Veronika Bohrn Mena über die Notwendigkeit des Neinsagens
Es heißt, Kunst und Kultur wären eine ‹Leidenschaft› und schon diese Wortkreation beschreibt das gesellschaftlich breit akzeptierte Klischee der brotlosen Künstler*innen, die sich aus ihrer Liebe zur Kunst einem Leben in Armut hingeben. Das Ideal der von der Muse Geküssten, die gar nicht anders können, als ihrer Fantasie freien Lauf zu lassen, kennt kein Aufmucken gegen Hungerlöhne und kein «Nein» zu unsicheren Verträgen. Schließlich ist die Liebe zum Schaffen Belohnung genug, gar ein Wert an sich. Wer einen Auftrag bekommt, kann sich glücklich schätzen, als Künstler*in überhaupt eine Legitimation erhalten zu haben. Folglich heißt es auch, sich doch bitte einfach eine seriöse, ‹richtige› Arbeit zu suchen, wenn die Gage zum Überleben nicht ausreicht. In dieser so weit verbreiteten und wenig hinterfragten Ansicht liegt die Wurzel allen Übels begraben. Schon der Nachwuchs hat das höchste Gebot verinnerlicht, das besagt: Spick deinen Lebenslauf erst mit Referenzen, Empfehlungen und großen Namen, ehe du an Geld denken darfst.
Experimentierfeld Kunst und Kulturarbeit
Wenig verwunderlich ist es daher auch, dass unbezahltes Arbeiten, egal ob nun «Praktikum», «Volontariat» oder «Ehrenamt» genannt, im Kunst- und Kulturbereich schon lange gang und gäbe war, bevor es sich auch in allen anderen Branchen etabliert hatte. Das gleiche gilt für tageweise Aufträge, Projekte und Anstellungen für kurze Zeiträume, ohne jede Sicherheit und ohne abschätzen zu können, wieviel Geld in den kommenden Monaten auf dem Konto eingehen wird. Somit war und ist diese Branche immer auch eine Art Experimentierfeld für Auftraggeber*innen: Dort lässt sich gut erforschen, wie weit man gehen kann, ehe die Irritation über ein Angebot so stark ausfällt, dass es schließlich doch reicht und es auf ein «Nein» der Arbeitnehmer*innen stößt. Was in so prestigeträchtigen und durch hohe Einzelmotivation gekennzeichneten Berufsbildern sichtbar wird, ist sozusagen die Spitze des Eisbergs. Er besteht aus absurden Vertragskonstruktionen, dreisten Geschäftsmodellen und Hungerlöhnen, die am Arbeitsmarkt gerade
noch möglich sind. Es ist das perfekte Beispiel dafür, wie sinnstiftende Arbeit zum Privileg umgedeutet wird, für das es sich in Ehrfurcht zu bedanken gilt, anstatt adäquate Konditionen zu fordern.
Was es braucht
Doch vielerorts hält sich auch die Solidarität der ansonsten sozial engagierten Mitmenschen für Kulturarbeiter*innen in Grenzen. Es wird übersehen, dass es nicht darum gehen darf, verschiedene prekär arbeitende Gruppen miteinander zu vergleichen, oder gegeneinander auszuspielen, sondern dass es um die Ablehnung von prekären Arbeitsbedingungen an sich gehen muss. Es ist keine Lösung, Elementarpädagog*innen oder Pfleger*innen vorzuschlagen, sich einen anderen Job in einer besser bezahlten Branche zu suchen; das gleiche gilt für Künstler*innen und Kulturarbeiter*innen und letztlich egal welchen Beruf. Schließlich ist es genau unsere Spaltung, die Vereinzelung unter den Beschäftigten, die das größte Problem im Zusammenschluss gegen schlechte Arbeitsbedingungen darstellt. Als Einzelperson lässt es sich gegen strukturelle Missstände und Ungerechtigkeiten nicht vorgehen. Das notwendige Gewicht, das es braucht, um sich in einer schwächeren Position durchsetzen zu können, entsteht erst durch ein breites Kollektiv. Hier liegt zugleich auch die große Chance der Kulturarbeiter*innen, denn kaum eine andere Gruppe hat so eine große Bühne, um sich und ihren Anliegen Gehör und Aufmerksamkeit zu verschaffen. Und auch dafür brauchen wir Kunst und Kultur: um zu reflektieren und uns so lautstark wie kritisch mit dem auseinanderzusetzen, was in unserer Gesellschaft falsch läuft.