Abseits der offiziellen Propaganda wird teils herbe Kritik am Musiktheater geäußert — von der FPÖ bis zur „freien Szene“ hagelt es Budgetkritik, Standortdebatte, Hochkultur-Bashing und Kunstskepsis. Der Linzer Musiker und Komponist Peter Androsch hingegen argumentiert, warum er die Schaffung des Musiktheaters (trotz Wermutstropfen) für richtig hält: Es ermöglicht künstlerische Produktion und gesellschaftliche Repräsentation auf höchstem Niveau.
Die Eröffnung des neuen Musiktheaters in Linz wird eine Sternstunde. Damit werden der grandiosesten, schillerndsten, komplexesten Kunstform neuer Platz und neue Möglichkeiten gegeben, – der Oper. Sie ist meiner Meinung nach die höchstentwickelte Kunstform, – vielleicht kommt ihr manchmal der Film nahe. Trotz seiner aseptischen Natur. Vom 16. Jahrhundert an vereint die Oper viele Disziplinen zu einem Gesamtkunstwerk. Musik, Gesang, Sprache und Literatur, Schauspiel, Bildende Kunst, oft auch Tanz, Kostümbildnerei und Mode, Architektur, Bühnentechnik, zunehmend Film, Foto, Video und mehr. Sie ist per se interdisziplinär. Ihr Spektrum reicht von Helmut Lachenmanns radikaler Kompositionskunst zu Christoph Schlingensief packender (moralischer Anstalts-)Oper bis zum Starrummel um Anna Netrebko. Jedenfalls gilt sie allen, die nahe am Kleingeist wohnen, als verdächtig. Viele aber, die einen großen Entwurf von der Welt mit sich tragen, zieht sie magisch an. Denn in ihr ist die Stimme, in der sich der Mensch selbst erkennt, und der Raum, in dem wir sind und der in uns drinnen ist.
Die Oper ist eine neue Welt. Sowohl Themen als auch künstlerische Ausdrucksformen nähren sich aus einem andauernden interkulturellen Austausch. Die großen Menschheitsthemen werden aus allen möglichen kulturellen Blickwinkeln aufgeworfen. Genauso sind die Mitwirkenden in allen Disziplinen aus allen Himmelsrichtungen zusammenwürfelt. Die Oper ist Multikulti, wenn ein überstrapaziertes Wort erlaubt ist. Jede Gesellschaft braucht Orte und Wege der Repräsentation, also der Vergegenwärtigung. Die Oper ist dafür eine der wichtigsten und anspruchsvollsten Möglichkeiten. Sei es für Abbildung, Bestätigung oder Konf likt. Die sogenannte Hochkultur wird hoffentlich nicht nur deshalb so genannt, um ihren gesellschaftlichen Rang zum Ausdruck zu bringen. Nein, sondern weil sie hoch entwickelt ist: hochkomplex in Formen und Inhalten.
Die Kunstform Oper und ihre Schwestern sind in Oberösterreich nicht nur im Professionellen lebendig und beliebt. Es wird sogar in Heustadeln gespielt, in Stadttheatern und alten Burgen oder Schlössern. Amateure und Profis aller Preisklassen zeigen das ganze Jahr neben dem Landestheater in Linz verschiedenste Zugänge. Seien es die wunderbaren Produktionen der Familie Mason (u.a.) in Wilhering oder Helfenberg, oder andere Initiativen in Bad Hall, Bad Leonfelden, Grein, Bad Ischl, Gmunden oder Wels. Linz wäre definitiv blöder ohne die Oper. Durch sie steht es in einem internationalen Austausch, der weit unterschätzt wird. Es ist ein riesiges Kunstnetzwerk. Stellvertretend für viele nenne ich einige für mich wichtige Menschen: Michael Klügl (Staatsoper Hannover), Dorothea Hartmann (Deutsche Oper Berlin), Ulrich Lenz (Komische Oper Berlin), Karl Sibelius (Theater an der Rott), Felix Losert (Anhaltisches Theater Dessau), oder der amerikanische Heldentenor Stephen Gould, Bariton Steven Scheschareg u.v.a. Natürlich gibt es für mich auch Wermutstropfen. Einmal betrübt mich die kleinmütige Fassadenentscheidung. Der Londoner Architekt Terry Pawson hatte unter anderem rostigen Stahl vorgeschlagen. Dadurch könnten wir täglich auf ein aus «Alien» entwichenes Opern-UFO schauen. Der Guggenheim-Effekt wie in Bilbao wäre uns sicher gewesen mit hunderten knipsenden Freaks täglich. Heute haben wir repräsentative Langweile wie im Italien der 30er-Jahre.
In Jahrzehnten haben Fachleute beim über 100fachen Bau von Landesmusikschulen in Oberösterreich den Zusammenhang von Architektur und Akustik untersucht und im «Leitfaden Musikschulbau » zusammengefaßt. Dieses Knowhow und das vom unvergesslichen Manfred Quatember (der Sonderprojekte des Landes Oberösterreich mit unübertrefflichem akustischen Wissen umsetzte) war Grundlage für die Entstehung der Hörstadt. Und obwohl bei den neu errichteten Sälen und Foyers von Lentos, Kunstuniversität, Schlossmuseum, AEC oder Ursulinenhof die Unzulänglichkeit technischer Bauund Raumakustik beredt unter Beweis gestellt wurde, wurde bei Planung und Bau des neuen Musiktheaters weder auf die Fachleute aus dem Musikschulwesen, der Anton Bruckner Privatuniversität, dem Studio Weinberg noch der Hörstadt zurückgegriffen. «Die freie Szene und die Opernhäuser waren sich lange nicht grün. Die Bastionen des Musiktheaters verkannten das kreative Potenzial der freischaffenden Künstler – und übersahen geflissentlich deren flexible und kostensparende Strukturen. Den Freien wiederum war die Oper als überholte Repräsentationskunst suspekt, die zudem einen Löwenanteil der Subventionen verschlingt. Die ideologischen Grabenkämpfe scheinen nun passé.», schreibt der Berliner Tagesanzeiger am 25. 10. 2012. Das scheint mir leider in Linz nicht so zu sein. Das neue Musiktheater ist eine Gelegenheit das zu ändern.