Jein

Am Anfang hat es noch so ausgeschaut, als würde sich jetzt tatsächlich etwas ändern, im öffentlichen Diskurs. Mit den Grünen und der ÖVP haben sich zwei Parteien zum Regieren zusammengetan, deren inhaltliche Differenzen unübersehbar sind. Und obwohl einiges an Kritik laut wurde am Umgang mit diesen Differenzen, so gab es doch auch Stimmen der Hoffnung. Stimmen, die hier eine Chance für eine Renaissance des politischen Disputs sahen. Eines Disputs, in dem die notwendigerweise unterschiedlichen Interessen verschiedener Bevölkerungsgruppen benannt und damit auch erkannt werden dürfen.

Mittlerweile sind aber die Boxkampfmetaphern wieder auf dem Vormarsch. Weil sich Nachrichten vom Gewinnen und Verlieren halt besser verkaufen als jene vom Abwägen und Diskutieren. Das mag auch mit der sich ihrer Vollendung zustrebenden Digitalisierung zu tun haben, deren alles umfassende Binarität eben nur ja oder nein, schwarz oder weiß, entweder – oder kennt. Die fifty shades of grey sind im Softporno-Schmuddeleck gelandet und unser Potential, Mehr- und Vieldeutigkeit auszuhalten, verkümmert.

Einen erfolgreichen Versuch, Graubereiche zu erkunden, hat die Filmemacherin Ulli Gladik unternommen. Für ihren Dokumentarfilm Inland hat sie drei FPÖ-Wählerinnen vor und nach der 2017er Nationalratswahl begleitet. Sie hört ihnen mit Ausdauer und Hingabe zu, bleibt auf Augenhöhe und biedert sich doch nie an. Wenn nötig, widerspricht sie und sie spricht die Widersprüche an, in die sich die drei immer wieder verwickeln. Das Bild, das entsteht, weist weit über die Leben ihrer Protagonist*innen hinaus. Es erzählt von einer Gesellschaft zu Recht Unzufriedener, denen es eben nicht gelingt, die eigenen Interessen zu benennen. Gladik macht deutlich, wie wichtig es ist, Mehr- und Vieldeutigkeit aller Art als Erkenntnismöglichkeit zu begreifen. Ambiguitätstoleranz nennt die Wissenschaft dieses bemerkenswerte Konzept, das davon ausgeht, dass eindeutige Werthaltungen und die Erkenntnis, dass es so gut wie immer verschiedene Wege zum Ziel gibt, kein Widerspruch sind.

Weil es eben manchmal ein Jein braucht, wenn es darum geht, autoritären Tendenzen wirksam entgegen zu treten.