Bestimmt gibt es in Ihrem Leben Menschen, denen Sie einst nahe standen. Nun haben Sie aber schon lange nichts von ihnen gehört. Angenommen, Sie würden nun wieder Kontakt aufnehmen, wäre das per Mail oder telefonisch?
Der Großteil der Teilnehmer*innen einer Versuchsreihe, die an der Universität von Chicago durchgeführt wurde, bevorzugte laut Angabe die Kontaktaufnahme per Mail. Warum? Beim Telefonieren fürchteten sie unangenehme, peinliche Momente. Die beiden Forscher, die ihre Ergebnisse kürzlich im Fachjournal Journal of Experimental Psychology veröffentlichten, wiesen die Teilnehmenden an, alte Freund*innen zu kontaktieren. Ob sie telefonierten oder mailten, wurde ihnen zugewiesen. Das Ergebnis: Wer anrief, fühlte sich der Person stärker verbunden. Und die Telefonate waren längst nicht so peinlich wie befürchtet.
Das funktioniert übrigens auch, wenn wir mit Fremden kommunizieren, wie das zweite Experiment der Versuchsreihe zeigte: Zwei Menschen, die sich gar nicht kannten, mussten einander persönliche Fragen beantworten, entweder per Chat, telefonisch oder als Videoanruf. Wer einander hören konnte, fühlte sich näher – und die Gespräche waren weniger peinlich als erwartet. Das Video machte übrigens keinen Unterschied.
Das Durchschnittsalter der Studienteilnehmer*innen des ersten Experiments betrug rund 20 Jahre, es ist also jene Generation, die ein Leben ohne Internet nicht mehr kennt. Verlernen die Menschen, die vor Bildschirmen groß werden, das Kommunizieren? Und schadet ihnen das? Wer davon überzeugt ist, verweist gerne auf Studien, die zeigen, dass der Anstieg von psychischen Erkrankungen bei Teenagern mit der Verbreitung des Smartphones korreliert.
Viel wird in diesem Bereich spekuliert, schließlich ist unklar, was Ursache und was Wirkung ist. Die Studie aus Chicago liefert einen Hinweis: Kann es sein, dass wir mit unseren digitalen Geräten schlicht nicht richtig umgehen? Telefonieren tut uns gut, denn die menschliche Stimme erlaubt uns, sich in andere hineinzuversetzen. Dadurch fühlen wir uns anderen stärker verbunden. Beim Lesen allein fällt uns das schwerer. Das Problem ist: Diese positiven Auswirkungen beziehen wir in unsere Entscheidungen nicht ein, weil wir uns so sehr vor den Risiken fürchten. So ein paar Schweigemomente am Telefon sind eben kaum zu ertragen. Oder?