Wer von öffentlichem Raum spricht, soll auch über Kunst nicht schweigen. Franz Koppelstätter und Christoph Weidinger darüber, was Kunst im öffentlichen Raum alles sein kann und, dass sie auch von Kulturinitiativen ausgehen kann.
Zur Frage, was Kunst alles ist und sein kann, sind schon Bibliotheken gefüllt worden. Öffentlichkeit könnte juridisch genauso wie sozialwissenschaftlich oder medientheoretisch besprochen werden. Was Raum ist, kann man bei Georg Simmel, Michel Foucault, Henri Lefebvre oder Martina Löw nachlesen, ohne danach einen vollständigen Begriff davon zu erhalten. Das Thema ist reichlich umfangreich und dieser Text wird wohl nur ein kleiner Abriss dazu werden.
Räume beherrschen
Die Definition von öffentlichem Raum ist durchlässig, er umfasst mehr als die Flächen im Eigentum einer Körperschaft öffentlichen Rechts. Giovanni Battista Nolli hat das mit der Nuova Topografia di Roma, 1748 veröffentlicht, anschaulich dargestellt. In diesem detaillierten Plan von Rom zeigt der Kupferstich Straßen und Plätze als weiße, Bebautes als schwarze Flächen, wie wir das von Stadtplänen kennen. Das Besondere an dieser Grafik ist, dass die Innenräume von Kirchen und Palazzi – also zugänglichen Gebäuden – ebenfalls weiß dargestellt werden.
Kirchen sind nun keine öffentlichen Räume, sie sind ganz klar institutionell beherrscht. Sie sind aber auf die Öffentlichkeit von Gläubigen oder auch von Schaulustigen angewiesen. Richtig wäre, und das ist das Spannende an Nollis Plan, diese Kirchen und Palazzi als halböffentlich zu bezeichnen. Zeitgenössische Entsprechungen dafür sind zum Beispiel Einkaufszentren, Flughäfen oder Bahnhöfe.
Wie genau das Zusammenspiel von Mensch und Raum funktioniert, ist Gegenstand permanenter Auseinandersetzung. Unter anderem wird mit künstlerischen Mitteln darüber verhandelt, wer, wann, wo, wie und was tun darf. Beispielsweise in der Aktion TRANSITION EXCLUSIVE des Kollektivs qujOchÖ 2009 am Linzer Hauptbahnhof. Mit den Insignien der OBB (sic) ausgestattet, kontrollierten die Performer willkürliche, selbst aufgestellte Verhaltensregeln zu Schönheit, Sauberkeit und Effizienz und überzeichnen so den exklusiven Charakter dieser Transitzone.
Geschichten erzählen
Das Format dieser Aktion reiht sich in eine vor circa fünfzig Jahren einsetzende Entwicklung ein. Ausgehend von skulpturalen Objekten und Wandmalereien, hin zu installativer, vergänglicher und aktionistischer Kunst. Das Bezaubernde an diesem paradigmatischen Wandel ist, wie sich die Art und Weise Raum zu produzieren dadurch erweitert hat. Die Erzählungen über konkrete Orte erzeugen in uns eine Vorstellung von Raum, die stetig verändert wird. Anders als eine Reiterstatue, eine Gedenksäule oder ein Wandrelief manifestieren sich temporäre Interventionen nicht physisch, sondern reihen sich in eine fortgeschriebene Erzählung ein. Orte brauchen Geschichten, um Bedeutung zu erlangen, und diese Geschichten müssen weitererzählt werden.
Kunst kann hierfür einen Rahmen schaffen. Josef Trattner etwa reist mit einem roten Sofa aus Schaumstoff herum und macht an unterschiedlichen Orten Halt, um für eine kurze Zeit eine Agora en miniature entstehen zu lassen, 2009 beispielsweise am Stift Kremsmünster. Das Möbel – in diesem Fall sogar mehrere davon – ist dabei eine Markierung, die den Ort für Begegnung, Diskurs und Kommunikation anzeigt. Schließlich sind es nicht Dinge und Objekte, die unsere Lebensumwelt formen, sondern das, was wir als Menschen darin sehen und daraus machen.
Unsichtbares zeigen
Auch ohne solche Platzhalter kann es gelingen, Geschichten in den öffentlichen Raum einzuschreiben. Im NS-Konzentrationslagerkomplex in Gusen, unweit von Mauthausen, wurden zehntausende Menschen ermordet. Kurz nach Kriegsende verschwanden die Lagerstrukturen, das Areal wurde parzelliert und überbaut.
Um 1965 errichtete die Mailänder Architektengruppe BBPR (teilweise KZ-Überlebende) und Wilhelm Schütte (vormals Ehemann der weitaus bekannteren Architektin Margarete Schütte-Lihotzky) ein Memorial, das heute noch eingezwängt zwischen Einfamilienhäusern steht. Der riesigen Ausdehnung der Lager Gusen I und II und des nahe gelegenen unterirdischen Flugzeugwerkes Bergkristall kann dieses brutalistische Kleinod nicht gerecht werden.
2007 realisierte der Künstler christoph mayer chm. mit dem Kulturverein TRIBÜNE und anderen einen Audioweg. Der macht es möglich, die verschwundenen Orte der Erinnerung wieder zu besuchen. Mit einer Soundcollage aus Erzählungen und Berichten von Zeitzeugen im Ohr bewegt man sich etwa eineinhalb Stunden durch die Gegend und erhält so einen Eindruck von dem, was man nicht mehr sehen kann.
Politik ändern
Kunst hat nicht die Aufgabe, politisch zu sein, aber sie hat das Potential, eine politische Öffentlichkeit zu generieren. Das geschieht in Linz im Rahmen gut ausgestatteter Festivals und Einzelveranstaltungen oder biennal beim nomadischen Festival der Regionen. Der Haken daran: Weite Teile des Landes kommen nicht in diesen Genuss. Dabei wären die notwendigen Mittel vorhanden. 1,5 % der Investitionen, die für Hochbauten des Landes Oberösterreich ausgegeben werden, sind für Kunst am Bau vorgesehen. Verwendet werden diese Gelder großteils für applizierte Objekte und Installationen – oft dekorativ, selten kritische Auseinandersetzung.
Eine Änderung dieser Praxis, wie sie im oberösterreichischen Kulturleitbild von 2009 vorgeschlagen wird (S. 26), ist bislang noch nicht erkennbar. Niederösterreich, und mittlerweile auch Wien und die Steiermark, hat sich für einen anderen Modus entschieden. Dort werden diese Gelder gebündelt und gezielt kuratorisch für die Realisierung von Kunst im öffentlichen Raum eingesetzt. Die Ergebnisse sind oft vergänglicher, dafür verlieren sie nicht so leicht den Anschluss an ihre Zeit.
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