CETA, TTIP und die Kultur

Eine Einführung von Martin Fritz.

Spröde Materien sickern entweder über Abkürzungen oder Verkürzungen ins öffentliche Bewusstsein. Im Falle des »Transatlantic Trade and Investment Partnership« ist TTIP die Abkürzung, die uns zum Begriff wurde, während das »Chlorhuhn« die Verkürzung besorgte, mit der das Thema von den Rändern in das Zentrum rückte. Dort angekommen passiert Altbekanntes: Ein euroskeptischer, nationaler Populismus drischt Phrasen und die neoliberalen Transatlantiker/innen machen dasselbe. Aus glaubwürdigeren Umgebungen ertönte zuletzt immer stärker der Ruf nach der Herausnahme »der Kultur« aus dem Geltungsbereich des Abkommens. Worum geht es eigentlich? [1]

Es geht es um die Schaffung einer Freihandelszone, die die USA und die Europäische Union umfassen soll. Innerhalb von Freihandelszonen sollen »Handelshemmnisse« weitgehend aufgehoben werden. Befürworter/innen versprechen sich von Freihandelszonen Erleichterungen und damit Wirtschaftswachstum. Insbesondere wird darauf verwiesen, dass der europäische Wirtschaftsraum in Zukunft nur gemeinsam mit Nordamerika dem »asiatischen Raum« Paroli bieten könne. Die Kritik wendet ein, dass nur große, multinational tätige Unternehmungen von Freihandelszonen profitieren und dass viele Standards in Umweltschutz, Konsumentenschutz, und Arbeitsrecht in weiterer Folge einem »Race to the Bottom« ausgesetzt wären, da hohe Schutzstandards als freihandelswidrig eingestuft werden könnten. In engem Zusammenhang damit werden jene nicht-staatlichen Schiedsgerichte kritisiert, die Investor/innen offen stehen sollen, wenn sie glauben, durch staatliche Eingriffe in ihren Interessen geschädigt worden zu sein.

Wo kommt nun die Kultur ins Spiel? Es geht um die Frage, ob in Zukunft die öffentliche Förderung kultureller Produktion als Handelshemmnis eingestuft werden könnte. Als beliebtes Beispiel gilt etwa der amerikanische Filmproduzent, der gegen die deutsche Filmförderung mit dem Ziel vorgehen könnte, diese »Bevorzugung« der deutschen Konkurrenz abzuschaffen, oder selbst in den Genuss dieser Unterstützung zu kommen. Andere Befürchtungen betreffen die Buchpreisbindung mit der – zum Schutz des nationalen Buchhandels – versucht wird, ruinöse Preisgestaltungen zu unterbinden. Erschwert wird die TTIP-Debatte durch den Umstand, dass es innerhalb eines breiten (und rechtlich schwer fassbaren) Kulturbegriffs gleichermaßen um große Medienindustrien, diverse Creative-Industries und den Kunstbereich im engeren Sinn geht.

Um hier zu differenzieren, wurde in dem vergleichbaren Abkommen CETA zwischen »Audiovisual Services«und »Cultural Industries« unterschieden. CETA, fertig verhandelt zwischen der EU und Kanada, gilt vielen als Blaupause für TTIP. Deswegen verweisen die Befürworter einer »kulturellen Ausnahme« darauf, dass Kanada für seine »Cultural Industries« genau diese zugestanden wurde. Kritisiert wird jedoch, dass die EU in CETA diese Ausnahme nur für ihre »Audiovisual Services« durchgesetzt hat. Dies würde bedeuten, dass in Europa zwar die französische Filmförderung, nicht aber die Buchpreisbindung geschützt wären, während Kanada für sämtliche Kulturbereiche die Schutzklausel in Anspruch nehmen könne.

Verfolgt man die Debatten intensiver, befindet man sich schnell in der dünnen Luft völkerrechtlicher Expertisen: Da verweisen manche auf die unveränderte Geltung der UNESCO-Konvention zum Schutz der kulturellen Vielfalt, während andere kritisch daran erinnern, dass nunmehr jene Liberalisierungen durchgesetzt werden sollen, die im Rahmen der sogenannten Doha-Runden im weltweiten Maßstab nicht durchsetzbar waren. Ausführlich werden die Unterschiede zwischen dem bisherigen System der »Positivlisten« und dem Prinzip der »Negativlisten« diskutiert: Im Falle der Positivlisten wäre der kulturelle Sektor nur dann von den Liberalisierungen umfasst, wenn er ausdrücklich genannt wird, während im System der Negativlisten spezifische, schwer definierbare Ausnahmen vom Grundprinzip der vollständigen Marktöffnung verhandelt werden müssen. [2]

Doch bevor wir uns in Expertenschaft verlieren, kehren wir zum Grundsätzlichen zurück: Rechtfertigen die Eigenheiten des Sektors »Kultur« eine Sonderbehandlung innerhalb eines Abkommens, in dem es primär um die Erweiterung und Erschließung von (Export)märkten geht? An diesem Punkt verschränkt sich die TTIP-Debatte mit der viel allgemeineren Frage nach der Aufgabenteilung zwischen staatlichen, marktwirtschaftlichen und gemeinnützigen Kräften. Neben den Förderungsmöglichkeiten geht es um die Frage nach den treibenden Kräften kultureller – und damit gesellschaftlicher – Entwicklung. So wäre es wohl verkraftbar, wenn ein US-Musicalproduzent nach TTIP auf Fördergleichbehandlung drängen würde, genauso wie es begrüßt werden könnte, wenn etwaige Quoten nicht mehr nach der Herkunft definiert wären. Unerfreulicher wirken dann schon Szenarios in denen private Anbieter/innen mit »optimierten« Angeboten die Übernahme von Bildungsmärkten einklagen. Vorstellbar wäre auch, dass sich manche Kommunen gleich vorsorglich aus jeder proaktiven, »wettbewerbswidrigen« Kulturarbeit zurückziehen, um sich nicht der Gefahr von Anfechtungen aussetzen zu müssen. Eine strukturell ähnliche Entwicklung nehmen derzeit etwa manche »Kunst am Bau«-Ansätze, die in ausgelagerten Wohnbaugesellschaften aus Angst vor Verschwendungsvorwürfen oder aus Vergabeunsicherheit gleich gar nicht mehr überlegt werden.

Doch gerade das Beispiel aus dem Wohnungsbau erinnert daran, dass es »die Kultur« auch schwächen kann, wenn sie sich nur um die eigenen Förderungen sorgt und ausschließlich im eigenen Interesse Ausnahmen fordert. Denn nur wenn es – um beim Wohnbau zu bleiben – gelingt, über die Notwendigkeit von Kunstprogrammen in einem Atemzug mit der Forderung nach leistbarem (also gefördertem) Wohnen zu sprechen, verknüpft sich die »ständische« Forderung »der Kultur« mit einem größeren Ziel. So ist auch die kulturelle TTIP-Kritik dort am überzeugendsten, wo sie nicht nur auf »kulturelle Ausnahmen« pocht, sondern darauf beharrt, dass jede Gesellschaft weit mehr frei gestaltbare Zonen braucht, als nur jene des Handels.


[1] Der Verfasser verdankt einen Teil seiner persönlichen Fortbildung der Podiumsdiskussion »Wie (ver)käuflich« ist die Kultur«, die – veranstaltet von der Gesellschaft für Kulturpolitik – im Januar 2015 im Parlament stattfand.

[2] Ein sehr hilfreiches Dossier zu TTIP, CETA etc. hat der deutsche Kulturrat veröffentlicht: kulturrat.de

 

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Martin Fritz ist Kurator, Berater und Publizist in Wien. Dieser Artikel wurde erstmals im Januar 2015 im artmagazine veröffentlicht.
martinfritz.info
artmagazine.cc

Die KUPF ist „Stop TTIP Oö“- Bündnispartnerin. Der 18. April 2015 ist transatlantischer Aktionstag gegen das Abkommen. Kundgebungen und Demonstration auch in Linz.
stopttip.at