Silvia Weißengruber: Arbeit und Kritik – Versuche alternativer Lebenspraktiken im Neoliberalismus.
Schon der Ausflug in die Etymologie ist erhellend, denn Arbeit ist – man glaubt es kaum – nur ganz selten ein positiv besetzter Begriff. Mühsal, Not, Strafe, Folter sind nur einige der Bedeutungen. Die KUPFzeitung beschäftigt sich regelmäßig mit dem Thema – in der Kultur, aber auch darüber hinaus, und da kommt uns die Diplomarbeit von Silvia Weißengruber gerade recht.
Sie beschreibt den Aufstieg der Lohnvertragsarbeit zum dominanten Fetisch unserer Zeit und maßgeblichen identitätsstiftenden Faktor der Gesellschaft. Vor allem aber untersucht sie die Lebensentwürfe von Menschen, die sich bewusst gegen das hegemoniale Gesellschafts- und Wirtschaftssystem stellen. Caro, Raphael, Regina und Sarah verzichten in unter- schiedlichem Ausmaß auf Lohnvertragsarbeit und arbeiten trotzdem: auf dem Hof, im Haushalt, an sich selbst, in einer NGO oder anderen politischen Zusammenhängen.
Caro etwa kombiniert ihr Engagement mit einem Teilzeit-Job in einer Werbeagentur. Raphael versucht Lohnvertragsarbeit möglichst ganz zu vermeiden und steckt seine Energie lieber in Systemkritik. Regina ist Krankenschwester und kämpft um eine Stundenreduktion zugunsten ihrer ehrenamtlichen Tätigkeit. Und Sarah lebt im Kollektiv auf einem Bauernhof, der zur Selbstversorgung dienen soll, gelegentliche Jobs aber nicht ganz ersetzen kann.
Sie alle eint die Kritik an der Rolle der Lohnvertragsarbeit als zentraler Aspekt des kapitalistischen Systems. Und sie alle kämpfen mit Mühsal und Widersprüchen, die entweder von ihnen selbst oder von ihrem Umfeld wahrgenommen werden. Natürlich auch von der Autorin. Die tut übrigens etwas, das ich noch selten in einer wissenschaftlichen Arbeit gelesen habe: Sie erklärt zu Beginn ihren persönlichen Zugang zum Thema und ihren sozialen und politischen Hintergrund. Obwohl schnell klar ist, dass es sich bei ihrem Arbeitsbegriff und überhaupt ihrem gesellschaftspolitischen Verständnis nicht um eine neoliberale Interpretation handelt, ist es interessant etwas über ihren Hintergrund zu erfahren. Damit bricht sie das starre Korsett einer wissenschaftlichen Abschlussarbeit wohltuend auf. Trotzdem ist das Buch keine leichte Kost und wer lediglich auf ein paar Inspirationen für das eigene widerständige Leben oder alternative Lebensgeschichten und -entwürfe sucht, wird enttäuscht bzw. überfordert sein. Wer sich aber eingehender mit der Bedeutung von Arbeit für ein freies und selbstbestimmtes Leben und den damit verbundenen Widersprüchen auseinandersetzen will, kann getrost zugreifen.
Grazer Beiträge zur Europäischen Ethnologie, Band 19. Jonas Verlag, 2015. ISBN 978-3-89445-508-8
jonas-verlag.de/Autoren/Weissengruber-Silvia/Arbeit-und-Kritik.html
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