Mir fehlt er manchmal noch

Unser Verhältnis war von Anfang an gut. Um mich herum haderten viele mit Balance: Mal war er zu viel da, mal zu wenig. Auch über seine Position schien man sich nie einig zu sein. Zweiter von links? Vierter von rechts? 

Doch mir erschienen die Regeln des Miteinanders, die ich in der Schule gelernt hatte, stets einleuchtend. Wenn eine Pause notwendig wurde, war er zur Stelle; musste man etwas Wichtiges von etwas weniger Wichtigem trennen, ebenso. Niemand verstand es so gut wie er, Klarheit zu schaffen. Vielleicht verstanden wir einander deshalb intuitiv. Uneinigkeit über seine Bedeutung, seine Position herrschte so gut wie nie. Wie ein perfektes Walzerpaar tanzten wir über meine Texte. 

Doch dann nahm das Internet in meinem Leben eine zunehmend wichtigere Rolle ein. Auf einen E-Mail-Account folgten Laptop, Smartphone und Tablet. Je schneller die Tasten und meine Finger erlaubten, zu tippen, desto lieber tat ich es. Steter Begleiter in dieser neuen Welt: er. Egal, ob ich auf dem Nokia-Klotz mühsam SMS eintippte, oder nach meiner Matura das Zehn-Finger-System erlernte und nun stolz über die Tastaturen glitt: Ihn vergaß ich nie. 

Gleichzeitig veränderte sich meine Kommunikation. Ich sprach weniger und schrieb mehr, vor allem, seit ich mit Anfang 20 ein Smartphone bekommen hatte. Die meisten der Texte, die ich nun schrieb, dienten längst nicht mehr dem Genuss, sondern der Terminvereinbarung, waren schnelle Kommentaren in sozialen Medien. Für ein Kontakthalten mit Freund*innen und Familie brauchte es keine ausführlichen E-Mails mehr, geschweige denn Briefe. 

Ich tippe nun mit zwei Daumen, von unterwegs, in der Kälte, auf der Toilette. Für ihn werden Platz und Zeit knapp. So ertappe ich mich bei dem Gedanken, er müsse ja nicht überall dabei sein. Den anderen fehlt er ja auch nicht, und führen die nicht auch erfolgreiche Leben? Meine Treue zu ihm scheint mir nun geradezu altmodisch, ja sogar peinlich. Also vernachlässige ich ihn. 

Es geht leichter, als ich dachte. Und weil all die anderen, die ihn ohnehin nie gemocht hatten, es auch machen, fällt seine Abwesenheit immer weniger auf. Mir fehlt er manchmal noch: der Beistrich.

Zum Gendern:
Ich mag das Gendersternchen, also Freund*innen, weil es elegant, inklusiv und nicht zuletzt platzsparend ist. Zudem versuche ich, wann immer möglich, auf Ausdrücke zurückzugreifen, die keine Zuordnung zum Geschlecht zulassen, also beispielsweise „Studierende“ statt „Student*innen“.