Donna Haraway lockt uns in schwirrend pulsierende Denkmanöver. Mit Phantasie, Courage und einem wertschätzenden Blick fabuliert sie behutsam, nahezu liebevoll aber radikal einen Weg in eine Multispeziesgesellschaft. Es geht schließlich um alles: Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft aller Lebewesen und Generationen.
Die Philosophin und Kulturwissenschafterin kritisiert „die Skandale jener Zeit die Anthropozän und Kapitalozän genannt werden“. Im Zentrum des zerstörerischen Wütens steht die Spezies Mensch. Lebensraum, menschliche und nichtmenschliche Lebewesen und ihre Geschichten werden vernichtet, zerstört und ausgelöscht. Dabei hält der Mensch unbeirrbar am eigenen Geltungsdrang, sowie an kapitalistischen und dualistischen Credos fest. Haraway rüttelt an tradierten Überzeugungen, fasst alle lebendigen Kreaturen unter dem Begriff „Kritter“ zusammen und fordert: „Macht euch verwandt, nicht Babys!“.
Es geht darum, Verwandtschaft breiter zu denken als rein biologisch und reproduktiv. Haraway spricht damit auch die Problematik der steigenden Population an. Denn sie wolle dieses heikle Thema nicht der rechten Politik überlassen, erklärte sie im Live-Skypegespräch mit Karin Harrasser, das in der Reihe relatifs von der Kunstuniversität Linz gemeinsam mit der Gesellschaft für Kulturpolitik veranstaltet wurde.
Medien- und Kulturwissenschafterin Karin Harrasser hat Haraways Buch Staying with the trouble ins Deutsche übersetzt. Unruhig bleiben bedeutet „den problematischen Verhältnissen treu zu bleiben, sich denen immer wieder neu anzunähern und sich auch wirklich auszuliefern. Dafür steht auch das Tentakuläre. Sich affizieren lassen und sich bewusst sein, dass die eigenen Gewissheiten begrenzt sind“, erklärt Harrasser im Radiogespräch mit Kulturwissenschafterin Julia Grillmayr. Diese wiederum widmet sich dem „glitschig und ausufernden Theoriemilieu“ im Wissenschaftspodcast superscience me auf Radio Orange. Während im Hintergrund der beunruhigende Hypno Trash Cassette Vol. X2 Sound von Musikerin und KUPFzeitungs-Kolumnistin Ana Threat zu hören ist, erfahren wir, dass Threat schon mal im Oktopuskostüm auf der Bühne steht. Im Interview mit dem Magazin skug zitiert Threat Haraways Motto im Original „Make kin, not babies“.
In Linz verwies Haraway auf den dekolonialen Charakter ihres Werks und machte deutlich: „We must change the story“. Dafür kann es nur förderlich sein, Banden und Allianzen zu bilden, sich verwandt zu machen, Kompliz*innen zu haben und an Haraways Worte zu denken: „Es ist unsere Aufgabe Unruhe zu stiften, zu wirkungsvollen Reaktionen auf zerstörerische Ereignisse auf zu rütteln, aber auch die aufgewühlten Gewässer zu beruhigen, ruhige Orte wieder aufzubauen.“
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Unruhig bleiben
Die Verwandtschaft der Arten im Chthuluzän
von Donna J. Haraway. Aus dem Englischen von Karin Harrasser
Campus Verlag 2018
ISBN 9783593508283