Im Oktober war ein Team von Radio FRO für fünf Tage in Albanien, um beim Aufbau eines Freien Radios zu helfen. Ob es ein solches bald gibt, wird man erst sehen. Ein kurzer Bericht von Christian Diabl über ein Land, das kaum jemand auf dem Radar hat.
Albanien hatte bislang einen Fixplatz in den Über-uns-Erzählungen heimischer Freier Radios. Bislang waren wir der Meinung, nur Albanien wäre beim Aufheben des Rundfunkmonopols noch langsamer gewesen als Österreich – zu Unrecht, wie wir festgestellt haben. Tatsächlich hat Österreich die rote Laterne ganz alleine. Bei uns dürfen Private seit 1995 Rundfunkmedien betreiben, in Albanien schon einige Jahre länger. Freie Radios gibt es trotzdem noch keine, obwohl sie das Land bitter nötig hätte.
In den Schluchten des Balkan
Wir sind in Shkodra im Norden Albaniens. Die 100.000 EinwohnerInnen-Stadt liegt am gleichnamigen See und ist nur wenige Kilometer von der montenegrinischen Grenze entfernt. Im Umland erheben sich zerklüftete und unzugängliche Berge, altes Stammesgebiet, wo der Staat noch immer wenig zu sagen hat und Drogen für den Export angebaut werden. In der Stadt selbst merkt man davon nichts, ganz im Gegenteil: Die zentrale Fußgängerzone erinnert mit ihrem mediterranen Flair eher an Bibione oder Grado und die Pasta schmeckt besser als in Italien selbst. Trinkt man hier einen Kaffee, hat man das ganze religiöse Spektrum im Blick. Eine Moschee am einen Ende, eine orthodoxe Kirche am anderen und dazwischen die katholische Kathedrale. Albanien ist ein multireligiöses Land und das Zusammenleben scheint gut zu funktionieren. So erfahren wir mit Staunen, dass Ehen zwischen KatholikInnen und MuslimInnen hier kein Problem, ja nicht einmal Thema sind. Wie anders Albanien in dieser Hinsicht ist, zeigt sich, wenn Kosovo-AlbanerInnen zum Badeurlaub kommen. Die streng bekleideten und teilweise verschleierten Badegästen aus dem Nachbarland lösen nämlich bei Einheimischen bestenfalls Kopfschütteln aus. Zwar kannte auch Albanien vollverschleierte Frauen, allerdings waren das die Katholikinnen, was uns gleich nochmal zum Staunen bringt.
Vom Kaiser bis zur Liesl Gehrer
Auffällig ist die starke österreichische Präsenz in Nordalbanien – historisch wie aktuell. Zuerst waren die Habsburger Schutzmacht für diesen katholischen Teil der osmanischen Provinz, dann Geburtshelfer bei der Unabhängigkeit und schließlich willkommene Besatzungsmacht im Ersten Weltkrieg. All das hat Spuren hinterlassen. Die Menschen mögen Österreich, auch wenn sich hier heute vor allem rot-weiß-rote Banken und Versicherungen tummeln. Dann gibt es noch die Österreichische Schule, die von der ehemaligen Unterrichtsministerin Gehrer initiiert wurde und jungen AlbanerInnen seit sieben Jahren eine HTL-Matura bietet. Die Schule hat letztlich auch uns hierher gebracht, denn der Anstoß zu dem Projekt kam von einer ehemaligen FRO-Redakteurin, die dort unterrichtet. Ihre SchülerInnen hängen im Jugendzentrum Arka ab, das unser eigentlicher Projektpartner ist. Hier soll ein Freies Radio entstehen und Radio FRO unterstützt das Projekt im Rahmen des Erasmus+ Programms der EU.
Zuerst sind wir fünf Tage in Shkodra, dann kommen die KollegInnen zum Gegenbesuch nach Linz. Unser Plan ist es, Inputs zu liefern, Erfahrungen weiterzugeben und Jugendliche mit Radioworkshops für das Medium zu begeistern. Das Freie Radio von Shkodra steckt aber – wie sich bald herausstellt – erst in den Kinderschuhen. Die ursprünglich geplante Kooperation mit dem neuen Medienzweig der Österreichischen Schule kommt wie der ganze Unterrichtszweig vorerst nicht zustande und damit bleibt das Arka beim Aufbau des Radios alleine. Ein ständiges Team hat sich noch nicht formiert, wir treffen eher vorsichtig Interessierte, was uns aber nicht daran hindert, unser Programm durchzuziehen. Wenn wir nicht gerade in Sachen Radio unterwegs sind, werden wir herumgereicht und kommen uns ein bisschen wie eine diplomatische Delegation vor. Wir treffen Entwicklungshelfer und Museumsdirektoren, Journalisten und PolitikerInnen. Ganz offensichtlich ist das Freie Radio nur ein Projekt von vielen, die im Arka gepusht werden. Impulse und Geld dafür kommen fast immer aus dem Ausland. Bleibt die Finanzierung aus, ist es auch schnell wieder vorbei.
Alle wollen weg
Vielleicht erklärt das die rege Betriebsamkeit, die im Arka herrscht. Es gibt ein Hostel, ein Tonstudio, W-Lan und eine Bar. Im Hof wird geraucht und getratscht. Schon zum Inventar gehört eine US-Amerikanerin namens Megan, die für das „Peace Corps“ in Shkodra stationiert ist und alle möglichen Projekte anregt und umsetzt. Für sie ist das Jugendzentrum nicht nur Kooperationspartner, sondern auch Büro und Konferenzraum. Wann immer wir das Arka betreten haben – Megan war bereits hier. Ansonsten trifft sich hier die junge „Elite“ Shkodras, Kinder aus besserem Hause, die mehrere Sprachen sprechen und gute Chancen haben, Albanien bald verlassen zu können. Das ist auch das große Ziel von Marina, die wir hier kennenlernen. Die 19jährige hat an der Österreichischen Schule maturiert und wird schon bald bei einem IT-Unternehmen in München arbeiten. Marina beeindruckt uns durch ihre Eloquenz, Bildung und Weltläufigkeit, und es ist schade für das Land, dass sie es schon bald verlassen wird.
Sie ist keine Ausnahme. Beinahe alle wollen weg. Schon jetzt gibt es 4 Millionen Pass-AlbanerInnen, bei knapp 3 Millionen Einheimischen. Die Geldüberweisungen an die zurückgebliebenen Familien sind ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. Die Sehnsucht nach dem Ausland ist auch eine Bürde für das neue Freie Radio, denn gerade diejenigen, die sich dafür interessieren, bleiben nicht. Im letzten Jahr gab es im Arka bereits einige Monate ein Internet-Radio – hauptsächlich Musik, aber es war ein Anfang. Heute sind alle Beteiligten weg und die Aufbauarbeit beginnt wieder von vorne. Angesichts der ökonomischen Lage ist das kein Wunder. Es gibt kaum Arbeit und wenn, dann schlecht bezahlt. Ein Job in einer der vielen italienischen Schuh- und Unterwäschefabriken gilt noch als Glücksfall. Das Land leidet bis heute an den Folgen von Isolation und Diktatur. Zwar gibt es freie Wahlen und Parteien, von einer kritischen Öffentlichkeit und funktionierenden Rechtsstaatlichkeit ist man aber noch weit entfernt. Nicht besser sieht es in der Medienlandschaft aus. Obwohl jede Kleinstadt eigenes Radio und Fernsehen hat, sind kritische Qualitätsmedien in dieser Masse kaum auszumachen.
Widersprüchliches zum Bier
Abends sitzen wir mit Marina im Schwarzen Schaf, einer gemütlichen, alternativen Kneipe, in der ab und an Rockkonzerte gespielt werden. Hier lernen wir eine weitere Facette der albanischen Gesellschaft kennen, die man auf den ersten Blick nicht vermuten würde. Albanien ist in weiten Teilen nach wie vor eine streng patriarchale Gesellschaft. Autoritäre Väter und archaische Ehrbegriffe prägen immer noch viele Familien. Sogar ein Lokal wie das Schwarze Schaf hat zwei Gastgärten, einer davon ist für Familien bestimmt, also Frauen und Männer, während im hinteren Teil eigentlich nur Männer sind. Frauen riskieren ihren guten Ruf, wenn sie sich alleine dort aufhalten. Das ändert sich zwar, aber nur langsam. Zumindest Marina scheint aus einer liberaleren Familie zu kommen, sie wirkt deutlich distanziert, als sie von den Geschlechterverhältnissen erzählt und weist uns augenzwinkernd darauf hin, dass sie angesichts der Dunkelheit eigentlich längst zuhause sein müsste.
Zivilgesellschaft braucht Freie Medien
Was Albanien braucht, um eine funktionierende Demokratie zu werden, braucht auch das Freie Radio, um überleben zu können: Eine Community, auf die es bauen kann, eine starke Zivilgesellschaft mit Vereinen, NGOs und Kulturzentren, Menschen, die sich engagieren. Davon wird der Erfolg letztlich abhängen. Wir haben ein Land kennengelernt, das sich in einem unendlich langsamen und mühsamen Transformationsprozess befindet, für den ein Freies Radio einen wichtigen Beitrag leisten könnte. Im November folgt der Gegenbesuch in Linz. Wir sind gespannt.