Wieso das neue Kulturleitbild Ein- statt Vielfalt verspricht, erläutert Anna Fessler.
Über kulturelle Teilhabe und die Bedeutung transkultureller Impulse wird viel gesprochen – doch wie sieht es mit Teilhabe an kulturpolitischen Entscheidungen aus? Überprüft man etwa die Einladungspolitik zur Diskussionsphase um das neue Kulturleitbild für Oberösterreich (KLBneu), ergibt sich folgendes Bild: Zwar sprach Landeshauptmann Thomas Stelzer in der Zeitschrift OÖ Kulturbericht 04/19 davon, «alle Interessierten» einzuladen und das Leitbild «offen und transparent» diskutieren zu wollen, doch reichten die Versprechen nicht weit. Nur zwei Wochen vor der ersten Veranstaltung wurden Einladungen per Post an ausgewählte Personen und Einrichtungen verschickt. Dabei waren mit Arcobaleno und PANGEA zwei transkulturell agierende Vereine vertreten, während andere, die seit Jahren wichtige Arbeit in diesem Feld leisten – wie die Black Community Oberösterreich, JAAPO, maiz und migrare – nicht miteinbezogen wurden. Ihre Expertise und die vieler anderer bleibt im kulturpolitischen Diskurs ungenutzt.
Top-down statt Bottom-up
Daraus kann nur eine Kulturpolitik von oben nach unten entstehen. Das Wort «Partizipation» wird zwar gerne verwendet, wenn es um Kultur geht. Doch tatsächliche Partizipation bedeutet Entscheidungsmacht. Nur so ist gewährleistet, dass die Forderungen der Zielgruppe auch realisiert werden.
Wie eine Mitarbeiterin von maiz es auf den Punkt bringt, ist die Frage «Was braucht ihr?» bereits eine «paternalistische Position», da sie Migrant*innen als schwach und hilfsbedürftig darstellt. Darüber hinaus beschreibt sie eine Abwärtsspirale der Partizipation, «wenn die Interessen der befragten Gruppen nicht umgesetzt werden.» Das zeigt sich etwa an den massiven Kürzungen im Integrationsbereich, die Vereinen die Existenzgrundlage entziehen und Selbstermächtigung unmöglich machen.
Ein Kampf gegen Windmühlen
«Migrant*innen sind keine Opfer, sie sind Menschen, die aktiv mitgestalten», so die maiz-Mitarbeiterin weiter. Die Mitgestaltung wird aber oft nicht zugelassen. Die demografische Realität spiegelt sich weder im kulturellen Angebot noch in der politischen Repräsentation wider. So reicht es einfach nicht aus, Kulturvereine zu fördern, die Programm von, mit und für Migrant*innen machen. Es braucht politische Vertreter*innen für diese Bevölkerungsgruppe, besonders in leitenden Funktionen. Und: Empowerment-Versuche dürfen nicht blockiert werden. «Interessant sind oft die Reaktionen auf unsere Mitsprache: ‹Wer seid ihr, dass ihr glaubt, euch hierfür Raum zu nehmen, dass ihr mitreden dürft?› – Als ob bestimmte Kulturen nur von bestimmten Menschen beansprucht oder mitgestaltet werden könnten…», meint S. Abena Twumasi, Obfrau des Vereins JAAPO.
Kultur Neu Denken
Aber welche Maßnahmen müssten gesetzt werden, damit die Ansagen zu Offenheit und Transparenz keine leeren Worthülsen bleiben? Vera Lujic-Kresnik von migrare stellt klar: «Der erste Schritt wäre, die Tür aufzumachen und eine Einladung zu schicken. Wir sind gerne bereit zu einem Erfahrungsaustausch miteinander. Es gibt eine Vielzahl von Menschen, die den Anschluss finden möchten – auch im Kulturbereich. Die Hand auf der anderen Seite fehlt!». Auch das Argument, es bestünde kein Interesse an Kultur(-politik) gilt nicht, wie Twumasi einmal mehr erläutert: «Wie soll ich mich angesprochen fühlen, wenn ich mein Leben lang mit Kulturbildern aufwachse, wo so gut wie keine Personen abgebildet sind, mit denen ich mich identifizieren könnte, vor allem als Woman of Color?»
Am Abend der Veranstaltung Kultur Neu Denken – Ein neues Kulturleitbild für Oberösterreich war jedenfalls kein heterogenes Publikum anwesend. Bei dem Startschuss zur Entwicklung des Kulturleitbilds fielen häufig Begriffe wie Diversität, Intersektionalität, Transkultur und es wurde Kritik an Top-down-Prozessen geübt. Auch der Terminus ‹Kultur› war umstritten: Es gäbe gar keine oberösterreichische Kultur seit dem demografischen Wandel unserer Gesellschaft. Diese Inputs wurden stichwortartig festgehalten. Doch wird sich zeigen, ob sie auch tatsächlich in die Schaffung des KLBneu miteinbezogen und schlussendlich umgesetzt werden, oder ob es sich um reine Alibipolitik handelt. Das Denken in ‹Migrant*innenkultur› versus ‹(Ober-)Österreichische Kultur› ist jedenfalls der falsche Ansatz – und alles andere als ‹neu gedacht›.
Anna Fessler lebt seit 2012 in Linz, wo sie 2018 ihr Studium der Bildenden Kunst abschloss. Nach einer Mitarbeit im Frauenmuseum Hittisau ist sie seit März 2019 für die interne und externe Kommunikation beim Kulturverein PANGEA zuständig.
Weiterführende Links
Arcobaleno – Verein Begegnung – Arcobaleno Interkulturelles Begegnungszentrum
→ arcobaleno.info
Black Community OÖ – Beratung, Workshops, Vernetzung für Migrant*innen und Einheimische
→ black-community-ooe.net
JAAPO – für Partizipation von Women of Color
→ jaapo.at/de
maiz – autonomes Zentrum von & für Migrantinnen
→ maiz.at
migrare – Zentrum für MigrantInnen OÖ
→ migrare.at
PANGEA – Werkstatt der Kulturen der Welt
→ pangea.at