Freie Kulturarbeit und der analoge öffentliche Raum. Aus der Perspektive einer Kulturarbeiterin macht sich Edith Huemer ein paar Gedanken über das Ausverhandeln von und das Zusammenleben im öffentlichen Raum.
50 Cent
„Hätten Sie vielleicht 50 Cent für mich?“ Eine Frau, ärmlich gekleidet, bittet mich um Geld. Mitten, sagen wir, in einer Fußgängerzone in Linz. Auf einem Plakat. Das wäre nach den derzeitigen Regelungen völlig rechtens. Spricht mich die Frau persönlich an, macht sie sich strafbar. In größeren Zonen des öffentlichen Raums der Stadt Linz ist es verboten, Menschen um Geld zu bitten, von Angesicht zu Angesicht. Wenn eine kommerzielle Firma ihre Produkte bewirbt oder eine NGO zum Spenden aufruft und dazu Plakatwerbung nutzt, mich also vom Plakat her anspricht, geht das in Ordnung.
Ein Mensch spricht mich persönlich an. Das kann ich schwer ignorieren, ich nehme es bewusst wahr. Ein Plakat oder ein Bildschirm bewirbt stumm eine Sache: Ich nehme es wahr, vielleicht weniger bewusst als einen Menschen, dennoch beeinflusst mich die Botschaft. Beides passiert im öffentlichen Raum – also in dem Raum, der irgendwie und eigentlich uns allen gehört.
Die persönliche Auseinandersetzung von Mensch zu Mensch wird hier eingeschränkt, gar zu verhindern versucht. Ihr Wert, ihr Umsatz ist nicht messbar und für andere nicht gewinnbringend. Profitabel hingegen sind Werbeflächen im öffentlichen Raum, gerne auch von Firmen in Parteibesitz. Auch Werbeflächen werden reglementiert, ebenso wie Straßenmusik und Betteln. Warum wir das Eine aber viel eher in Kauf nehmen als das Andere, frage ich mich. Für mich hängt das zusammen mit der Frage, wie wir den öffentlichen Raum wahrnehmen und ihn nutzen wollen.
Nicht nur sehen und gesehen werden
Der öffentliche Raum wird stark visuell wahrgenommen. Das Leben im öffentlichen Raum hat aber auch noch andere Komponenten. Scharfer Uringeruch oder die frische Luft an der Donaulände, das Hupen von Autos und die „Let it be“-Interpretation der Straßenmusikerin. Das Pärchen, das die gesamte Gehsteigbreite blockiert, die Demo, die über die Landstraße zieht, die Spinnen im Schaufenster eines Geschäfts, das seit Jahren leer steht. Die Freundin, die ich schon viel zu lange nicht mehr gesehen habe, die eben vorbeiradelt, die ich gleich umarmen werde. Der ich einen Flyer in die Hand drücke, für die kommende Veranstaltung meines Vereins.
Aufgerollte Plakate im Rucksack und mehrere Stöße Flyer, Tucker und Klebeband, die Schere wieder einmal zu Hause vergessen – eine Ausstattung, die jede Kulturarbeiterin kennt. Genauso wie eine imaginäre Karte aller Orte, an denen es ihr erlaubt ist, zu plakatieren und Flyer aufzulegen. Mein Verein erhält öffentliche Förderungen, weil er Aufgaben übernimmt, die eigentliche Aufgaben des Landes, des Bundes, meiner Kommune sind – nämlich Menschen mit Kultur, vielleicht auch mit Bildung, zu versorgen.
Wohin man schaut …
Die Orte, an denen ich für lau plakatieren kann, sind rar und der Platz begrenzt. Die Formenvielfalt der kommerziellen Werbenutzung öffentlicher Flächen nimmt zu. Allein im öffentlichen Verkehr findet sich eine Vielzahl an Möglichkeiten. Werben kann man am Bahnhof, auf der Bushaltestelle, auf den Monitoren in der Straßenbahn – sogar die Bahnen und der Bus selbst können als Werbemittel durch die Gegend düsen. Lange Zeit war es auch möglich, den Namen eines Zuges zu kaufen, Zug-Patronanzen nannte sich das. Weitere Werbung richtet sich an Autofahrer/innen, Passant/innen und an Schanigartensitzer/innen. Sogar wer mit hängendem Kopf durch die Stadt spaziert, kann von Werbung angesprochen werden. Diesen umfangreichen Versuchen, um Aufmerksamkeit zu buhlen, kann mein Kulturverein wenig entgegensetzen.
Wir fragen uns daher, wo unsere Plakate am gezieltesten wirken. Kommerzielle und damit belebte Flächen am Stadtrand nehmen zu, damit einhergehend stehen Räume in der Innenstadt leer. Während die Qualität von Einkaufszentren als öffentlicher Raum diskutiert werden kann, steht zur Debatte, wie viel öffentliches Leben in Stadtzentren stattfindet. Wenn Menschen überhaupt nur noch in Autos aneinander vorbei fahren, um in sogenannten Fachmarktzentren ihre Erledigungen zu besorgen, ich weiß nicht, was ist das für 1 öffentliches Leben?
Gar nicht mal so utopisch
Jedenfalls stehen Geschäftslokale in Innenstädten leer und damit potentielle Flächen zum Plakatieren im öffentlichen Raum. Diese Lokale eignen sich nicht nur zum Plakatieren, sondern auch dazu, in ihnen und aus ihnen was zu machen, aber darum soll es jetzt nicht gehen. Wäre es nicht großartig, könnten wir Kulturarbeiter/innen auf diesen Flächen unsere Veranstaltungen präsentieren, unsere Arbeit vermitteln? Und damit im innerstädtischen öffentlichen Raum präsent sein und Öffentlichkeit mit unserer Kulturarbeit beleben? Fragen wird man ja noch dürfen.
Eine Frage, die auch als Forderung interpretiert werden kann und fast schon utopisch klingt. Es sei denn, man nehme den Kulturentwicklungsplan NEU der Stadt Linz aus dem Jahr 2013 zur Hand und liest dort (Link: http://kep.public1.linz.at/4-freie-kunst-und-kulturszene-fordern/) in Kapitel 4 die durchaus konkrete Wunsch-Maßnahme 7: Die Stadt Linz „unterstützt bei der Bereitstellung und Optimierung von kostenlosen Werbeflächen im öffentlichen Raum und in städtischen Kultureinrichtungen, unter anderem in Form von Plakatflächen, Aushangtafeln und Litfasssäulen, um Kulturvereinen sowie Kunst- und Kulturschaffenden bessere Bewerbungsmöglichkeiten für ihre Projekte, Ausstellungen und Veranstaltungen zu bieten.“
Den digitalen öffentlichen Raum gibt es ja auch noch, aber das ist ein anderes Kapitel.
Foto: Transparent an der Hauswand der Linzer KAPU. Credit: Christian Diabl.
Plakatieren gehört nicht zu Edith Huemers Lieblingsbeschäftigungen, aber wie Bierausschenken zu den Basiskenntnissen jeder Kulturarbeiterin. Gelernt hat sie beides im OKH Vöcklabruck. @EdithHuemer kommuniziert digital, als nächstes für das Business Riot Festival und die Diagonale.