Gesellschaftliche Emanzipationsbedingungen, kollektive Emanzipationsbewegungen und individuelle Emanzipationsbestrebungen – „die Frage nach Emanzipationsbewegungen zu stellen heißt, sich mit den Herrschaftsbedingungen des sozialen Lebens zu befassen und sich mit Befreiungsversuchen wie mit Verhältnissen der Unfreiheit auseinander zu setzen“, so lässt sich das Programm des im Ulrike Helmer Verlag erschienenen Sammelbandes umreißen. Die Autorinnen haben sich ein gleichermaßen theoretisch spannendes wie praxisrelevantes Ziel gesetzt: Sie gehen der Frage nach, wie sich Emanzipationsvorstellungen mit dem gesellschaftlichen Wandel der Geschlechterverhältnisse verändert haben bzw. verändern – ein Wandel, der ja nicht zuletzt auf Emanzipationserfolge von Frauenbewegungen zurück zu führen ist. Und es geht um nicht weniger als die Frage, ob Emanzipation heute überhaupt noch ein zeitgemäßes Konzept darstellt, für Individuen, soziale Gruppen und als Bezugspunkt feministischen Denkens.
Die Beiträge des Bandes beleuchten das Zusammenspiel von Emanzipationsbewegungen und -bestrebungen, ihre Entwicklungen und Erfolge, Paradoxien und Veränderungen (Verwicklungen, Verwerfungen, Verwandlungen) exemplarisch in fünf ausgewählten Themenfeldern: Fragen der Wissenschaftskritik und Feministischen Theorie, Utopien als Quelle feministischer Kritik und Praxis, Transformationen von Politik und Institutionen durch Frauenbewegungen und ihre Rückwirkungen auf feministische Bewegungen, Wandel von Geschlecht(erverhältnissen) in kulturellen Repräsentationen, und Veränderungen von Subjekt- und Körperkonzeptionen im Spiegel veränderter Emanzipationsvorstellungen.
Der disziplinäre Bogen wird über die Sozial-, Kultur- und Geisteswissenschaften gespannt, auch theologische und religionswissenschaftliche Zugänge sind – sogar einigermaßen prominent – vertreten, z.B. in Wagner-Raus‘ Beitrag über Geschlechterverhältnisse und Pfarrberuf im Wandel, Standhartingers Ausführungen zu Religion, Utopie und Emanzipation oder Maiers Aufsatz über Geschlechterverhältnisse in der Bibel. Gelungen ist die Kombination theoretischer Perspektiven der Frauen- und Geschlechterforschung und empirischer Fallbeispiele, z.B. Kinderbetreuung – von der Kinderladen-Bewegung zum Social Investment Ansatz (Henninger), Geschlechtsrollenwechsel in japanischen Jugendcomics (Kahl) oder Neue (?) Frauenrollen in US-amerikanischen TV-Serien (Birkle; und ja, hier geht’s um Bones, Lipstick Jungle, Crossing Jordan, Desperate Housewives & Co). Einen Einblick in islamischen Feminismus gibt Derichs, einen biografischen Zugang in mehrgenerationaler Perspektive am Beispiel von Migrantinnen aus der Türkei und ihren Töchtern in Deutschland liefert Gerner.
Diese kurze Zusammenschau von nur einigen Beiträgen des Sammelbandes illustriert bereits die Breite der thematischen Zugänge, vielfältig sind ebenso die politischen Implikationen. Obwohl die einzelnen Themenfelder mit zusammenfassenden Kommentaren eingeleitet werden, vermisst man am Ende, nach dieser Fülle an Erkenntnissen und Ergebnissen, ein wenig die Conclusio. Diese kann auch die etwas kurz geratene allgemeine Einleitung zum Begriff „Emanzipation“ und der historischen Entwicklung von Emanzipationsvorstellungen und –prozessen im Lichte der Aufklärung, im Kontext neuer sozialer Bewegungen, und im Spannungsfeld eines gesellschaftlichen Backlashs (also von Olympe de Gauges über die US – Abolitionismus- und Frauenwahlrechtsbewegung zu Karl Marx, Betty Friedan, Carry Bradshaw und den Spice Girls) leider nicht ganz zufriedenstellend bieten. Trotz dieser leichten Aspekthaftigkeit eine sehr zu empfehlende Lesereise, die zeigt, dass Emanzipation weder eine Fortschrittslogik noch ein Befreiungsschlag oder eine totalisierende Zielvorstellung ist, sondern vielmehr ein paradoxer Prozess, „ein Begriff mit symbolischer Kraft, die sich nicht zuletzt seiner Geschichte verdankt, von dem aus problematische Verhältnisse immer wieder thematisiert und politisiert werden können“. Insofern eine Ermutigung und eine Antwort: Ja, Emanzipation ist ein zeitgemäßes Konzept, das sich zwar mit gesellschaftlichen Rahmenbedingungen verändert, aber deshalb noch lange nicht an Aktualität einbüßt. Also, emanzipiert Euch!
Birkle, Carmen; Kahl, Ramona; Ludwig, Gundula; Maurer, Susanne (Hg.innen): Emanzipation und feministische Politiken. Verwicklungen Verwerfungen Verwandlungen. ISBN 978-3-89741-342-9, Ulrike Helmer Verlag 2012.