Über Deutungshoheiten, Leuchttürme und die Biodiversität der Kulturförderung

Im Umfeld Museum und bildender Kunst hat Peter Assmann in vielen Bereichen gearbeitet. Ende März 2013 hat er die Oberösterreichischen Landesmuseen als Direktor verlassen. Sein Weggang hat unter anderem auf Leerstellen innerhalb des Museumssystems und der Kulturpolitik gezeigt.

Welche Aufgaben hat ein Museum und welche Unterschiede treten hier zwischen privaten und einem öffentlichen Museen auf?

Es gibt vier, vielleicht fünf Begrifflichkeiten, die sehr präzise benennen, was ein Museum tut: sammeln, bewahren, forschen, vermitteln/ausstellen. Ohne einen dieser Begriffe kann man sehr schwer von einem Museum sprechen. Das große Problem, aber auch die große Faszination der Institution Museum liegt darin, dass diese Begriffe mit unterschiedlichen Schwerpunkten und Zeitlichkeiten sowie oft widersprüchlichen Arbeitsfeldern verbunden sind. In der medialen und öffentlichen Diskussion spielt eigentlich nur mehr die Ausstellung eine große Rolle.
Sogar diese allein ist oft schon zu wenig, es muss etwas Großes sein – am besten ein neues Museum. Die Erwartungshaltungen werden immer größer, aber
erfreulicherweise auch die Vermittlungstätigkeiten immer professioneller.
Die Unterscheidung zwischen öffentlichen und privaten Museen ist sehr wichtig und ein bisschen vergleichbar mit dem Staatsfernsehen: Der Kulturauf-trag wird immer weiter ausgehöhlt. So sind die Museen der öffentlichen Hand in den letzten Jahren zusehends zu privatwirtschaftlichen GesmbHs umgeformt worden, ohne es de facto zu sein. Denn nur ein minimaler Bereich eines Museums kann als profitabel bezeichnet werden. Das Museum der öffentlichen Hand verweist auch historisch gesehen auf eine demokratiepolitisch sehr wichtige Kulturentwicklung in Europa: nicht nur die Machthaber haben Zugang zu den besonderen Identitätsobjekten ihrer Region bekommen.

Inwiefern übernimmt ein Privatmuseum oder eine private Sammlung einen kulturpolitischen Auftrag?

Grundsätzlich gibt es explizite und implizite kulturpolitische Aufträge. In meiner Zeit als Museumsdirektor gab es keine Nachfragen zur Sammlungsentwicklung, sondern nur zu Besucherzahlen und Kosten pro Ausstellung und vielleicht über Personalnachbesetzungen.
Unter einem Privatmuseum ist per se eine private Sammlung in einem Haus mit dem Titel Museum zu verstehen. Da historisch betrachtet die Institution Museum ein öffentliches Museum meint, ist der veränderte Sprachgebrauch problematisch. Für die Öffentlichkeit gibt es jedenfalls keine Garantie, dass diese private Sammlung bewahrt und zugänglich bleibt. Letztlich trifft das aber auch auf den Bereich der öffentlichen Hand zu, denn auch dem Oö Landtag ist es auf Grund der gesetzlichen Bedingungen möglich, das Museum abzuschaffen und die Sammlung zu verkaufen. Der Ewigkeitsanspruch eines Museums ist nirgendwo gesetzlich abgedeckt und dadurch rücken private und öffentliche Situation näher.
Bei einem Privatmuseum kommt erst mit einem Kulturvermittlungsprogramm ein Mehrwert für die öffentliche Hand dazu und damit stellt sich auch erst die Frage nach möglichen Förderungen. Es ist eine der wesentlichen wirtschaftspolitischen Zielsetzungen, Menschen in Bewegung zu bringen. Und Kultur ist dabei ein zentraler Dynamisierungsfaktor. Damit sind wir bei dem seltsamen Wort «Umwegrentabilität». Stillstand bedeutet Rückgang.

Die Aufteilung der Fördergelder wird oft anhand der Museumsbesucherzahlen diskutiert, was sagen diese Zahlen für eine Institution aus?

Bismarck hat das schon klar gesagt: «Trau nur der Statistik, die du selber gefälscht hast» Ich habe noch keine «richtige Besucherstatistik» gesehen. Deren Überprüfung lässt sich am ehesten über zahlende Besucher festmachen, aber durch kompakte Veranstaltungen ist auch das schwierig. Wo man beim kleinen Kulturverein ganz streng ist, ist man bei den Großen fast zum Scheitern verurteilt. Besuchszahlen sind eine reine Bewertungsfrage, da es variable, rein kommunikative und keine faktischen Größen sind. Natürlich soll man sich um jeden Besucher bemühen, aber eine öffentliche Diskussion um Besuchszahlen bringt nichts. Es fehlt die Diskussion über Qualitäten der Vermittlung, denn entscheidend sind Faktoren wie Verweildauer, Erfahrungsgewinn und Wiederholungstäterschaft.
Bei der Sammlungstätigkeit geht die Tendenz hin zu einer kurz-fristigen und marketingorientierten. Dabei ist der Inhalt einer Ausstellung beinahe egal, da die Flugdestinationen der Touristen, die die Institution besuchen, im Focus stehen. Gleichzeitig fehlt die Institution Museum in der Bildungs- und in der Sozialdiskussion, dabei sind gerade das Gemeinschaftserlebnis, das Integrationspotential und die Erfahrung traditioneller Werte bedeutend. Die Vielfältigkeit der Potentiale und Aufgaben der Museumstätigkeit reduziert sich gegenwärtig immer mehr. Eine zentrale Funktion der Institution Museum ist das identitätenbildende und erkenntnisorientierte Liefern von Geschichte(n). Wenn diese nicht gepflegt werden, dann erhebt sich die Frage, was Oö ist und wozu wir Länder brauchen. Die EU hat bereits erkannt, dass Museen u. a. für den Zusammenhalt der Menschen in Europa eine wichtige Rolle spielen. Oö ohne bspw. Musiktheater oder Jazzfestival ist vorstellbar, aber Oö ohne ein Landesmuseum und ohne ein Landesarchiv nicht.

Neue Projekte in der Dimension des Musiktheaters sind meines Erachtens auch finanziell schwierig fortzuführen.

Wieso? Es ist eine der größten Absurditäten zu sagen, dass das Geld nicht da ist. Es ist eine Frage des Entscheidens, wofür die öffentlichen Gelder verwendet werden. Historisch betrachtet ist Politik und gesellschaftliche Orientierung nie etwas anderes gewesen. Wenn sich das Land Oö leisten kann, ein Musiktheater hinzustellen, dann ist das doch das beste Beispiel, dass es möglich ist. Dieses Beispiel zeigt auch die Tendenz der Politik, Leuchtturmprojekte zu verwirklichen. Dabei ziehen Großprojekte wie diese automatisch Ressourcen aus dem Umfeld ab. Ich habe über zwei Jahrzehnte an einer Art Biodiversität der Kulturförderung mitgearbeitet. Es gibt derzeit in Oö – noch!! –, mit einer regional sehr breit gestreuten, auf Buntheit orientieren Kulturlandschaft, eine ganz spezielle Situation. Die führenden Galerien und Veranstalter sind nicht alle in Linz, wie in den meisten anderen Regionen Europas, sondern ganz bunt durchmischt. Ich finde es sehr bedenklich, wenn sich die Aufmerksamkeit nicht mehr auf die Vielfalt ausrichtet, sondern auf diese Leuchtturmsituation. Das Große ist manchmal gut, aber wenn es das sein soll, brauche ich den Humus rundherum und beim Beispiel des Musiktheaters war die entsprechende pyramidale Anwachsstruktur nicht gegeben. Falls es nicht die gewünschte Erfolgssituation bringt, wird das ein Problem für alle zukünftigen Entwicklungen, da so ein Projekt zu Lasten des gesamten Kulturbereiches geht. Mit dem Musiktheater bin ich quasi «weltberühmt in Oberösterreich». Wenn solche Projekte gebaut werden, und ich mache das auch am Museum fest, müssen die Beziehungen hinaus ausgebaut und zu einem weltweiten Vernetzungsstandort werden, Vorhandenes muss noch besser zusammengefasst werden um nach innen wie nach außen zu wirken. Dann ist so ein Leuchtturmprojekt sinnvoll.
Die Aufbruchssituation in Linz hat sich für mich ganz anders, vernetzter und diskursorientierter dargestellt, wie die Beispiele Stadtwerkstatt oder Posthof zeigen. Beide sind aus dem Bedürfnis etwas zu verbessern entstanden. Heute geht es hauptsächlich um Verwaltung, Controlling, das Schaffen von Strukturen und um Strukturentwicklungspläne und es fehlt die Beweglichkeit des Kreativimpulses. Dabei ist Kulturförderung nach meiner Überzeugung nicht als strategische Machtsituation zu betrachten, sondern als unterstützende Wachsamkeit auf Kreativimpulse.

Wie sieht die Lösung für die Kulturvermittler_innen in den Oö Landesmuseen, die unter prekären Beschäftigungsverhältnissen gearbeitet haben, aus?

Das Traurige an dieser Angelegenheit ist, dass die nunmehrige Lösung ewig gedauert hat. Wir hatten ein System, in dem man sich entscheiden konnte, entweder auf Honorarbasis abzurechnen, auf Werkvertrag oder mit einem freien Dienstvertrag – und damit bis zu einem gewissen Grad mit sozialer Absicherung angestellt. Durch die Einschätzung der Gebietskrankenkasse waren die freien Dienstverträge nicht mehr zulässig. Das Land Oö hat nun einen Teil der Kulturvermittler_innen angestellt, doch es ist letztlich noch eine offene Rechtsfrage und der Fall ist beim Obersten Gerichtshof.
Früher konnten wir 25 Personen einen Zusatzverdienst anbieten, jetzt sind es nur mehr neun, bzw. acht Leute, die halbtags oder dreißig Stunden arbeiten. Das verschafft den Angestellten Sicherheit, aber auch Pflichten im Sinne des Dienstrechtes, wie Anwesenheits-zeit, Weisungsgebundenheit oder die Einschränkung von Nebenbeschäftigungen. Diese Variante folgt der kritisch zu betrachtenden Tendenz der Gesellschaft, die sich nach größtmöglicher Absicherung richtet. Die Reduzierung auf einige Wenige ist auch eine grundsatzpolitische Fragestellung.

Wieso hat die Aufteilung der Museumsleitung keine positive Wirkung auf das Programm des Museums?

Da ich Betroffener bin, bin ich zurückhaltend in dem was ich sage und zähle nur Fakten auf. Es gibt Beispiele im Sinne einer Doppelführung, die sich international nicht bewährt haben und definitiv wieder zurückgestellt werden, bspw. die Museen der Stadt Hamburg und das Lichtensteinische Landesmuseum. In Österreich haben nur die frühesten ausgegliederten Institutionen diese Doppelspitze bekommen: die Museen der Stadt Wien, das Kunsthistorische Museum und die Museen der Stadt Linz. Alle anderen folgen dem internationalen Trend, bei dem es einen Menschen gibt, der die Kompromisssituation schafft. In einer Amtsstruktur wie in Oö ist es noch komplizierter, da eine kompakte Dienststelle zweigeteilt wird und das halte ich für wenig sinnvoll, ganz unabhängig von meiner Person. Da darüber keine inhaltliche Diskussion mit Fachexperten geführt wurde, bin ich gegangen. Ich wollte ein Zeichen setzen, dass nicht jeder bei jedem rein politischen Machtspiel mitspielen muss. In meiner Funktion habe ich mich stets bemüht Verständnis zu generieren und Ziele transparent zu machen. Vor allem will ich immer Menschen zusammenbringen und daran möchte ich weiterarbeiten. «Divide et impera» – Spielchen interessieren mich gerade im Feld der Kultur nicht.