Mozert Macht Musiktheater

Meine Erwartungen an das künstlerische Programm des Musiktheaters sind — schon allein berufsbedingt — ziemlich hoch. Kulturpolitisch bedingt sind sie allerdings noch viel hoher. Ich bin allerdings hier wie dort offenbar nur bedingt Zielgruppe.

 

 Wer einen Blick auf die Homepage der Statistik Austria wirft, der findet dort in der Sparte «Theater und Musik» als einleitenden (!) den folgenden Satz: Das Theaterland Österreich gilt, insbesondere was das Musiktheater betrifft, als mit festen Häusern hervorragend versorgt. Das riecht jetzt ein wenig nach Zwickmühle. Für wen gilt es nämlich Programm zu machen, wenn das «Theaterland als mit festen Häusern hervorragend versorgt gilt» ? Welche Zielgruppe ist noch nicht oder nicht ausreichend von dem offenbar flächendeckenden Programmangebot der einzelnen Musiktheaterspielstätten erfasst? Offen bleibt und zeigen wird sich, ob das nun als Eröffnungsspielzeit vorliegende Programm die beste Strategie im Kampf um ein auch über das Eröffnungsjahr hinaus treues Publikum sein wird.

An der Quotenjagd teilnehmen neben Mozart (Zauberflöte) etwa Bizet (Carmen) und Strauss (Fledermaus). All Time-Classics, mit denen man auf Nummer sicher geht, ebenso wie mit Wagners Ring der Nibelungen oder dem Musical Show Boat. Die «Mutter aller Musicals» (wie eine Kollegin es nannte und Ol’ Man River zu summen begann), die von Rassendiskriminierung, Spielsucht, einem schweigenden Fluss, auf dem ein Theater schwimmt und in musikalischen Schmachtfetzen alles vereint, wovon Musicalbesucher_innen einen Abend lang und darüber hinaus zehren. Alles in allem ein Programm, das bis auf wenige Ausnahmen (etwa Spuren der Verirrten von Philipp Glass oder Peter Androschs Opernmaschine) auf ein Publikum abzielt, das sich nicht lange den Kopf über Experimente zerbrechen, sondern unterhalten und in seiner Sehnsucht nach Premierenglitter gestillt werden will. Auch wenn es zarte Versuche gibt, vor allem in den Eröffnungswochen, heimische Größen mit einzubeziehen: Texta, die Zebras oder Die Mädchen – es bleibt beliebig und brav.

Ein Programm, das allerdings dem Zeitgeist insofern entspricht, als es in den letzten Jahrzehnten (über die Grenzen Oberösterreichs hinaus) üblich geworden zu sein scheint, dass jene, die die Struktur schaffen (sollten) das Angebot gleich mitliefern. Kulturpolitik erzeugt nunmehr auch das Kulturangebot, finanziert und kontrolliert Räume UND Inhalte. Das ist sowohl demokratiepolitisch als auch kulturpolitisch absolut bedenklich. Und dabei gilt es zu betonen: Diese Strategie ist couleurfrei, es ist eine «Verlockung », der alle Politiker – sobald sie an der Macht und in Schlüsselpositionen zu finden sind – erliegen können. Insofern ist das Musiktheater als ein mit zahlenden Menschen und massentauglichen Inhalten zu füllender Kulturbau und als strukturelles Macht- und Kontrollinstrument kulturpolitischer Interessen durchaus vergleichbar mit manchen städtischen Einrichtungen.

 

 

Auch eine klug noch vor das große Eröffnungsbrimborium gesetzte Uraufführung (Land der Lämmer) samt zweitägigem Symposion (Theater im Nationalsozialismus), mit denen man noch vor dem 11. April 2013 an den 12. März 1938 erinnert und damit auch den Ort im Volksgarten thematisiert, den schon die Nationalsozialisten als geeignet für ein Opernhaus hielten, täuschen nicht darüber hinweg: Das Programm im Eröffnungsjahr ist ein gefälliges, eines, das auf Masse und Bestätigung abzielt. Vor allem das Sprechtheater – und damit neben dem Ballett ausgerechnet jene Sparte, mit der man in den letzten Jahren mit Qualität überzeugen konnte – bleibt über weite Strecken im Haus an der Promenade. Das muss nicht schlecht sein, ist aber zumindest ein Statement. Womöglich aber entwickelt sich an der Promenade dadurch ein weithin von Repräsentationszwang und Gefallsucht unbehelligt bleibendes Sprechtheaterprogramm. Zwänge, von denen sich das Musiktheater in seinem Eröffnungsund damit Profilierungsjahr nicht rechtzeitig befreien konnte.

 

Landeshauptmann Josef Pühringer meinte anlässlich der Programmpressekonferenz am 15. Februar: «Da geht’s nicht ohne Mozart». Dieser Satz – so beiläufig eingestreut, dass man schon alleine deswegen hellhörig werden musste, ist in mehrfacher Hinsicht interessant.

Einmal die grammatikalische Form, die Pühringer dafür verwendet – fast ein gnomisches Präsens, ein sich zu allgemeiner Gültigkeit erhebender Sachverhalt mit leichten Ansätzen eines unpersönlichen Passiv – niemand wird direkt mit Namen angesprochen, alle aber wissen, wer gemeint ist. «Es» wäre in diesem Fall allerdings das Musiktheater selbst, es darf aber angenommen werden, dass sich der Landeshauptmann in seiner fast apodiktischen und exakt platzierten Äußerung an die Programmmacher_ innen und Direktor_innen der einzelnen Sparten gewandt hat. Ihm – dem Landeshauptmann, Finanz- und Kulturreferenten – ist deshalb kaum ein Vorwurf zu machen. Auch nicht jenen, bei denen dieser Satz wohl nicht erst seit der Pressekonferenz sickert, wie ein Blick auf die Spielzeit 2013/14 zeigt. Gefordert hingegen ist ein künftiges Publikum (und niemand sollte sich davon abhalten lassen, Teil eines solchen zu werden, immerhin ist es unser aller Musiktheater), denn «Nie war mehr Anfang als jetzt» wird Walt Whitman auf Seite 1 des Programmheftes zu den Eröffnungswochen zitiert. Wer dies ernst nimmt, muss auch damit anfangen, Fragen zu stellen. Etwa diese hier, eine der wichtigsten, die man an Kultur überhaupt richten kann: Bestätigt sie oder stellt sie in Frage ? Ich bin da mal gespannt.