Vier Variationen und kein Thema

Ein Versuch zu Kärnten/Koroška von David Guttner

 

FAHR EIN Samstag Vormittag in Klagenfurt/Celovec bei einem Cappuccino im Pankraz, einem in die Jahre gekommenen In-Café der Stadt. Eine Woche zuvor beging Kärnten/Koroška den 10. Oktober, seinen offiziellen Landesfeiertag. Dieses mal wurde der »Tag der Kärntner Einheit« aber von einem neuen Gedenktag eindeutig in den Schatten gestellt: dem 11. Oktober – eh schon wissen, der Kärntner Marterlyriumtag. Wie praktisch, ach wie praktisch: Ein Identitätsdoppelpack – darauf ließe sich glatt eine neue Weltreligion begründen!

Als ich im Vorjahr vom tödlichen Unfall des LH erfahren habe, verspürte ich den starken Impuls, sofort in mein Geburtsbundesland aufzubrechen. Ich wollte mir den zu erwartenden Wahnsinn, das trübe Pathos der Kärntner Seele vor Ort zu Gemüte führen. Was ich aber aus vorgeschobener Bequemlichkeit dann doch nicht getan habe. Im darauffolgenden Sommer irrte ich dann schließlich durch Klagenfurt, auf der Suche nach einer Möglichkeit, kabellos im Netz zu surfen. Auch ins Pankraz führte mich meine Not: Zuerst wusste die Bedienung dort gar nicht so recht, was ich denn meinen könnte, ach so, Internet – ja daran würde bereits gearbeitet, in ein paar Wochen wären sie auch so weit, bis dahin könnte ich mir meine mp3’s aber bei McDonalds runterladen. W-LAN gibt es immer noch keines im Pankraz. Dafür ein kleines Plakat, das die Jörg-Haider-Gedächtnisausstellung in einem Klagenfurter Felsengrab ankündigt. Am nahegelegen Benediktinermarkt schmecken immerhin noch die Kasnudeln sowie das beste Kaffee-Soufflé weit und breit.

GEH WEG Schön ist es hier. Der Spätherbst macht sich zwar schon bemerkbar, aber unaufdringlich und weniger bedrohlich als anderswo. »Hier« ist Mišček, ein kleiner Ort, mehr Weiler als Dorf. Seine steinernen Häuser sind verwittert, verfallen, verwachsen und – bis auf eines – verlassen. Mišček liegt im Idrijatal, das Italien von Slowenien trennt, unweit von Cividale, das seit 20 Jahren durch sein sommerliches Mittelfest ein Zentrum für Theater, Musik und Tanz aus Mitteleuropa darstellt. In diese Gegend zieht es Gerhard Pilgram seit langem. Vor mehr als zehn Jahren hat der bildende Künstler, Autor und Kulturarbeiter begonnen, sich mit der Entdeckung und Vermittlung von Kulturlandschaften im Friaul, in Slowenien und Kärnten zu beschäftigen. Über das Kulturzentrum UNIKUM aus Klagenfurt, das seit 23 Jahren federführend von Gerhard Pilgram und dem Künstler und Musiker Emil Krištof betrieben wird, wurden fünf Bücher veröffentlicht, die sich mit dieser Region befassen und deren Titel wie Das Weite suchen, verschütt gehen oder KÄRNTEN.UNTEN DURCH ein seismisches Sprachgefühl erkennen lassen. Diese Bücher sind auf den ersten Blick als »klassische« Wanderführer konzipiert, verraten aber auch viel über die geschichtlichen, sozialen und politischen Hintergründe einer Region, und die Konflikte, die sich rund um das Aufeinandertreffen dreier großer Sprachfamilien auftun. Der geschichtlichen Analyse wird dabei der notwendige Raum gegeben, jedoch auch mit einem gewissen Augenzwinkern, das diese »Wanderreihe« zu einer wohltuenden Besonderheit macht. Seit einigen Jahren lädt das UNIKUM nun auch zu Wanderungen, die großteils an die Wanderbücher angelegt sind, und sich einer regen Teilnahme erfreuen. Das aktuelle Wanderprojekt nennt sich Klopfzeichen. Kunst und Begegnung in vergessener Landschaft, und ist im Grenzgebiet zwischen Slowenien und Friaul und Kärnten angesiedelt. Für Gerhard Pilgram ist das Gehen eine spezielle Form der Annäherung, »ein guter Weg hat immer auch etwas Drehbuchartiges, vielleicht auch Skulpturales«, so Pilgram. Man wähle verschlungene Routen, nie den kürzesten Weg, dadurch ergäbe sich auch eine Möglichkeit zu differenzierter Wahrnehmung, wobei alte Kulturwege und –landschaften zu kleinen Kulturdenkmälern würden, die sich mit zeitgenössischer Kunst kontrastieren. Im Fall von Mišček hat sich der Musiker und Netzwerker Helge Hinteregger mit dem Ruinenort auseinander gesetzt und sich über eine entfesselte Performance gemeinsam mit Tänzerinnen und Musikern aus Slowenien und Österreich der Geschichte und Gegenwart des kleinen Grenzortes genähert. Klopfzeichen wird vornehmlich aus EU-Geldern finanziert. Die Lukrierung dieser Mittel ist nur möglich, da das UNIKUM durch den universitären Background über gesicherte Strukturen und fixe Angestelltenverhältnisse verfügt. Zudem unterstützt der Bund das UNIKUM großzügig, die Stadt Klagenfurt steuert jährlich symbolische 7.000,- Euro bei (ein gelungenes Symbol), vom Land Kärnten gibt es schon seit Jahren nichts. Was die UNIKUM-Aktivistinnen nicht daran hindert, jedes Jahr ein neues Ansuchen zu stellen, und so zumindest prinzipiell auf der Unterstützung des Landes zu bestehen. »Für Kärntnerinnen ist es naheliegend, aus Kärnten rauszufahren.«, sagt Gerhard Pilgram. Innerhalb einer Stunde könne man in zwei andere Kulturkreise eintauchen. Das sei eine Entlastung, auch eine Form der Flucht, es gehe dabei aber ebenso um eine Art der Kulturarbeit, die dem Deutschnationalismus und -chauvinismus entgegen wirken soll, indem man auf die Vielfalt des »Anderen« hinzuweisen versucht. Schließlich fahre »der Kärntner« in der Regel nach Friaul um zu fressen und zu trinken, vielleicht noch an die Adria, Slowenien bleibe dabei meist links liegen. »Es gibt nicht wenige Kärntnerinnen«, so Pilgram, »die stolz darauf sind, noch nie in Slowenien gewesen zu sein.«

SCHLAG AUF In Kärnten geht man campen. Nicht nur, wenn das Urlaubsbudget im Sommer nicht ausreicht, und nicht nur im Sommer. Campen mit Artaud ist eine Intervention der Klagenfurter Kulturarbeiter Markus Brandstätter und Erich Pacher, die auf Initiative der bildenden Künstlerin Bella Ban in der Klagenfurter Innenstadt stattfand. In einem kleinen, überheizten Raum, der zum raj, einem Gastronomieprojekt des verdienten und langjährigen »Kultur-Wirten« Raimund Spöck gehört (das raj war zuvor der Bierjokl, der sich, als er noch Prijoklnu/Bierjokl hieß, durch ein ambitioniertes zweisprachiges Kulturprogramm ausgezeichnet hat), wurde einen offenes Campingzelt aufgeschlagen, das den Blick auf eine Weinflasche, Bücher und ein Bildschirm preisgab, auf dem ein hagerer Mann im Profil zu beobachten war, der sich zu Aufnahmen eines Hörspiels von Antonin Artaud krümmt und schüttelt, lacht und weint. Ein beklemmendes, wenn auch in Langatmigkeit etwas erstarrtes Spiel. An den drei Abenden, an denen ich Mitte Oktober mitcampen durfte, war der Ort auch gut frequentiert, allerdings von den immer gleichen Gästen. Ein Gefühl von gleichzeitiger Ein- und Ausgeschlossenheit machte sich breit.Man ist gern unter sich, in Kärnten. Oder man muss es sein. Dieser Rückzug ins beinah Private, dieser Hang zu geschützten Räumen, hat sich seit meinem Weggehen aus Kärnten wenig verändert, eher noch verstärkt. Man schielt gerne neidvoll bis geringschätzig nach den und dem Anderen. Und gleichzeitig neigt man dazu, das Eigene, selbst produzierte, eher zu verstecken denn zu präsentieren. Fast so, als würde man sich dessen, was man ist und was man tut, schämen müssen.

SCHREIB AN »Kreativität wird offiziell gefördert, inoffiziell wie ein Fremdwort behandelt. Ein Mensch wird innerlich ermordert; durch (Leistungs-)Druck zur geistigen Impotenz getrieben.« – schreibt Julian Holl, 17 Jahre, Schüler am Gymnasium Viktring und Schriftsteller. Es gehe im ganz normal, sagt Julian bei einem Kaffee, er möchte seine Ausbildung hinter sich bringen, macht verschiedene Jobs, er reist gern und das koste eben Geld. Das Schreiben sieht er nicht als Arbeit, wenn’s ihn packt, dann schreibt er. Vor einiger Zeit hat Julian Holl im Linzer Jugendclub ann&pat gelesen, und auch wenn er dabei eher auf Unschlüssigkeit gestoßen ist, kann er sich vorstellen, dort seinen Zivildienst abzuleisten. Julian Holl nimmt Kärnten, wie es ist. Sein Umfeld könne man sich nicht aussuchen. Ja, er fühle sich Repressalien ausgesetzt, war auch schon mit Auftrittsverboten konfrontiert, zudem ließe sich »intensiver Kontakt« mit der Polizei kaum vermeiden, etwa wenn man an politischen Aktionen wie den Ulrichsbergdemos teilnimmt. Ob es woanders besser wäre? »Weiß ich nicht,« antwortet er, »ich kenne nur das Kärntner Umfeld.« Mit der offiziellen Landespolitik will Julian Holl jedenfalls nichts zu tun haben, er möchte nicht von Landesförderungen abhängig sein, das Land gehe ihm am Arsch vorbei, Landesgeld sei »falsches Geld«. Auch wenn er den prinzipiellen Anspruch auf Förderung nachvollziehen könne, möchte er von den »Orangen« kein Geld nehmen, er würde sich unfrei fühlen dabei. Julian Holl glaubt nicht, dass demokratische Mittel in Kärnten ausreichen, um undemokratischen Zuständen beizukommen. Ob er gern in Kärnten lebe? »Ich habe mir Kärnten nicht ausgesucht, wenn es politisch in Kärnten anders liefe, bliebe es trotzdem beengt. Vielleicht brauche ich noch etwas Distanz, um Kärnten als Land schätzen zu können.« David Guttner http://www.unikum.ac.at

David Guttner ist gebürtiger Kärntner und lebt und nervt seit 12 Jahren das Salzkammergut und Wien. Zudem ist er im Vorstand der KUPF OÖ.