir es hier machen, ist total frei. Comic und Zeichnung sind überhaupt freier als viele andere Medien der modernen Unterhaltungsindustrie. Alle können die Themen bearbeiten, die ihnen wichtig sind. So entstehen viele Nischen und breite Ausdrucksmöglichkeiten.“
Unterhaltung und Perspektivenwechsel
Eine besondere Nische hat die Wienerin Renate Mowlam für sich entdeckt. Die Bauingenieurin, die immer schon gerne gezeichnet hat, interessiert sich für Klimaschutz, Naturwissenschaften und Feminismus. „Themen, die uns Frauen betreffen, werden oft negativ dargestellt. Ich möchte meinen Beitrag leisten, dass sich das ändert.“ OFF THE BLOB, Mowlams Comicbuch über die Menopause, ist so ein Beitrag. Es basiert auf neun Interviews, die sie mit Frauen im Wechsel geführt hat, und schildert Symptome, Ängste und Unsicherheiten der Betroffenen. Es vermittelt Wissen und unterhält, z.B. wenn die Comiczeichnerin nächtliche Panikattacken als klassischen Leintuch-Geist abbildet. „Ich denke da an paradoxe Intervention. Dieser Geist, der schaut ja lieb aus – und davor soll ich mich fürchten?“ Auf der letzten Seite des Buches sieht man ein müdes Spermium vor einem Eierstock, der trocken verkündet: „Eier sind leider aus.“
Ein wesentliches Stilmittel der Comics von Renate Mowlam ist Verdichtung. Überflüssiges fliegt, übrig bleibt die Essenz. „Ich sehe in ihnen ein unglaubliches Potential, auch schwierige Themen zu vermitteln, leichter lesbar und zugänglicher zu machen“, so die Zeichnerin. Gegenwärtig sind Comics Objekt des akademischen Diskurses, kollaboratives Non-Profit Projekt und Medium zum Wissenstransfer. Auch was die Rezeption betrifft, hat es in den letzten Jahren einen Perspektivenwechsel gegeben: Seit einigen Jahren werden Graphic Novels – Comics in Buchform – immer wieder im Feuilleton besprochen. Zeit also, endlich jene Werke, die von der Text-Bild-Korrelation leben, vom Stigma des „Lustigen Taschenbuchs“ zu befreien.