Editorial

Liebe Endlichen,

Hören Sie die sieben Posaunen? Spüren Sie den weltweiten Aufschwung rechtspopulistischer Kräfte, das Erodieren der EU? Bemerken Sie die Klimakrise? Sehen Sie die Kluft zwischen Arm und Reich? Fühlen Sie die Entsolidarisierung unserer Gesellschaft? Fragen Sie sich manchmal, ob wir am Abgrund einer demokratischen, liberalen Weltordnung stehen, ob Menschenrechte ein Ablaufdatum haben? Hegen Sie ab und zu fundamentale Existenzängste? Sie sind damit wohl nicht allein. This is the end of the world as we know it – und das nicht, weil Sie die letzte KUPFzeitung dieses Jahrzehnts in der Hand halten, sondern weil uns prä-apokalyptische Narrative umgeben und genügend Menschen daran glauben.

Hellhörig und dünnhäutig haben wir Endzeitstimmungen aufgefangen, versucht, ihren Ursprung zu ergründen, ihre Funktion zu erklären und darin Handlungsmöglichkeiten und Resonanzräume aufzuzeigen: Im Gespräch mit Ekaterina Degot, Kuratorin des Steirischen Herbsts, und Sebastian Linz, Co-Kurator des Open Mind Festivals, lernen wir etwa, wie(so) man den Untergang gebührend feiert (S. 14 f.). In einer ‹Streetview Deluxe› hören wir Abgesänge auf das Patriarchat, den Tourismus und die Heimat – von Lydia Haider, Stefan Heinisch und Vina Yun (S. 6 f.). Madlyn Sauer erzählt von Abgründen der Kunstfreiheit im Deutschland der AfD (S. 13) – Simone Seymer und Christian Winkler von den Abgründen der initiativen Salzburger Kulturarbeit (S. 22 f.). In der neuen Netzkolumne von Anna Goldenberg kündet Google vom Ende der Streitkultur (S. 25) und zu Ende geht auch eine Ära in der Musikkolumne: Ana Threat, die ab 2020 nicht mehr für uns schreiben wird, erhält darin ein kleines Denkmal (S. 26). Danke für dein mit uns geteiltes Wissen!
Dass in Erzählungen des Endlichen durchaus Potential liegt, zeigen andere Beiträge: Georg Hauptfeld skizziert mit Ágnes Heller die Dystopie als Ausweg (S. 12), während Aaron Bruckmiller für die Utopie beziehungsweise Revolution plädiert (S. 10 f.).

Weshalb Endvorstellungen problematisch sein könnten und daher zurückgewiesen werden sollten, besprechen pädagogische Vermittler*innen aus dem Lern- und Gedenkort Schloss Hartheim (S. 8 f.), unsere Sozialkolumnistin Dorothea Dorfbauer (S. 7), die kritische Posthumanistin Janina Loh (S. 18 f.) und Beckett-Exeget Simon Nagy (S. 21).

Was kommt nach dem ‹Ende›? Was wird aus dem Kulturland Oberösterreich nach den Erschütterungen des letzten Förder-Skandals? Wird der Finanzierungs-Gürtel der Kulturinitiativen wieder enger geschnallt? Wird Bad Ischl 2024 (Gratulation! S. 28 f.) ein zweites Hallstatt? Wer wird Österreich regieren, Budgets und Rahmenbedingungen festlegen? Kann es ohne EU-Kommissionsposten für Kultur weitergehen oder braucht es einen Kulturstreik? Wie werden wir zwischen Selbstausbeutung, Entfremdung und Prekariat in Zukunft arbeiten und (über)leben können? Yvonne Gimpel blickt dafür in unserem Leitartikel in Abgründe der Kulturpolitik.

Wenn wir eines aus zyklischen Götterdämmerungen lernen können, dann dies: Erzählungen eines Endes bedingen die eines Anfangs, Existenzangst braucht somit auch -mut und -kampf. Auf in neue Roaring Twenties mit Gebrüll!

Katharina Serles für die Redaktion