Unlängst unterhielt ich mich bei einem Glas Wein mit einer Schriftstellerin über Nischen. Die Entwicklungen der letzten Monate hätten dazu geführt, dass kein Platz mehr sei, meinte sie. Könnten sich Kunst und Künstler*innen im digitalen Raum entfalten?
Meine Sympathien für Kunstvermittlung im digitalen Raum werden eingebremst: Die Verdrängung der Kunst in digitale Parallelwelten sei bedrohlich, da sie leibhaftige Begegnungen scheinbar oder anscheinend unmöglich mache und damit eine ‹Aura› des Kunstwerks in Luft auflöse. Doch viel beunruhigender sei es, dass kein Platz mehr bliebe: für Beziehungen, Interessen, Arbeit, Überzeugungen. Schlichtweg sei für eine*n selbst kein Platz mehr, da der digitale Raum alles durchdringe und okkupiere – ‹kein Zutritt ohne QR-Code am Smartphone›. Die Nischen kommen abhanden, geht mir durch den Kopf. Im digitalen Raum verlieren Nischen ihren Status als Rückzugsorte, stattdessen sind sie immer einsehbar, werden von Gleichgesinnten besetzt. Das Fürsichsein ist nicht mehr durchsetzbar.
Einige Wochen später halte ich mit einer Kollegin einen Workshop zu zeitgenössischer Kunst für eine Klasse im Homeschooling. Von Bildschirm zu Bildschirm erreichen wir die Jugendlichen, blicken in ihre Lebenswelten hinein, sie schauen in den Museumsraum. Unerwartet meldet sich in einem dieser privaten Räume ein Erwachsener vehement zu Wort: «Was machst du da? Was schaust du dir da an?!», die Verbindung zum Schüler bricht ab. Die Gründe für die Intervention kenne ich nicht; der im Klassenkontext geöffnete digitale Kunstraum scheint im privaten Raum verdächtig zu sein.
Kulturinstitutionen verstehen sich als Erfahrungs- und Reflexionsräume für unsere Gegenwart. Sie sind Nischen für Austausch und individuelles Erleben. Im Digitalen verändern sich Räume: Über den Bildschirm habe ich eine Tür in den privaten Raum des Schülers aufgestoßen. So konnte ich ihm keine Nische öffnen, wie ich das im analogen Raum tue; vielmehr ist diese Nische in eine persönliche Sphäre eingedrungen und hat ihren Charakter als individueller Erlebnisraum verloren. In der Erkundung neuer, digitaler Räume ist Feingefühl für diese Transformationsprozesse gefragt.
Wenige Minuten später klinkte sich der Schüler wieder ein, er saß in einem anderen Zimmer, sein Mikrofon war stummgeschaltet.