Ulrike Guérot fordert eine „europäische Renaissance“ – anlässlich der Wahlen in Frankreich und Deutschland.
Triumph, Trikolore, die Ode an die Freude auf dem Louvre nach dem Wahlsieg und eine Fahrt über die Champs Élysées bei Amtsantritt: Frankreichs jüngster Präsident hat Großes vor und beherrscht die Sprache der Bilder. On attends Macron et puis on démarre, sagte mir ein junger Franzose. Wir warten auf Macron und dann geht’s ab. Schluss mit „alte-Herren“-Politik à la Sarkozy und Hollande, Schluss mit Korruption und Kleptokratie, mit Singer-Songwriterinnen und Frauenaffären im Élysée. Frankreich hat Sehnsucht nach Entstaubung, nach Bewegung und Aufbruch. Ein geschundenes, streikgeplagtes und selbstgequältes Land hat am 7. Mai aufgeatmet und mit ihm ganz Europa. Macron hat in Frankreich in etwa so gewirkt wie eine Ampulle VitaSprint, eine Dosis Energie für den stressgeplagten Körper. Wird es wirken?
Man kann es nur hoffen, aber leicht wird es nicht. Das Bemühen, alles anders zu machen, ist erkennbar: die Hälfte des Kabinetts Frauen, das Gros der KandidatInnen für die anstehenden Parlamentswahlen aus der Zivilgesellschaft, von bedeutenden Umweltschützern hin zu Nobelpreisträgern in Mathematik. Macron ist Europas Justin Trudeau: because it‘s 2017! Ab durch die Mitte mit seiner neuen Liste, die von rechts wie links alles einsammelt, was in Frankreich einen Namen hat und kompetent ist. In der neuen Regierung sind viele, die ein gutes europäisches Adressbuch haben, z. B. die neue Verteidigungsministerin Sylvie Goulard, die zuvor für MoDem – Mouvement des Démocrates – im EP saß; gleich mehrere Minister sprechen fließend Deutsch, z. B. Wirtschaftsminister Bruno Le Maire. Ein Zeichen an Deutschland: Frankreich biegt europäisch ab. Macht Deutschland mit, ist mithin die Frage, und sie wird u. a. am 24. September in Berlin entschieden.
Kaum war nämlich die Erleichterung über den Wahlsieg Macrons verflogen, wurde von deutscher Seite schon wieder scharf geschossen, vor allem von Seiten der CDU. Von Günther Oettinger bis Volker Kauder erschallte das alte Lied von ‚Frankreich-müsse-reformieren‘, ‚keine-Eurobonds‘ oder ‚keine institutionellen Veränderungen der Eurozone‘. Nicht dazugelernt, möchte man meinen, war doch das maßgeblich deutsche (Miss-)Management der Eurokrise für das weitgehend rurale Frankreich einfach nicht passend und dies wiederum einer der Hauptgründe für das Erstarken von Marine Le Pen. Darum ist Macron damit angetreten, dass ein ‚Weiter-so‘ mit Blick auf die Eurozone nicht geht – und Deutschland wird ihm bei dieser zentralen Forderung entgegen kommen müssen. Merkel hat das bei Macrons Antrittsbesuch in Berlin schon ein klitzekleines bisschen getan; ob ihr die Partei im Wahlkampf dabei folgt, ist die Frage.
Wichtig ist, dass hier nichts Neues verhandelt wird. Was Macron will, ist die Wiedervorlage alter Dokumentenmappen. Bankenunion, Einlagensicherungsfonds, Haushalts- und Fiskalunion oder die Verbesserung der politischen Legitimität der Eurozone, all das steht bereits im 5-Präsidentenbericht der EU vom Dezember 2012. Es ist weder originell, noch häretisch. Es steht auch – vielleicht täte es der CDU gut, sich daran zu erinnern – schon im Schäuble-Lamers-Papier von 1994. Es ist nur endlich Zeit, diese Dinge energisch in Angriff zu nehmen. Einen Euro-Finanzminister hat übrigens Wolfgang Schäuble höchstpersönlich in seiner Karlspreisrede 2012 gefordert. Es geht eigentlich nur darum, die Ziererei abzulegen. Und der Tatsache, nämlich dass der Euro unter gegebenen Governance-Strukturen wahrscheinlich nicht mehr lange von Bestand ist – was wirtschaftlich ebenso wie politisch für Deutschland fatal wäre – konsequent durch eine Reform der Eurozone Rechnung zu tragen.
Das weiß man in Berlin auch in hartgesottenen Kreisen schon lange. Man weiß nur nicht, wie man es seinem Kinde, in diesem Fall dem deutschen Wähler, sagen soll, dem viel zu lange die Mär von faulen Griechen oder reformunfähigen Franzosen erzählt wurde. Doch die Stimmung dreht sich gerade in Deutschland. Vielen Deutschen wird langsam klar, dass es in Europa womöglich mehr zu verlieren gibt als Geld, wenn es nach den Wahlen keinen Deal mit Macron gibt. Sollte Angela Merkel diesen Stimmungswechsel mit gewohntem Gespür am 25. September aufgreifen, dann hat sie eine Chance, in ihrer vierten Amtsperiode, in der sie nichts mehr zu verlieren hat, als Wegbereiterin einer europäischen Renaissance in die Geschichtsbücher einzugehen, anstatt als diejenige, die die europapolitische Tradition der Partei von Adenauer und Kohl zu Grabe getragen hat.