Der breite Protest über politische Unkultur wird nicht mehr alleine vom Rechtspopulismus getragen.Richard Schachinger »Fühle mich sehr verbunden, und hoffe dass ein Funke österreicherischer Radikalität fuckin´Germany erreichen wird.« Ein bewegendes und im ersten Moment durchaus verstörendes Statement von Johann S. in der letzten Oktoberwoche auf Facebook. Aber seitdem bundesweit Hörsäle von Studierenden besetzt werden, wissen wir, auf welche Umstände die besagte Radikalität abzielt. Darum kann an dieser Stelle ausnahmsweise die nationalstaatliche Komponente genauso außen vor gelassen werden, wie die rechten Recken als die üblichen, radikalen Aushängeschilder dieses Landes. Denn wie allseits bekannt, formierte sich binnen kürzester Zeit ausgehend von Wien eine studentische Protestbewegung, die sich wie ein Lauffeuer auf alle großen Universitäten Mitteleuropas ausbreitete. Selbst die »Johannes Kepler Uni Linz« blieb nicht von Besetzungen »verschont« und das just zu einem Zeitpunkt, als die Landtagswahlen gerade eben eine schwarze Decke über das Land stülpten. Die Studentinnen protestieren also, die Unis brennen. Stein des Anstoßes war eine Misere im Bildungssystem, die offensichtlicher und klaffender nicht sein konnte. Die genauen Kritikpunkte sind ebenso bekannt, wie die losgetretene Debatte. Eine Debatte, die sich gleichsam zu einer inhaltlichen Lawine entwickelt hat und an Geschwindigkeit, thematischer Breite sowie Fülle ihresgleichen sucht. Dieser Artikel versucht daher nicht, die ohnehin breit geführten, inhaltlichen Diskussionen aufzuschnappen. Kein zeitversetztes Wiederkauen also. Vielmehr gehen wir der Frage auf den Grund, was im Kern an diesen Protesten im wahrsten Sinne des Wortes »radikal« sei – die bekannte Wurzelfrage. Und zwar nicht im Verständnis des Boulevards, der zum das Phänomen beschreibenden Kunstwort »Audimaxismus« gerne ein für ihn schauderliches »r« hinzudichtet.
Eine elementare Eigenschaft der Protestbewegung ist neben der direkten Kommunikation per Web 2.0 wortwörtlich radikal: die gelebte Direktdemokratie. Was haben Journalistinnen, Ministerinnen und Rektorinnen innerhalb der ersten Besetzungstage alles erst begreifen müssen? Kein grinsendes Konterfei, das sich als Wortführerin an die Spitze stellt. Keine Ansprechpersonen oder Verantwortliche im herkömmlichen Sinn. Nein, sie mussten alle warten. Oftmals stundenlang, bis das Plenum einen Entschluss gefällt hat. Denn das Plenum als demokratisches Entscheidungsgremium ist gleichsam Ausgangspunkt und Mündung aller Agenden, Alleingänge sind ein absolutes »Nogo«. Jede Person darf gleichberechtigt daran teilnehmen, mitdiskutieren und mitentscheiden. Damit bekommt eine Besetzung erst ihre immanente Funktion, nämliche jene als politischer Freiraum. Die »befreiten« Hörsäle bieten Raum für demokratische Partizipationsmodelle, Raum für selbstorganisierte Workshops und Vorlesungen sowie Raum für Kulturprogramme alle Art. Unzählige Arbeitsgruppen handeln spezifische Sachverhalte ab, von politischen Forderungen über die »Volxküche« bis hin zur »Button AG«. Geradezu als Antitypus zur gegenwärtigen »Repräsentativen Demokratie« werden Hierarchien sowie Machtstrukturen aufgelöst und wegen der zugrunde liegenden Konsensorientierung Minderheitenmeinungen mit Vetorechten ausgestattet. Alle Anwesenden können sich als politische Subjekte erfahren sowie den eigenen Aktionsradius spüren. Menschen lernen sich innerhalb weniger Tage politisch zu artikulieren, ohne sich vertreten zu lassen. Politische Bildung und praktische Selbsterfahrung also, die kein Studium allein vermitteln kann. All diese Umstände sollten allerdings nicht den Eindruck von einer homogenen Masse erwecken, ganz im Gegenteil. Durch die Selbstbestimmtheit ist das »Wir« bloß von temporärer Dauer und individuelle Zugänge bleiben bestehen. Eine Audimax-Besetzerin von der »AG Widerstand mit Verstand« stellt in diesem Zusammenhang fest: »Vielfalt ist unsere größte Stärke«. Wohl wahr, denn selbst wenn diese Partizipationsmodelle in der Praxis durchaus anstrengend und zeitraubend sind, so bleibt die Bewegung stets unberechenbar – und damit in Bewegung. Durch all diese Umstände knüpft die Bewegung bewusst oder unbewusst an eine libertäre Denktradition an, welche ich bereits an dieser Stelle mit dem Artikel »Macht, mach Freiraum« skizziert habe.
Schließlich stellt sich die zentrale Frage: was bleibt? Besetzerinnen, Journalistinnen und politische Beobachterinnen arbeiten sich seit Wochen an möglichen Antworten ab. Ob der Trend hin zur Postdemokratie aufgehalten werden kann und die viel zitierten »Komapatienten« im Hause repräsentativer Demokratie nachhaltig erwachen, wird sich weisen. In jedem Fall steht fest, dass die brennenden Unis ihnen eine Radikalkur beschert haben und die »Generation Praktikum« selbst politisch erwacht ist. Der breite Protest über die politische Unkultur hierzulande wird wohl fortan nicht mehr alleine vom Rechtspopulismus getragen.
Richard Schachinger ist freier Kulturarbeiter und protestierender Student