KINO OHNE LAND: EINE ORIGINALFASSUNG MACHT NOCH KEINE FILMKULTUR

Die Diskussion um die Bedeutung von regionalen Programmkinos wird ideologisch geführt. Ihre große Bedeutung sollte dennoch nachvollziehbar sein.

Ein letztes Mal war der Saal des Stadttheater Wels gefüllt. Viele, die dem Programmkino die Treue hielten genossen noch einmal das altgewohnte Szenario: der Kartentisch mit weißem Tischtuch im Foyer, das antiquierte Telefon über das die Saalregie mit dem Vorführer Kontakt aufnehmen konnte, die riesige Leinwand.

Viel zu oft markieren Abende wie jener des 22. Septembers 2012 das traurige Ende einer Kino-Ära. Erfreulicher die Situation in Wels: Es war der letzte Kinoabend im Stadttheater, nicht aber für das Programmkino. Das zeigt seine Filme seither im Medien Kultur Haus. Eine rare Ausnahme in einer Zeit, in der im Hinblick auf Kino drei Themen dominieren: Digitalisierung, Kinosterben und Aufführungsorte von Bewegtbild. Alle drei spielen eine Rolle, wenn es um regionale Kinos geht.

„Kinos nach der Digitalisierung – wie geht’s weiter?“ fragte kürzlich der Kinobetreiber Wolfgang Steininger. Zu Recht machte er auf die Sorgen der Kleinkinos aufmerksam. Die Argumentationslinie, warum regionale Kinos wichtig sind, darf jedoch hinterfragt werden:  Immer dann, wenn es um die Bedrohung kleiner Kinos geht, tauchen Argumente auf, die an bildungsbürgerliche Bedrohungsängste erinnern. Während man im Bereich der Musik Kategorien wie E und U zumindest als Qualitätszeichen weitgehend überwunden hat, sind solche Dichotomien seitens der ProgrammkinobetreiberInnen nach wie vor intakt. Gerne inszeniert man sich als das alternative – vulgo bessere – Kino. Ein Kino, das Filme zeigt, von denen man zu wissen glaubt, sie täten ihren SeherInnen gut, verbesserten am Ende gar die Welt. Eine Argumentation, die als ideologisch entkräftet werden kann: Nicht alles „mainstreamige“ ist Schund. Andersrum ist nicht alles, was im Programmkino läuft zwingend kulturell wertvoll. Muss es auch gar nicht. Einzig so zu argumentieren wird damit obsolet.

Für die Diskussion um die Bedeutung regionaler Kinos und in weiterer Folge um regionale Kulturangebote spielt das insofern eine Rolle, als dass immer wieder geschmäcklerisch argumentiert wird. Nicht nur das: Auch von „unabhängigen Kinos“ ist in der Aussendung die Rede. Widerlegt wird die Behauptung bereits im nächsten Satz, wenn man sich darüber mokiert, dass mit dem Ausfall öffentlicher Zuwendungen viele dieser „unabhängigen“ Kinos in ihrer Existenz bedroht sind. Im Gegensatz zu kleinen bundesdeutschen Laden- und Clubkinos, denen es tatsächlich (aus politischen Gründen) um Unabhängigkeit geht und die um den Preis niedriger technischer Standards und schlechter Ausstattung staatliche Subventionierung ablehnen, ist Unabhängigkeit hierzulande ein ideologisches Szenewort.
Stimmt nicht, würden die Programmkinos kontern: Viele der Großraumkinos an den Stadträndern gehören Filmkonzernen. Auf ihren Leinwänden laufen Filme aus dem hauseigenen Verleih und in weiterer Folge geht die vertikale Vermarktung im Kontext der Digitalisierung sogar so weit, dass es zu Monopolstellungen kommt, die eine vielfältige Film- und Kinolandschaft bedrohen. Diese Tatsache trifft zwar noch keine Aussage über die Unabhängigkeit von Programmkinos, unterstreicht aber ihre Bedeutung für die filmische Meinungsvielfalt gerade auch abseits pulsierender Konsumzentren.

Über die Notwendigkeit regionaler Kulturarbeit ist nicht nur in dieser Zeitung einiges zu lesen, sondern auch im Kulturleitbild des Landes: „Das Prinzip der Dezentralisierung folgt der freien Wahl des Lebensmittelpunktes der Bürgerinnen und Bürger.“ Wer Kultur als wichtig erachtet, wird auch folglich nicht um Filmkultur umhin kommen. Um die Notwendigkeit regionaler Kinos zu erkennen, braucht es jedoch nicht die ideologische Schlagseite gegen Großraumkinos, sondern schlichtweg eine Analyse der gesellschaftlichen Bedeutung dezentraler, vielfältiger Kulturangebote.

Michael Hanekes „Amour“ lief als letzter Film im Stadttheater Greif. Die mehrheitlich französische Erfolgskoproduktion, die allzu gerne mit semi-nationalistischem Unterton ins heimische Erbe eingegliedert wird, verdeutlicht viele Aspekte der hiesigen kulturpolitischen Diskussion um Film und Kino. Nicht von ungefähr rührt Hanekes Affinität für ein Land, das es schon früh verstanden hat, Film und Kino vollwertig in den kulturellen Kanon einzugliedern.

Es wäre wünschenswert, nicht nur Film, sondern auch Kino hierzulande ebenfalls entsprechend (finanziell) zu würdigen. Umgekehrt bedürfte es dafür freilich auch einer größeren Diskussion über Filmkultur mit all’ (!) ihren Entstehungsorten, Abspielplätzen, Festivals und Archivierungsstätten. Den Programmkinos sei bei aller Sympathie und ebenso geschmäcklerisch vor den Kopf geworfen: Auch „Rocky“ und „Free Willy“ sind geil und nicht alles was in Originalfassung läuft ist zwingend gut.  

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Anm.: Der Titel ist dem wunderschönen und gleichnamigen Buch von Ruth Kaaserer und Almut Rink (Czernin Verlag 2006) entnommen.

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Ergänzung: Zu diesem Artikel erreichten uns zwei LeserInnenbriefe.

Leserbrief  von Otto Tremetzberger (4.2.14)

Kino unter Ideologieverdacht: Nicht nur in der Politik, auch im Kulturbereich, sollte man grundsätzlich stutzig werden und genauer hinschauen wenn von der „ideologischen Schlagseite“ die Rede ist. Gerne wird auf diese Weise nämlich – und vornehmlich meistens aus der bürgerlich bis rechten Ecke – (kultur)politisches Engagement denunziert.

Peter Schernhuber kritisiert die „Selbstinzensierung“ der Programmkinos und verweist auf eine (leider nicht näher zitierte) Aussendung von Wolfgang Steininger, in welcher dieser auf die Sorgen der Kleinkinos aufmerksam macht.

Schernhuber will natürlich auch (und wahrscheinlich über das Feld der Programminos hinaus) provozieren wenn er deren in seinen Augen obsoleten Ansprüche wie „am Ende gar die Welt verbessern wollen“ , Filme zu zeigen, „die ihren SeherInnen gut (tun)“ oder das bessere Kino sein zu wollen, als „ideologisch entfkräftet“ abstempelt. Und in Frage stellt, ob noch von „Unabhängigkeit“ reden könne, wer in Wahrheit „staatliche Subventionen“ bezieht.

Wenn Peter Schernhuber in diesem Zusammenhang von „Unabhängigkeit“ als „ideologisches Szenewort“ spricht, so ist ihm der Applaus von einschlägiger Seite garantiert. Denn so etwas liest man üblicherweise bei den Subventionskürzern auf der einen und den Zukurzgekommenen auf der anderen Seite.

Was rät also Herr Schernhuber den Programmkinos? Mehr Kommerz? Dieselben Filme spielen wie im „Mega“? Wohin soll das aber führen?

Und spätestens ab hier geht es nicht nur um Programmkinos sondern um das Verständnis von Kulturpolitik generell. Eine Kulturpolitik, die ihre Haltung als „obsolet“ verabschiedet, und aufhört, sich vom „Mainstream“ zu unterscheiden, wird nicht entfesselt, sie wird, wie soll man es nennen, ja: „obsolet“.

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Leserbrief von Wolfgang Steininger (4.2.14)

Auf die Vorwürfe der „bildungsbürgerlichen Ansätze“ anlangt einzugehen, ist mir zu blöd. Mir ist die Erhaltung der großartigen Landkinostruktur in OÖ wichtig. Da ist ein pragmatischer Ansatz manchmal zielführender. Unabhängige Kulturarbeit braucht auch Räume und die nötige Infrastruktur. Bizarr wird es, wenn Peter Schernhuber technisch schlecht ausgestattete Filmclubs als Heilsbringer der Unabhängigkeit propagiert. Wenn ihm das so gefällt, frage ich mich, warum es diesen in Wels nicht schon gibt? Was für das Theater Akustik und Licht sind, sind für das Kino Bild und Ton in bestmöglicher Qualität. Und bei „Wolf of Wallstreet“ oder „Die andere Heimat“ will ich auch nicht 3 oder 4 Stunden auf Bierbänken absitzen. Das müsste ihm als Mitarbeiter der Diagonale und von Crossing Europe wohl klar sein. Die FilmemacherInnen würden seinen Festivals genau so schnell abhanden kommen wie das Publikum, das auch solche Festivals legitimiert. Funktionierende, gut ausgestattete Kinos sind auch die unverzichtbare Basis für diese Festivals. Mainstream in den Plexxen und parallel in den Arthouse-Kinos zu zeigen macht wenig Sinn, außer eben in der Originalfassung. Das tun wir auch, soweit es die Kapazitäten zulassen. Übrigens gibt es kein einziges US-Majorstudio, das in Österreich Kinos betreibt. Soviel zu seiner guten Recherche. Trotz allem lade ich Peter ein, sein Konzept eines „geilen“ Programmkinos in einem unserer Säle einen Monat lang unter unseren budgetären Beschränkungen zu verwirklichen.