OHNE KUNST WIRD’S STILL!

Am 11. Februar 2021 veranstalteten der KV Willy und die KUPF OÖ eine Kundgebung zu 100 Tagen Kulturlockdown. Dominika Meindl hielt die Eröffnungsrede, die uns so ‚mitmeinte‘, dass wir sie als unseren Leitartikel in Auszügen abdruckten. Hier nachzulesen ist die vollständige Fassung.

Dominika Meindl über Systemrelevanz und die nicht Mitgemeinten.

Das ist mehr eine Bitte als eine Drohung. 1: Wie schön es ist, dem Ärger endlich Luft verschaffen zu können! Wie schön, euch zu sehen! Endlich Protest im öffentlichen Raum!

Ja, ich bin CORONAKRITIKERIN! Dieses Virus sehe ich sehr kritisch, von mir aus könnte es aufhören zu existieren. Nein, ich bin keine Coronaspaziergängerin, und ich sage nicht „Sperrt’s alles wieder auf!“ Denn ich bin auch keine Vernunftkritikerin.

Wie ärgerlich, dass ich das überhaupt betonen muss.

Leider bin ich kein Tiroler SEILBAHNBESITZER. Vielleicht im nächsten Leben, vielleicht ist das dann auch gar kein Privileg mehr, sondern vielleicht wird das Skifahren als das erkannt, was es jetzt schon ist: eine herrliche Freizeitbeschäftigung für die Glücklichen, die es können und es sich leisten können. Dass wir uns nicht verzetteln! Was können die Tiroler Lepradörfer für meinen Grant!

Leider bin ich aber KÜNSTLERIN, und mein Beruf sollte eigentlich kein Privileg sein, und es sollte kein Privileg sein, mir bei der Arbeit zuzusehen. Meine Kolleginnen und ich werden derzeit aber so behandelt, als wären wir vertrauensunwürdige Hoteliers, die gern in Südafrika golfen. Wir werden behandelt, wie es eigentlich den Verschwörungstheoretikern gebühren würde.

Leider ist der Unterschied zu den „Das ist nur eine Grippe! Die Pandemie ist nur ein Werkzeug der Regierung“-Schwanerern, dass wir Autorinnen offen zugeben, dass wir Sachen erfinden, dass wir FIKTIONEN unters Volk bringen wollen.

PRIVILEG: Mir selbst geht es übrigens gut, danke der Nachfrage. Aber ich bin auch damals nur Schriftstellerin geworden, weil ich aus wohlhabendem und wohlmeinendem Elternhaus stamme. Das ist zwar schön für mich, darf aber nicht einziger Grund sein, warum man heute noch Kunst macht. Es ist schön, wenn die Künstlersozialversicherung meine Verluste auffängt, aber der weitaus größte Teil meiner lieben und wahrscheinlich von viel talentierteren Kolleginnen in allen Sparten hatten keinen Grund, sich eine völlige Selbständigkeit wider jede ökonomische Vernunft zu trauen. Sie haben das mit der neoliberalen Flexibilität zur Genüge gelebt, sie arbeiten in unguten Patchwork-Berufskombinationen, mit geringfügigen Beschäftigungen weit mehr als 40 Stunden pro Woche, aber am Existenzminimum. Sie schauen durch die Fingern, genauso wie die Mutigen, die das getan haben, was ihnen von allen Seiten geraten wurde, sie haben Start-Ups (ich mag das Wort nicht sehr) gewagt, Kulturunternehmen, Gastronomie, was weiß ich. Sie alle schauen durch die Finger, dabei hängen Kunst und Kultur so wesentlich von ihrem Mut ab! Oder: Was ist mit allen den Ehrenamtlichen, die es natürlich nicht des Geldes wegen tun, die aber so viel Mühe und Herzblut in etwas stecken, das jetzt so lieblos ins Eck geworfen wird? Was ist mit den kleinen Vereinen und NGOs, die immer noch auf Unterstützung warten, anders als die großen Institutionen? Und was ist mit uns allen, die immer noch auf eine sinnvolle PERSPEKTIVE warten?

Da bin ich übrigens voller Solidarität mit Bereichen wie Kleinhandel und Wirten und Sportvereinen, das alles ist unersetzlich für das gute Leben, wird aber jetzt wirklich abgesnobbt.

Was uns wohl alle echt anzipft, ist diese UNGLEICHBEHANDLUNG. Müssen wir wirklich alle Skischuhe tragen? Oder Waffen verkaufen? Oder so tun, als besäßen wir riesige Hotelanlagen?

Uns alle umgibt das Gefühl der Sinnlosigkeit unserer Mühen wie eine stinkende Voestwolke. Ich ärgere mich immer noch hell lodernd über die Erfinder der depperten Unterteilung der Menschen in „SYSTEMRELEVANT“ und das nie offen ausgesprochene Gegenteil! Systemrelevant, darauf können wir uns einigen, sind die schlecht bezahlten Frauen im Lebensmittelhandel und die LehrerInnen und ganz besonders alle im Medizinsystem, deswegen verzichten ja z.B. die Bürgermeister so selbstverständlich auf ihnen angebotene Impfungen. Pardon, da hat sich jetzt ein Sarkasmus eingeschlichen, der überhaupt nichts mit Kunst und Kultur zu tun hat, höchstens als Klage über eine soziale Unkultur.

LIEBES VOLK! Schelte auf die Politik ist mein täglich Brot, aber heute möchte ich etwas aussprechen, das vielleicht auch einmal gesagt werden muss. Ich predige halt zum Chor, zu den KULTURVERLIEBTEN. Ich bin aber schon sehr müde, der sog. „breiten“ Bevölkerung, den Kanzlerfans klarmachen zu müssen, warum unsere Arbeit auch systemrelevant ist – und zwar schon lange vor der Seuche. Ich will jetzt niemandem das miesmachen, aber lasst mich halt darüber mosern, dass die Leut‘ die Info-Telefone beim Land Oö wegen der Friseurstermine lahmgelegt haben, nicht weil Kunst und Kultur immer noch lahmgelegt sind. Kann der Kanzler bitte auch über die „Haarverliebten“ spotten, nicht über jene, die Kunst und Kultur innigst vermissen?

Was ich ganz besonders satt habe, ist wie unendlich viel Raum die QUERDENKER, Wutbürger, Verschwörungstheoretiker und Impfgegner mit ihrem aggressiven und gemeingefährlichen Protest einnehmen. Es zipft mich an, dass ich bei jeder Kritik an den Entscheidungen der Regierung IMMER dazusagen muss, wie sehr ich wissenschaftliche Arbeit unterstütze und wie gut wir aufeinander aufpassen müssen. Das macht mich müde, und ich kann es kein weiteres Mal mehr ertragen, wenn sich einst vernünftige Menschen als Opfer einer Nazi-ähnlichen Diktatur stilisieren. Die Kanäle sind voll mit eurem Schas, ihr sagt 24/7, was ihr euch „denkt“, dass es keine Überstreblichkeit gibt und… ich habe zwei höchstgefährdete Menschen zuhause und mag mich eigentlich nicht mit diesen Zynikern aufhalten, die sagen „Für eine Krankheit, die 99,9 % der Menschen kaum betrifft, opfern wir alles.“ Wer von euch da hängen bleibt, kann gern nachher zu mir kommen, ich hab super Zahlen und Fakten bei der Hand. Und ich hör‘ auf, weil ich eben diesen Mitmenschen, die sich mit Differenzierungen nicht so abquälen wie wir, nicht auch noch meine Redezeit einräumen will.

Wir werden uns nicht zu sinnlosen und kindischen Trotzreaktionen hinreißen lassen, aber was ich dringend einfordere, ist breite Solidarität. Geliebte Völker von Österreich, zeigt uns Kunst- und Kulturarbeiterinnen bitte ein wenig deutlicher, dass ihr frischgeschnittene Haare nicht für so unendlich viel wichtiger haltet als uns.

Hauptziel sind aber ohnehin die lieben Entscheider in der Regierung. Ich möchte versuchen, mich wegen der menschlich und juristisch inakzeptablen Kindsverzahrung nicht zum Hassen verleiten zu lassen. Apropos: Kundgebung SOS Menschenrechte am Domplatz

Ihr geht mir so auf den Zeiger, dass es absolut unbeachtet bleibt, dass wir keine „körpernahen Dienstleistungen“ erbringen, sondern allesamt sehr funktionale Sicherheitskonzepte erarbeitet haben – diese Arbeit kübelt ihr uns. Niemand von uns arbeitet für Profit und Reichtum, sonst wären wir damals zur jungen ÖVP gegangen, sondern weil wir unsere Arbeit gesellschaftlich für notwendig halten. Was in früheren quasi moralisch entlohnte, wird spätestens jetzt zur „poor life decision“ degradiert. Das möchte ich mir nicht gefallen lassen. Überlegt euch gefälligst auch einmal, wie ihr meine Arbeit ermöglicht, ich denke im Gegenzug schon die längste Zeit darüber nach, wie ich der Gesellschaft weiter dienlich sein kann!

Dominika Meindl ist Schriftstellerin, Moderatorin und ‚Präsidentin‘ der Lesebühne Original Linzer Worte.


Zum Gendern:
Meine Sprache meint das schöne Geschlecht grundsätzlich mit, da ich eine klare Befürworterin des Mannes an sich bin. Deswegen kommt die rein männliche Form bei allgemeinen Begriffen immer wieder vor (Bürgermeister, Automechaniker, Querdenker). Als bekennende Matriarchin überwiegt in meinen Sprechakten jedoch das generische Femininum (Kollegin, Gästin, die kleine Frau von der Straße, Bundespräsidentin).