Vom Regen in die Traufe

2009 wurde das oberösterreichische Kulturleitbild einstimmig im Landtag beschlossen. Die Ankündigung des Landeshauptmanns und Kulturreferenten Thomas Stelzer, nun ein neues Leitbild erarbeiten zu wollen, sorgt für Irritation. Die fortschrittlichen Kräfte werden sich dem Prozess zur Entwicklung des Leitbilds aber nicht verweigern können, analysiert Klemens Pilsl.

Das (noch) aktuelle Kulturleitbild (KLB) gilt längst nicht als abgearbeitet: Lediglich die darin genannten Vorhaben zu landeseigenen Kultureinrichtungen wurden erledigt. Dies betrifft vorrangig millionenschwere Investitionen ins Betongold: neues Musiktheater, neue Privatuni, neue Landesbibliothek, etc. Jene Aspekte des (noch) geltenden KLB, die sich darüber hinausgehenden kulturpolitischen Entwicklungszielen widmeten, wurden bislang tendenziell ignoriert. Die versprochene «völlige Gleichstellung der Geschlechter im Kultur- und Kunstbereich», die für die freie Szene am Land so wichtige «Stärkung der regionalen Zentren», die «Einrichtung eines eigenen Förderprogramms für innovative Kultur- & Medienprojekte» sowie eines «Förderungsschwerpunktes für medienpädagogische Initiativen» – allesamt unerledigt. Oder schlimmer: unter Kulturreferent Stelzer ins Gegenteil verkehrt. Speziell kleine Frauen- und Kulturprojekte sind seit seinem Amtsantritt mit harten Förderkürzungen konfrontiert.

«Ziel ist es, dem kulturellen und künstlerischen Arbeiten im Land ein neues grundlegendes Fundament zu geben», sagt nun Stelzer. Es erstaunt fast, dass er sich mit Kulturpolitik beschäftigen möchte – hat er sich doch bislang als Kulturreferent kaum zu kulturpolitischen Reizthemen positioniert. Stelzers Kulturverständnis lässt sich aber aus seiner Budgetpolitik ableiten: Konzentration auf Landeskultureinrichtungen samt Stärkung ohnehin populärer Formate. Gleichzeitig die budgetäre Marginalisierung des zivilgesellschaftlichen, zeitgenössischen Kulturschaffens. Sparkurs.

Soll das neue Leitbild (KLBneu) also für eine späte kulturpolitische Profilierung herhalten? Den budgetären Rückzug auf Pflege der ‹eigenen› Kultureinrichtungen
und Kürzung des Rests legitimieren? Oder, wie die Auftaktveranstaltung befürchten lässt, einfach nur schöne Worte für wenig Inhalt finden? Wohl von allem ein bisschen und obendrauf: den breiten und hegemonialen Kulturbegriff (‹Gießkanne›) von Stelzers Vorgänger, dem Landeshauptmann a. D. Josef Pühringer, überwinden. Beunruhigend ist, dass nun – im Gegensatz zu 2009 – eine kulturpolitisch engagierte FPÖ in der Landesregierung sitzt. Wenn wir nicht aufpassen, ersetzen bald Volkstümelei und reaktionäre Identitätspolitik die Positionierungen des KLB: Dort verwehrt man sich wenigstens auf dem Papier gegen Rassismus und Männerwirtschaft und bekennt sich zu migrantischer Kulturarbeit, kultureller Nahversorgung und der gesellschaftspolitischen Relevanz der Kulturinitiativen.

Die Ausgangslage für die freien Kulturschaffenden ist nun paradox: Einerseits wurde man im Entstehungsprozess für das letzte KLB stark eingespannt und auch im Papier stolz präsentiert, in der Praxis aber beinhart ausgebootet. Kaum eine Maßnahme aus dem aktuellen KLB zur Verbesserung der prekären Lage der Szene wurde angegangen. Andererseits ist vom KLBneu tendenziell eine weitere Verschlechterung des Standings der Freien zu erwarten – schlimmstenfalls spielt man darin gar keine Rolle mehr.

Ob man also mag oder nicht: Es wird – auch im Hinblick auf bessere Zeiten – wichtig sein, sich ab Herbst 2019 erneut an den öffentlichen Verfahren zur Entstehung des KLBneu zu beteiligen. Dass dieser offene Prozess dem Vernehmen nach von der Landeskulturdirektion selbst (anstatt wie international üblich von unabhängigen Prozessgestalter*innen) durchgeführt werden soll, wird es nicht leichter machen. Kulturarbeit ist kein Honiglecken.

Klemens Pilsl ist ehrenamtliches Vorstandsmitglied der KUPF. Bereits in Ausgabe #160 der KUPFzeitung schrieb er über die Hintergründe und Inhalte zum bestehenden KLB: „The Rise and Fall of the Kulturleitbild OÖ