Die Welt liegt im Argen und wer einen Blick auf die Entwicklungen des menschlichen Zusammenlebens wirft, wird sofort mit dessen Krisen konfrontiert. Klimawandel, korrupte Regierungen, Kriege, Hunger und Vertreibung sind allgegenwärtige Realität.
Durch das Wissen über die Missstände zeitgenössischer Gesellschaftsentwicklung nimmt eine Gruppe von etwa vierzig wissenschaftlicher und intellektueller Autor*innen – unterschiedlichster geografischer Herkunft und politischer Strömungen – ihre Verantwortung wahr und versucht, an einem Strang zu ziehen. Aufbauend auf einem über anderthalb Jahre lang dauernden Diskurs der Autor*innen, geben die Kulturwissenschaftler und -soziologen Claus Leggewie und Frank Adloff in diesem Jahr das Resultat des Diskurses mit einem konvivialistischen Manifest heraus. Ein Manifest des guten (Zusammen-)Lebens. Mit den einleitenden Worten in dem kleinen Büchlein werden vorerst die Grenzen des erfassenden Marktes, der Demokratie und ebenso der intellektuellen Debatten geschildert. Doch es geht nicht nur um ein Aufzeigen offensichtlicher Tatsachen, sondern auch um die direkte Kritik an den Misslagen, welche durch die kapitalistische Logik endlosen Wachstums, dem unreflektierten Ausbeuten unseres Planeten und sozialer Ungleichheiten entstehen. In dem Manifest wird die konkrete Forderung nach einer neuen radikaleren Form eines erweiterten Humanismus laut, um «neue Formen der Menschlichkeit zu entwickeln». Dazu strebt der Konvivialismus eine Synthese der politischen Ideologien des Liberalismus, Sozialismus, Kommunismus und Anarchismus an, dessen Ziel es ist, eine «dauerhafte, ethische, ökonomische, ökologische und politische Grundlage des gemeinsamen Lebens» anzustreben. Dadurch wird im Buch die Aufforderung klar, konkrete Utopien zu schaffen, welche radikal das utilitaristische Wachstum überwinden.
Die weitere Ausformung des Konvivialismus in diesem Buch kann im ersten Augenblick als populistische Fortsetzung einer Serie wutbürgerlicher Tradition gelesen werden. So hat auch die Niederschreibung eines Manifestes oft den Ruch des Glaubens daran, – hier auf 33 Seiten – die Welt damit retten zu können. Tatsächlich stellt das herausgegebene Werk ein Konsenspapier einer sehr heterogenen Denker*innengruppe dar, in der das größte Defizit der fehlende reale Ausblick ist. Durch den Kompromiss bleiben die direkten Handlungsentwürfe oberflächlich und hinterlassen einen großen Interpretationsspielraum. Dennoch geht das konvivialistische Manifest über einen bloßen Denkanstoß hinaus und zeigt einen mutigen Versuch sich im großen Stil zu positionieren.
Les Convivialistes / Frank Adloff und Claus Leggewie (Hg.), Das konvivialistische Manifest. Für eine neue Kunst des Zusammenlebens. Transcript 2014. ISBN 978-3-8376-2898-2
Kostenloser Download unter: → transcript-verlag.de
Die (Wahl-)Linzer*in Elisabeth Ertl ist bekennende Anarchafeminist*in, habiTäter*in, Mutter, Outlaw, Cyborgkünstler*in, elektronische Musiker*in und langjährige, freie Medien- und Kulturschaffende.