Anton Bruckner gilt als heiliger Klangpatron der heimischen Kultur. Vereinnahmung statt Auseinandersetzung erkennt Norbert Trawöger im Umgang mit der Ikone. Ist dies symptomatisch für die heimische Kulturpolitik?
Balduin Sulzer bezeichnete den Genius loci als „Wallfahrtsort für musikfromme OberösterreicherInnen“. Wallfahrtsorte sind Bitt- und Dankorte für jene Menschen, die (daran) glauben. Wunder sind nicht ausgeschlossen. Wundern auch nicht. Jetzt wird es aber katholisch. Ja, das war er, der Bruckner. Ein Musikant Gottes. Mein Gott. Dem hat er auch seine Neunte gewidmet. Mit der ist er nicht fertig geworden, wie mit so manch anderem in seinem Leben. „Bruckner, ein einfältiger Mensch – halb Genie, halb Trottel.“, soll Kollege Gustav Mahler geäußert haben. Anekdoten gibt es genug. Hingekniet hat er sich vor seine Orgel im Alten Linzer Dom und beim Abschied aus Linz „Lebewohl“ in die Seitenwand eingraviert. Ein Popstar war er, ein Weltstar als ekstatischer Orgelimprovisator. Gefeiert von tausenden ZuhörerInnen in London oder Paris. Auf Tour hätte er groß gehen können, der skurrile Mostschädel. Aber der devote Sturkopf blieb lieber zu Hause und dran an seinem Werk. Mit Vierzig sagte er dann „es gilt” und warf gültige Symphonien auf den Markt. In immer neuen Fassungen. Ein Zweifler, vielleicht auch. Zu Lebzeiten gespielt von den Philharmonikern. Letztlich einer, der seiner Musik auf der Spur war bis zum genialen Gehtnichtmehr.
Ein Werk sollte aber niemals mit seiner Schöpferin verwechselt werden. Die Person Bruckners fassen zu wollen, bedarf Auseinandersetzung. Das rurale Image wird unhinterfragt und kreuzfidel weitertradiert. Linz09 hat ihn gleich bei seinem Eröffnungsakt als Volltrottel auftreten lassen. Und damit alle Fragen geklärt. Das ist symptomatisch für den heimatlichen Umgang. Bemühungen, ihm näher zu rücken, mag es in wissenschaftlichen Zirkeln geben, aber öffentlich wird da wenig verhandelt. Wie es zu seinem Schöpfungsprozess überraschend wenig bis gar keine Grundlagenforschung gibt. Wen interessiert’s, ist ja wirklich nur einer der Giganten der Musikgeschichte, der zufällig in Ansfelden geboren wurde und dessen sterbliche Hülle in St. Florian fest einbalsamiert unter seiner Orgel ewig ruht. Seine Musik ist durchdrungen von oberösterreichischen Idiomen, die in der Pflege überraschend selten zu Tage befördert werden. Befreit man ihn vom Weihrauch, erkennt man schnell, dass hier ein Wegbereiter für die Moderne geschaffen hat. Bruckners Musik steht wie ein Monolith in der Musikgeschichte, der zwar tief in der Tradition steckt, aber neue Ufer aufzeigt, die sich erst in der Musik des 20. Jahrhunderts herausstellen. Er schafft verdammte Avantgarde von einer architektonischen Großräumigkeit, die nie zuvor so da war. (Hörtipp: Finale der Achten und Sie werden künftig jeden Star Wars-Soundtrack liegen lassen!)
„Ich bin hier oft sehr mißmuthig und traurig. Falsche Welt – jämmerliche Bagage“, schreibt Anton Bruckner an einen Freund. Er schreibt von Linz und da gibt es ein Haus, ein Orchester und eine Universität, die nach ihm benannt sind. Was heißt das? Fürs Orchester noch am allermeisten, da es seine Symphonien spielt. Es ist doch bemerkenswert, wie spärlich sich die Kulturpolitik für so ein „konservatives“ Thema interessiert. Gut, für den großen Tanker Neues Musiktheater ist Bruckner wenig brauchbar. Er schrieb keine Opern, dafür darf er als Vornamensgeber für das dort angesiedelte Restaurant dienen. Im Mittleren Saal des Brucknerhauses dienen ein paar Takte aus seinem Klavierstück „Erinnerung“ als Pausenzeichen. Mittlerweile könnte man dies als ironische Anmerkung hören. Längst hat sich in diesem Haus vieles verwässert, was eigentlich Grundaufgaben eines Konzerthauses sind. Aber vielleicht ist dies gar nicht mehr die Absicht und wir wurden nicht informiert. Der künstlerische Direktor Hans-Joachim Frey setzt vor allem auf Festivalschwerpunkte und richtet sich international Richtung Osten aus. So war der Putin-Freund und Cellist Sergej Roldugin, dessen Name im Zuge der Panama Papers prominent aufgetaucht ist, in den letzten Jahren häufig zu Gast. Das Brucknerfest bräuchte längst ein Reset und die Frage, wie es um die Brucknerpflege steht, wäre zu stellen. Hier kommt natürlich die spezielle Stadt-Land-Konstellation ins Spiel. Kulturpolitische oder zumindest politische Zusammenarbeit über die Stadt-Land und Parteigrenzen hinaus wäre gefragt. Doch diese liegt scheinbar noch jenseits, dort wo auch Johannes Brahms die Musik Bruckners verortet hat: „Alles hat seine Grenzen. Bruckner liegt jenseits“. Um ins Jenseits zu gelangen, müssen Grenzen überschritten werden. „Falsche Welt“, könnte man mit Bruckner sagen.