Stella Rollig war seit 2004 künstlerische Direktorin im Linzer Kunstmuseum Lentos, seit 2011 auch des Stadtmuseums Nordico. Im Jänner 2017 übernimmt sie die künstlerische Leitung des Belvedere. Ein Interview von Dagmar Höss.
Dagmar Höss: Deine Bestellung als Belvedere-Leiterin war nicht planbar. Allerdings gehst du nun in einem kulturpolitisch brisanten Moment weg aus Linz: Förderungen werden gekürzt oder gestrichen, das Atelierhaus Salzamt gar geschlossen. Wie siehst du diese kulturpolitische Situation?
Stella Rollig: In Linz haben wir derzeit nicht nur kulturpolitisch, sondern insgesamt eine brisante Situation. Die Stadtregierung hat sich zum Ziel gesetzt, 20 Mio. Euro des Jahreshaushalts einzusparen. Man sollte im Blick behalten, dass die Kürzungen nicht nur, aber stark Kultur und Kunst sowie deren ProtagonistInnen und Institutionen betreffen. Natürlich ist es sehr schade, wenn das Salzamt geschlossen wird, weil es eine wichtige Einrichtung ist – nicht nur für lokale KünstlerInnen, sondern für das Standing von Linz im überregionalen und internationalen Kontext.
Ich gehe aber nicht in einem Moment des Kahlschlags in Bezug auf die Museen der Stadt Linz. Lentos und Nordico sind weitestgehend „verschont“ von Kürzungen geblieben, aber man weiß nicht, was die Zukunft bringt.
„Eine Kürzung und ein Verschwinden künstlerischer Aktivitäten bedeutet eine zunehmende Verrohung der Gesellschaft.“
Welche Legitimation haben Kunst und Kultur in einer weltpolitischen Situation, in der tagtäglich über die Aushebelung von demokratischen Prozessen oder über Millionen Flüchtende berichtet wird? Braucht es Kunst und Kultur noch?
Unbedingt! Man müsste Kunst und Kultur stärken anstatt sie zurückzufahren – gerade in einer gesellschaftlich so prekären und angespannten Situation. Kultur ist ein sehr weiter Begriff, bleiben wir einmal im Bereich der Künste – mitgedacht auch Literatur, Theater, Musik u.a. Dies ist ein Bereich, in dem Bildung stattfindet, in dem die Frage nach Identitäten gestellt wird – in einem inklusiven, generösen Sinn: Wer sind wir? Was ist kulturelles Erbe? Mit wem können wir uns austauschen?
Das sind wichtige Fragen und die Potenzen der Künste sind vorhanden: In ihrem Bereich sind Menschen einerseits mit sich alleine und in ihrer Subjektivität angesprochen. Andererseits bilden sich soziale Gemeinschaften, weil man sich über die Künste mit anderen verständigen möchte. Man lernt selbständig zu denken, Fragen zu stellen und zu beantworten. Eine Kürzung und ein Verschwinden künstlerischer Aktivitäten bedeutet eine zunehmende Verrohung der Gesellschaft.
„Es gibt ja Personen, die bei qujOchÖ tätig sind und im BB15 ausgestellt werden und dann hier in unserer Reihe Raum Lentos auftreten.“
Wie siehst du in diesem Aspekt das Verhältnis von der sogenannten Hochkultur zur freien oder Subkultur?
Es ist meine Überzeugung, dass das eine nicht ohne das andere existieren kann und soll. Bedauerlicherweise gibt es immer wieder ein Ausspielen gegeneinander. Dann ist die Rede von den großen Tankern, die alles kriegen. Nun braucht aber einmal eine Staatsoper strukturell bedingt mehr Geld als ein kleiner Kunstverein. Schön wäre, wenn man die beiden Bereiche nicht gegeneinander ausspielen würde, es gibt ja so viel dazwischen, nicht nur schwarz-weiß.
Natürlich gibt es einen Unterschied zwischen einem Kunsthistorischen Museum Wien und einem Lentos und so weiter bis zu den kleinen Künstlerinnen-Initiativen. Aber alle sind wichtig – und es gibt heute eine Durchlässigkeit. Das sieht man im Lentos, wenn man beobachtet, welche Personen aktiv sind bzw. gezeigt werden. Das betrifft den kuratorischen und den künstlerischen Bereich – es gibt ja Personen, die bei qujOchÖ tätig sind und im BB15 ausgestellt werden und dann hier in unserer Reihe Raum Lentos auftreten. Das ist ja alles nicht säuberlich separiert.
Ich bin keine Politikerin und ich würde auch keine sein wollen.
In einem Interview hast du erklärt, dass du in Linz u.a. das politische Handwerk gelernt hast: Was sind für dich dabei die wesentlichen Aspekte?
Ich finde es jetzt fast ein bisschen vermessen, es politisches Handwerk zu nennen. Ich bin keine Politikerin und ich würde auch keine sein wollen. Aber ich habe zu verstehen gelernt, wie Politik funktioniert. Eine einzelne Politikerin kann heute sehr wenig bewirken, mag sie noch so gute Ideen oder so gute Ziele haben. Die Politik ist gefangen in einem Korsett ständigen Interessenabgleichs von Kompromissen, alles unter den Augen einer leider sehr missgünstigen medialen Öffentlichkeit. Ja, das muss man verstehen und – ich weiß nicht, ob ich das wirklich zur Meisterschaft gebracht habe, ich glaube eher nicht – man muss diese Mechanismen bedienen, wenn man sich mit der Politik auch irgendwie verbrüdern oder verschwestern möchte.
Ist es nötig, sich als Leiterin eines Museums mit der Politik zu verbrüdern?
Nehmen wir nicht dieses Wort, es hat einen unangenehmen Beigeschmack. Aber in der Leitung einer öffentlichen Institution arbeitet man im öffentlichen Auftrag und PolitikerInnen sind die gewählten VertreterInnen der Öffentlichkeit. Man muss Konsens mit ihnen herstellen und man muss sich mit ihnen austauschen. Es ist ganz wichtig, den Dialog zu suchen, um Verständnis für die eigene Arbeit, Ziele und Werte zu vermitteln und umgekehrt den politischen Partner zu verstehen.
Leider ist es bis heute nicht gelungen, einen anderen Katalog an Benchmarks einzuführen, es sind und bleiben die Besucherzahlen.
Gibt es in den großen Museen und Institutionen eigentlich noch die Freiheit der Kunst und der kuratorischen Arbeit oder geht es nicht eher um BesucherInnenzahlen, Quoten und Publikumswirksamkeit?
Es gibt kaum mehr Museen, die nicht an ihren BesucherInnenzahlen gemessen werden. Das bedeutet natürlich auch eine Orientierung daran in der Programmierung, man lernt, ein bisschen anders zu denken. Im Lentos haben wir immer die Ausstellungen, die vielleicht ein bisschen schwieriger sind, in den Sommer gesetzt, weil dann keine Schulklassen kommen, die vielleicht wegbleiben könnten. Im Belvedere hingegen müssen die besonders zugänglichen Ausstellungen im Sommer sein, weil dort alles viel mehr auf TouristInnen ausgerichtet ist. Leider ist es bis heute nicht gelungen, einen anderen Katalog an Benchmarks einzuführen, es sind und bleiben die Besucherzahlen.
Wünschenswert ist, dass die Politik sich nicht von den Medien verunsichern lässt, indem man auf jede Besucherschwankung sofort reagiert. Das verunsichert und senkt das Vertrauen in die Institution. Das hat eigentlich nur Negativwirkung.
Was fehlt deiner Meinung nach jetzt gerade Linz?
Ein Netzwerk und Austausch zwischen den kulturellen Einrichtungen. Ich selber habe den auch nicht initiiert, aber vielleicht wird es jetzt wirklich dringlich. Natürlich gibt es einen Austausch auf personeller Ebene der LeiterInnen der Kunstinstitutionen – für mich z.B. mit Landesgalerie und Offenem Kulturhaus –, aber eigentlich sollte nicht so ein Unterschied gemacht werden zwischen der sogenannten Hochkultur und der Freien Szene. Es müssten eigentlich alle miteinander reden und Forderungen erstellen, man wäre dann auch der Politik gegenüber stärker.
War das nicht eine im Kulturentwicklungsplan der Stadt Linz verankerte Grundidee?
Ja, durchaus! Das geht dann wieder schnell verloren. Ich glaube, es heißt Kirchturmdenken, wenn jeder nur für seinen Bereich denkt. Davor ist niemand gefeit, aber ich glaube, auf eine nachhaltig wirksame Weise wäre es bestimmt besser, wenn man mehr gemeinsame Sache machen würde.
Stella Rollig: Kunsthistorikerin, Kulturmanagerin, Autorin; ab 1996 Bundeskuratorin für bildende Kunst, Mitbegründerin des Depot. Kunst und Diskussion. In Linz unterrichtete die Wienerin an der Kunstuniversität und kuratierte im Offenen Kulturhaus, bevor sie die Leitung des LENTOS übernahm. Rollig gilt als akribische und engagierte Arbeiterin, ihr gelangen gelungene Ausstellungen von internationalem Format. Schwer tat sie sich mit den Linzer Verhältnissen: Mediale Angriffe und mangelnde politische Rückendeckung begleiteten sie.
Am 17.10.2016 wurde ihr Abgang ins Belvedere bekanntgegeben. „Ein herber Verlust für Linz“, twitterte die überraschte KUPF.