Kulturelle Nahversorgung ist eine der herausragendsten Leistungen regionaler Kulturinitiativen und natürlich ein wichtiges Thema in der KUPF-Arbeit. Doch ländliche Initiativen sehen sich oft den Begehrlichkeiten und dem Rechtfertigungsdruck der Tourismuswirtschaft ausgesetzt. Dabei könnte es doch auch genau umgekehrt sein, meint Martin Fritz.
Tourismus und kulturelle Nahversorgung. Logische Allianz oder Gegensatz?
«Wie viele Nächtigungen bringt das?», war die erste Frage des Bürgermeisters von Windischgarsten nach der Präsentation der Idee, einen zentralen Platz
für die Dauer des Festival der Regionen 2007 mit einer etwas brachialen «Betonskulptur» zu belegen.Ich bin immer noch zufrieden damit, mit «Nicht viele!» geantwortet zu haben, um das Festival von der Verantwortung für die Nächtigungsstatistik freizuspielen. Der Schwerpunkt der Argumentation lag auf den kommunikativen Effekten innerhalb des Ortes und auf dem Beitrag, den ein reichhaltiges Kulturleben für das mittelfristige Überleben ländlicher Gebiete als Wohnorte leistet. Der Gemeinderat sprach sich dennoch einstimmig für das Vorhaben aus. Dass es in derselben Gemeinde möglich war, Videos mit den Aussagen von Überlebenden der Todesmärsche im April 1945 im Schaufenster des Tourismusverbandes zu zeigen, ist ein weiterer Beleg für das veränderte Verhältnis von Tourismusverantwortlichen zur Arbeit von Kulturinitiativen im zeitgenössischen Feld. In der Schwerpunktregion des Festivals der Regionen 2007 ergänzte der Umstand, dass einer der wenigen Badeseen von Mitgliedern einer Kultur-initiative gepachtet wurde, die Hoffnung auf neue Allianzen.
Logische Allianz?
Juliane Altons Befund, wie sie ihn in den Kulturrissen 02/2012 darlegt, ist also zuzustimmen, und es ist geradezu rührend, wie manchmal auch noch das kleinste Veranstaltungspflänzchen in die touristische Selbstdarstellung Eingang findet. Mit ein Grund dafür sind auch personelle Überschneidungen, da die dörflichen Aktivposten häufig mehrere Funktionen ausüben und etwa als Hoteliers, Laienschauspieler_innen und Gemeinderät_innen ver-suchen, die dringend benötigte «Attraktivierung» zu schaffen. Doch trotz aller Veränderungen muss das Verhältnis von Tourismus und kultureller Nahversorgung weiterhin als zwiespältig eingeschätzt werden. Gegen die Vorstellung einer «logischen Allianz», wie sie von affirmativen Berater_innen gerne ins Spiel gebracht wird, spricht etwa der Vergleich zwischen den touristisch hoch genutzten Regionen im alpinen Raum Tirols und jenen Gebieten Oberösterreichs, die zwar touristisch «unauffällig» geblieben sind, sich jedoch als guter Nährboden für Kulturinitiativen erwiesen haben. Aus der häufigen Arbeit in solchen Umgebungen erwuchs beim Verfasser dieser Zeilen der Verdacht, dass es gerade die Abwesenheit von Tourismus sein könnte, die eine der Motivationen für kulturelles Engagement außerhalb der städtischen Zentren darstellt.
Setzte man zu stark auf den Tourismus als Begründungs- und Finanzierungszusammenhang für Kulturinitiativen, gerieten jene Anbieter ins Hintertreffen, die zum Beispiel dafür sorgen, dass an einem kalten Novemberabend der neue Film von Lars von Trier auch in einem Alltagsort wie Kirchdorf an der Krems zu sehen ist, dessen kultureller Appetit so weit ging, sogar ein Plakatprojekt eines lokalen Aktivisten zu «verdauen», der mit dem auffällig plakatierten Slogan «Besuchen sie uns nicht» genau jene «Binnendiskussion» anregen wollte, für die in touristischen Zentren oft der Fokus fehlt, da die gesamte Energie auf den Auftritt nach außen gerichtet wird.
Selbstverständlich spricht nichts gegen den Versuch, die Tourismuswirtschaft und die Tourismusförderung stärker für die Finanzierung basiskultureller Aktivitäten heranzuziehen. Eine derartige Ausweitung der Finanzierungsoptionen sicherte zum Beispiel dem Jazzfestival Saalfelden das Überleben, als der örtliche Tourismusverband nach einer Krise selbst die Veranstalterrolle für das ehemals «unabhängige» Festival übernahm. Doch auch die auf Gemeindeebene verfügbaren Tourismusmittel sind außerhalb der absoluten Hochburgen begrenzt, weswegen die rein lokale Verschiebung der Förderung vom Kultur- zum Tourismustopf keine gravierende Ausweitung der Möglichkeiten nach sich ziehen würde. Es sind ja gerade die niedrigen Verfügungsmittel der Gemeinden, die verhindern, dass lokal Relevantes auch lokal finanziert werden kann.
Ergiebigere Verbesserungen
Ergiebigere Verbesserungen in den Finanzierungsoptionen für basiskulturelle Aktivitäten verspräche es, das Argument der touristischen Relevanz von Kultur konsequent auf die Finanzierung der jeweiligen «Flagships» anzuwenden. Würde der Tourismussektor auch nur zu einem geringen Teil Finanzverantwortung für kulturelle Großunternehmen wie die Wiener Staatsoper, die Bundesmuseen, die Bundestheater oder die großen Festspiele übernehmen, könnten beträchtliche Summen im Bereich der Kulturförderung umgewidmet werden. So wäre bereits mit einer vierprozentigen Beteiligung des Wirtschaftsministeriums an der Förderung der Bundestheater eine Verdoppelung des BMUKK-Ansatzes für regionale Kulturinitiativen möglich, ein Rechenbeispiel, das in den Länderbudgets ebenso seine Entsprechung findet, wie in den Etats der größeren Städte. Anstelle der rhetorischen Funktionalisierung von Kultur für den Tourismus sollte sich der argumentative Kreis also in der selbstbewussten Behauptung der «Kleinen» schließen, einen gleichwertigen Beitrag zur Lebensfähigkeit der Gesellschaft zu leisten, wie das Burgtheater, die Seilbahnanlage oder der Bauernmarkt.
Dieser Artikel ist aus Kulturrisse – Zeitschrift für radikaldemokratische Kulturpolitik, Widersprüche der kreativen Stadt, 03/2012 übernommen worden.