Vina Yun hört feministische Chöre.
Noch immer herrscht mancherorts die Meinung, es läge an einer Handvoll Jungs in engen Jeans und mit Rockgitarre, um die neue Musikrevolution ausrufen. Schnarch. Tatsächlich braucht es mehr, um gehört zu werden. Anders gesagt: Beizeiten ist Stimmgewalt schlichtweg eine Frage der Masse. Das findet auch Deborah Coughlin, Gründerin und Boss Bitch von Gaggle, einem rund zwanzig Frauen starken Indie-Pop-Chor aus London. In der bierseligen Stimmung eines Pubs geboren, repräsentieren Gaggle einen neuen Typus Chor, wie er in den letzten Jahren an Popularität gewonnen hat: Als solcher überbringt dieser nicht mehr die Botschaft einer höheren Macht oder kommentiert in antiker Tradition die Handlungen einer Hauptfigur auf der Bühne. Stattdessen fungiert der Alternativ-Chor von heute – vom Beschwerde-Chor bis hin zum Queer-Chor – als Plattform, um individuelle Geschichten zu erzählen und gemeinsame Erfahrungen zu artikulieren, als unterstützendes Netzwerk zwischen Gleichgesinnten.
Dabei geht es nicht um den perfekten Gesang. Im Gegenteil: Disharmonien sind sogar willkommen. „Mehr Stimmen – mehr Freiheit“, bekennt sich beispielsweise Deborah Coughlin zum professionellen Laientum, denn: „Jede Frau besitzt ihre ganz eigenen stimmlichen Superkräfte.“
So resultiert die mitreißende Energie von Chören à la Gaggle nicht einfach aus dem, was da teils augenzwinkernd besungen wird (in diesem Fall: Alkoholfreuden, die Macht des Geldsystems oder die Lügen des untreuen Lovers), sondern schöpft sich aus der kollektiven Anstrengung und einem solidarischen Miteinander. Und es ist eben diese Vielstimmigkeit – oder wie man im feministischen Diskurs sagen würde: Es sind die Differenzen –, die den beschriebenen Frauen-Super-Chor zu dem macht, was er ist. „Gaggle ist eine Collage von Frauen“, sagt Coughlin. „Sie singen nicht gleich, betonen die Dinge nicht gleich, bewegen sich nicht gleich. Vielmehr geht es darum, etwas zur selben Zeit zusammen zu machen, nicht darum, dasselbe zu tun.“
Unter solchen Vorzeichen ist ein Comeback der Chöre nur zu begrüßen: Sing it out loud!
Vina Yun ist Redakteurin beim feministischen Monatsmagazin „an.schläge“ (www.anschlaege.at) sowie bei migrazine.at, dem „Online-Magazin von Migrantinnen für alle“.