Philipp Ruchs „Wenn nicht wir, wer dann?“ gelesen von Stephan Roiss.
Die wichtigsten Mittel des «Zentrums für Politische Schönheit» (ZPS) sind: entfesselte Theaterpraxis, soziale Skulptur, Irritationen im öffentlichen Raum, provokante Medienguerilla. Mit der Unbeirrbarkeit eines Christoph Schlingensief geht man dorthin, wo es weh tut. Ende vergangenen Jahres hat Philipp Ruch, Gründer des ZPS, ein politisches Manifest vorgelegt. Es
wurde viel besprochen und überwiegend scharf kritisiert. Leider zurecht. Leider, weil der wichtigen aktivistischen Praxis des ZPS eine starke Theoriebasis zu wünschen gewesen wäre. Zurecht, weil das Buch tatsächlich haarsträubend ist.
Gutzuheißen ist freilich die Absicht des Autors. Hält er doch dazu an, sich aus politischer Lethargie zu befreien und aktiv für Menschlichkeit einzutreten. Auch der Gedanke, dass jene Lethargie von Engführungen des modernen Menschenbilds mitverursacht wird, ist richtig. Statt aber vor dem Hintergrund der problematischen Deutungshoheit der Naturwissenschaften das Eigenrecht anderer Disziplinen herauszuarbeiten, verunglimpft Ruch alle Perspektiven, in denen der Mensch nicht als Wesen mit Seele, Geist und Freiheit erscheint. Das Prinzip der methodischen Abstraktion – die Grundlage ausdifferenzierter Forschung – hat Ruch anscheinend nicht zur Kenntnis genommen. Wer gegen Freud Sturm läuft, sollte auch nicht ständig «Unterbewusstsein» sagen. Das ist nämlich genauso peinlich wie die Auffassung, die Evolutionstheorie besage, dass nur die Starken überleben. Die Ameise lässt den Tyrannosaurus an dieser Stelle ganz herzlich grüßen.
Ruch ist dem erkenntnistheoretischen Kindergarten nicht entwachsen. Er entwirft eine – alle relativistische Umsicht ablehnende – Anthropologie, nach der der Mensch sich kraft seines freien Willens und mit ausreichend Selbstdisziplin von allgemeingültigen Werten («Größe», «Schönheit») leiten lassen kann: «Wir fühlen in jedem Moment instinktiv, ob das, was wir tun, schön ist oder nicht.» Auch lässt sich für Ruch offenbar Demokratie mit ethischem Aristokratismus vereinbaren: «Macher schieben diese Welt an, während Opfer sich anschieben lassen. » Wie tief Ruch die Luft des Neoliberalismus eingeatmet hat, ahnt er nicht. Während er mit großer Vehemenz gegen diktatorische Systeme auftritt, redet er die Rolle wirtschaftlicher Ausbeutungsverhältnisse klein und sich den Kapitalismus schön. «Was ist so falsch an der Globalisierung, in der Menschen Handel betreiben und neue Märkte suchen, wie es schon die Hochkulturen der Antike getan haben?»
Dieses Buch unterfüttert eine (bis dato) fulminante Aktionskunst mit einem irrwitzig naiven, abstrusen Ideengemenge.
Philipp Ruch: Wenn nicht wir, wer dann?
Ein politisches Manifest
München 2015
ISBN 978-3-453-28071-7