Nach der Autokratendämmerung

Theater entsteht in der Zusammenarbeit künstlerisch arbeitender Menschen. Wo und wie werden auch Leitungsebenen kollektiv aufgestellt? Formen der Mitbestimmung an Institutionen erprobt? Julia Engelmayer analysiert.

Schlag auf Schlag ging es in den letzten Monaten mit Fällen von Machtmissbrauch am Theater. „Es liegt eine feine Ironie darin“, schreiben Christian Koch und Hartmut Welscher in der Einleitung des Bandes Theater und Macht, „dass ausgerechnet das Theater, das die Formen und Deformationen von Macht auf der Bühne bis ins Kleinste durchdekliniert, hinter der Bühne einen autoritären Machtbegriff konserviert.“ Also: Dekonstruktion von Macht auf der Bühne, Reproduktion von Hierarchien und Missbrauch hinter der Bühne? 

Neue Führungskultur

Noch ist das Modell des (männlichen) Theater-Autokraten nicht Geschichte, aber ein Wandel der Führungskultur hinsichtlich Umgangsformen, Kommunikation und Kompetenzverteilung ist längst in Gang. Zwei besondere Leitungsformen – Kollektivität und Partizipation – sollen hier kurz besprochen werden: Mehrere Ensembletheater im deutschsprachigen Raum erproben derzeit Formen der kollektiven Intendanz, durch die Macht und Verantwortungsdruck geteilt werden. Vorreiterin in Sachen kollektiver Intendanz ist die Schweiz, wo an mehreren Häusern Zweier-, Dreier- oder Viererteams an der Spitze stehen. Zugleich mehren sich Beispiele demokratischer Mitbestimmungsmodelle, die Mitarbeiter*innen in Entscheidungen involvieren.

Von der Kollektivleitung zur Mitbestimmung

Prominente Modelle von Mitarbeiter*innen-Partizipation gab es im Theater in den 1970er Jahren. An der Schaubühne Berlin und den Städtischen Bühnen Frankfurt wurden Entscheidungen in drei Instanzen getroffen: Mitarbeiter*innen-Vollversammlung, Direktorium und gewählter Beirat. Die Ära der Mitbestimmung galt als künstlerisch höchst erfolgreich, verebbte jedoch bis zum Ende der 1980er Jahre. 

Gegenwärtig arbeiten mehrere kollektiv geleitete Häuser an der Entwicklung von partizipativen Strukturen. Gemeinsame Führung und Teilhabe beeinflussen sich offenbar positiv. Am Zürcher Schauspielhaus können je zwei Mitarbeiter*innen pro Termin an der Direktoriumssitzung mitdiskutieren und es gibt abteilungsübergreifende Arbeitsgruppen zu Themen wie Nachhaltigkeit, Rassismus oder Probezeiten. Die Intendantinnen des Theater Neumarkt sind mit einem Manifest für ‚Unbedingtes Theater’ angetreten, das auch Meinungsvielfalt verankert. „Sie praktizieren und kultivieren eine kooperative Führung, welche die Partizipationskultur befördert“, fasst Pressesprecher Michel Rebosura zusammen. Die praktische Struktur der Mitbestimmung entsteht im partizipativen Prozess. Derzeit arbeiten sieben Mitarbeiter*innen aus unterschiedlichen Abteilungen an einem wertebasierten Kodex für alle Formen der Zusammenarbeit. Dieser ‚Code of Conduct’ wird anschließend von der Direktion, allen Mitarbeiter*innen und dem Verwaltungsrat gegengelesen und mit eingearbeitetem Feedback verabschiedet. 

Auch die ensemble-netzwerkerin und designierte Genossenschafts-Präsidentin Lisa Jopt spricht sich für das gemeinsame Ausverhandeln eines Partizipations-Modus aus. Zudem fordert sie Mitsprache der Ensemblevertreter*innen bei der Leitungswahl. Ähnliches ist im März im Theater Krefeld-Mönchengladbach geschehen, als die Schauspielsparte selbst den neuen Schauspieldirektor wählte.

Theater als gesellschaftliches Testfeld

Kunst fordert kantige Entscheidungen, die nicht immer demokratisch erzielt werden können. Manchmal braucht Theater die Hitze des Proberaums, in dem Spannung übertragen wird. Doch je größer das gegenseitige Vertrauen, desto größer ist die Freiheit. Vielleicht mehr als jede andere Kunst bietet das Theater die Chance, die politischen Themen, die auf der Bühne verhandelt werden, in der intensiven Zusammenarbeit zu erproben und über jeden Mitarbeitenden zu multiplizieren. Ob durch mehr Achtsamkeit und Agilität in der Führung, eine kollektive Leitung oder Mitarbeiter*innen-Partizipation. Nicht nur die Deformationen von Macht sind das Geschäft der Bühne, sondern auch die Fragen: Wie wollen wir leben? Wie wollen wir zusammenarbeiten? Und was brauchen wir dafür?