2014 feierte die Migrantinnen-Selbstorganisation maiz ihr 20jähriges Bestehen. maiz ist international renommiert und außerdem Mitglied der KUPF. Im Gespräch mit der KUPFzeitung plaudern Luzenir Caixeta und Melanie Hamen über die vielen Arbeitsbereiche von maiz, über Ehrenamt und Förderungen und darüber, wie sich angriffige Zeitungsartikel aushalten lassen. Ein Interview von Tamara Imlinger.
Am 02. Juni ist „Internationaler Hurentag“. maiz organisierte wie in den letzten Jahren einen Aktionstag in Linz. Welche Bedeutung hat dieser Tag für euch?
Luzenir Caixeta: Initiiert wurde dieser Tag vor 40 Jahren in Frankreich, als Sexarbeiterinnen eine Kirche besetzten und sich so gegen polizeiliche Repressionen und die staatliche und gesellschaftliche Doppelmoral wehrten. Leider ist es heute noch immer notwendig, für die Rechte von Sexarbeiterinnen zu kämpfen. Migrantinnen bilden die größte Gruppe der registrierten Sexarbeiterinnen in Österreich. Die Zusammenarbeit mit ihnen sehen wir als Migrantinnen-Selbstorganisation als eine unserer zentralen Aufgaben. Deswegen nehmen wir diesen Tag als Anlass, um gemeinsam Öffentlichkeit zu schaffen.
Wie sieht eure Arbeit im Bereich Sexarbeit aus?
Melanie Hamen: Im Bereich Sex&Work werden Beratungen durchgeführt und Arbeitsmaterialien weitergegeben. Wöchentlich machen wir Streetwork. Bis vor einem Jahr begleiteten wir die Frauen auch zum Gesundheitsamt in Linz: Die verpflichtenden Kontrolluntersuchungen fanden dort gratis statt, wurden aber letztes Jahr eingestellt. Seither gibt es sie – außer in Steyr – nicht mehr gratis in OÖ. Wichtiger Teil unserer Arbeit sind auch Öffentlichkeits- und Lobbyarbeit und die Vernetzung mit anderen Organisationen.
Luzenir Caixeta: Sex&Work war der erste Bereich, der sich etabliert hat. Anfangs noch nicht unter diesem Namen. Die erste regelmäßige Aktivität war ein Deutschkurs für Sexarbeiterinnen. Aufgrund der vielen Fragen, die sie mitgenommen haben, kam es zu Beratungen. Auch weitere Kolleginnen und Freundinnen von Sexarbeiterinnen, die keinen Deutschkurs gemacht haben, kamen. Dann auch andere Migrantinnen, die nicht Sexarbeiterinnen waren. Unsere Angebote haben sich durch den Bedarf der Frauen ergeben und so kam es zu den sieben Bereichen, in denen wir heute tätig sind: Sex&Work, Beratung, Bildung Frauen und Jugend, Forschung, Kultur und Jugendarbeit im Rahmen verschiedener Projekte.
maiz & Wissenschaft
Was passiert im Bereich Forschung?
Luzenir Caixeta: Er ist entstanden, weil wir es irgendwann satt hatten, Informationen zu liefern, die von anderen analysiert, interpretiert und veröffentlicht werden. Durch Diskurse werden auch Realitäten produziert. Wir finden wichtig, dass unsere Perspektive auch dabei ist. Es geht nicht so sehr um das Endprodukt, sondern darum, wie es generiert wird.
Melanie Hamen: Migrantinnen werden nicht zu Forschungsobjekten gemacht. Es geht darum, Forschung partizipativ zu gestalten.
Luzenir Caixeta: Das ist ein ständiger Versuch und immer wieder eine Herausforderung. Dabei ist auch die Auseinandersetzung mit der Wissensproduktion wichtig: Wer hat die Möglichkeit mitzusprechen? Gibt es Machtverhältnisse? Welche Strukturen stecken dahinter? Es wird gleichzeitig hinterfragt und experimentiert. Die erste Forschungsarbeit überhaupt passierte im Bereich der Arbeit von Migrantinnen in Privathaushalten.
Ein aktuelles Beispiel ist das Projekt «Deutsch als Zweitsprache in der Migrationsgesellschaft», das in Kooperation mit den Universitäten Innsbruck und Wien durchgeführt wurde. Eine Publikation der Ergebnisse dieser drei Jahre Forschung ist 2014 erschienen. Die Projekte passierten bisher immer in Zusammenarbeit mit anderen Forschungseinrichtungen.
maiz & Organisation
Wie ist maiz aktuell aufgestellt und organisiert?
Melanie Hamen: Insgesamt gibt es um die 40 Mitarbeiterinnen, viele arbeiten nicht nur in einem Bereich. Für den Bildungsbereich und die Beratungsstelle gibt es Räumlichkeiten in der Linzer Altstadt. Es braucht sehr viele engagierte Frauen, damit die Arbeit so funktionieren kann, wie sie funktioniert.
Luzenir Caixeta: maiz ist für viele nicht nur Arbeitsplatz, sondern auch Ort politischer Arbeit.
Melanie Hamen: Dieser politische Anspruch unterscheidet maiz von vielen anderen Organisationen.
Wie finanziert sich maiz?
Melanie Hamen: Durch Förderungen von Bund, Land, Stadt – aus unterschiedlichen Ressorts. Das ist notwendig, weil es sieben Arbeitsbereiche mit verschiedenen Leistungen und sehr unterschiedlichen Zielgruppen sind. Die Basisfinanzierung ist allerdings nicht ausreichend. Das heißt, wir sind immer bemüht, v.a. EU-Projekte zu starten und zu initiieren, um somit eigentlich auch die Gesamtfinanzierung abzudecken.
Diese Mehrfachförderungen waren Ende April Thema eines OÖN-Artikels, in dem diese Praxis angegriffen wurde. Wie geht es euch damit?
Luzenir Caixeta: Das ist keine Überraschung, solche Angriffe gibt es immer wieder. Wer sich die Zeit nimmt und zB einen Jahresbericht von maiz in die Hand nimmt und sieht, was geleistet und was von wem finanziert wird, versteht diese Logik. Was das Projekt anbelangt, das diffamiert wurde: Es gibt eine Zusage vom Fonds Gesundes Österreich, aber mit der Auflage, dass wir eine Ko-Finanzierung brauchen. Brauchen wir! Nicht: Wir können um Ko- Finanzierung ansuchen. Sondern: Ohne Ko-Finanzierung wird das Projekt nicht stattfinden. Weil das Projekt in verschiedenen Bereichen angesiedelt ist, brauchen wir mehrere Ko-Finanzierungen. Eine Stelle sagte ein Drittel zu, unter der Bedingung, zwei Drittel von woanders zu bekommen. Es ist also keine Mehrfachfinanzierung, sondern eine zerstückelte. Viel lieber wäre uns, alles mit einer Stelle abzuwickeln, aber leider funktioniert die Logik der Fördersysteme nicht so.
Die Angriffe in diesem Zusammenhang negieren auch die Tatsache, dass maiz dadurch eigentlich bereits viel Geld für die Arbeit im Migrations- und Kulturbereich nach OÖ gebracht hat.
maiz & Essen
Das angesprochene Projekt heißt «Das Leben hat Gewicht!»: Worum geht es?
Luzenir Caixeta: Durch unsere kontinuierliche Arbeit mit jugendlichen Migrantinnen haben wir gemerkt, dass die Auseinandersetzung mit der eigenen Identität und dem eigenen Körper komplexer ist, als für Jugendliche, die die Ebene der Diskriminierung nicht tagtäglich erfahren. Das Problem Essstörung ist aufgetaucht und darum dreht sich das Projekt. Wir haben ein Konzept für ein 2- jähriges Projekt konzipiert und wollen mit anderen als den gängigen Methoden – etwa Psychotherapie – präventiv arbeiten.
Melanie Hamen: Und auch auf strukturelle Verhältnisse blicken. Und darauf, wer Zugang zu welchen Ressourcen hat.
Luzenir Caixeta: Und mit künstlerischer Vermittlung arbeiten.
Melanie Hamen: Ein transdisziplinäres Projekt!
Luzenir Caixeta: Es ist von der Methode so gedacht, dass die Jugendlichen mitgestalten, mitkonzipieren und entscheiden.
Von den OÖN wurde zumindest ein Teil des Konzepts als «Geschwafel» abgetan – wie geht ihr damit um?
Melanie Hamen: Die Verbindung von Theorie und Praxis ist wichtig und hinter diesem Antrag steckt natürlich theoretische Auseinandersetzung. Wenn das dann als Geschwafel bezeichnet wird, fehlt es wahrscheinlich an theoretischem Know-How.
Luzenir Caixeta: Wir sind dabei, uns mit unterschiedlichen Kommunikationsstrategien dazu zu positionieren. Eine Gegendarstellung in den OÖN konnten wir bisher noch nicht erwirken. Es ist fraglich, ob eine Stellungnahme hier überhaupt ein Umdenken bringen kann. Auf jeden Fall suchen wir nach Möglichkeiten, diese Öffentlichkeitsarbeit, die jetzt – sehr negativ – gemacht wurde, zu kippen.
Gab es in der Geschichte von maiz schon ähnliche Anfeindungen und Angriffe?
Luzenir Caixeta: Von der FPÖ und auch in manchen Zeitungen werden wir immer wieder stark kritisiert.
Melanie Hamen: Von rechter und rechtskonservativer Seite ist das zu erwarten.
Luzenir Caixeta: Würden diese Leute etwas Positives über uns sagen, wäre es eine große Schande.So betrachtet ist es nicht an und für sich negativ.
maiz & Zukunft
Welche Pläne und Wünsche habt ihr für die nächsten 20 Jahre?
Melanie Hamen: Ich wünsche mir, dass in 20 Jahren die Arbeit, die maiz leistet, nicht mehr notwendig ist. Auch wegen aktueller Diskussionen um Flucht und Migration ist das aber eine utopische Vorstellung.
Luzenir Caixeta: Wichtig war und ist für uns die Allianzenbildung. In Zeiten der sogenannten Finanzkrise, in denen Solidarität eher weniger wird, erwarte ich, dass das zusammen Kämpfen für gemeinsame Ziele mehr wird und, dass wir das auch spüren können. Ich habe das Gefühl, dass Rassismus oft vergessen wird.
Wir sind keine Opfer, die sagen: Bitte helft uns! Wir wissen von unserer Macht und kämpfen. Aber es ist wichtig, dass die, die eine Allianz mit uns bilden, sich bewusst sind über diese Machtverhältnisse und welche Bedeutung Rassismus hat.
Melanie Hamen: Und welche Formen er annehmen kann, auch subtile Formen.
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Zum Nachhören:
- Das gesamte Interview als Audiofile im Podcast:→ cba.fro.at
Aktuelle Publikationen von und mit maiz:
- Helga Amesberger, Sexarbeit in Österreich. Ein Politikfeld zwischen Pragmatismus, Moralisierung und Resistenz. Wien 2015. ISBN 978-3-7003-1878-1
- Deutsch als Zweitsprache. Ergebnisse und Perspektiven eines partizipativen Forschungsprozesses Linz 2014. ISBN 978-3-200-03913-1