Norbert Traweeg weiß, dass Kulturhauptstädten aus Luft schon mal Südflügel wachsen können.
Vor dem 1.1.2009 habe ich mich gefragt: Was wird die Kulturhauptstadt? Seitdem frage ich mich: Was ist die Kulturhauptstadt? Ihr geht seit geraumer Zeit die Luft aus, wende ich mir schnell selber ein und erobere rasch eine andere Fragestellung: Wie könnte man eine Kulturhauptstadt beschreiben? Und bitte gleichzeitig um ihr Verständnis, dass ich meine zahlreichen Linz09 Erfahrungen nicht unbeachtet lassen kann. Probieren wir es einmal so: Wäre eine Stadt so etwas wie ein aufblasbares Gebilde, mit Palmen drauf und so. – In der Art einer Riesenschwimminsel, wie man sie von Mittelmeerstränden kennt, nur viel komplexer, raffinierter und üppiger, eben wie eine Stadt gebaut. Dann würde dieses aufblasbare Stadtgebilde, so nehme ich an, auch ohne Kulturhauptstadt ganz ordentlich zu schwimmen wissen. Auf einmal kommt eine Kulturhauptstadt – das heißt eine kleine Schar von Männern – mit ihren sündteuren Blasbälgen vorbei. Die Männer bzw. ihre weisungsgebundenen Handlangerinnen – das heißt vor allem viele Frauen – pumpen Luft in höchst unterschiedlichen Mengen und Temperaturen hinein. Dies führte über kurz oder lang zu vier veränderten Stadterscheinungsformen: 1. An den willkürlich gebahnten Blasbalganschlussstellen, an denen eigentlich keine Ventile vorhanden sind und daher auch nicht sachgemäß angeschlossen werden konnte, wurde die Außenhaut oft derart verletzt, dass den vorhandenen Stadtausformungen einfach oft nichts andres übrig blieb, als in sich zusammenzusacken. – Und dies trotz festem und entgegenwirkendem Treten der stadteigenen Kalkanten. 2. An Blasbalganschlussstellen, die dafür vorgesehen sind und in die behutsam, achtsam und mit gegebener Sensibilität Luft geblasen wurde, erblühten die Stadtluftteile oft mit neuer Kraft. Falten konnten ausgebügelt werden. 3. An Blasbalganschlussstellen, die dafür vorgesehen sind, aber an denen rücksichtslos viel zu viel Luft gepumpt wurde, ist die Stadthaut oft knapp an ihre Belastbarkeitsgrenzen oder auch weit darüber gebracht worden. Was zur Folge hat, dass an manchen Stellen die Haut, auch weil dabei sehr heiße Luft verwendet wurde, sehr dünn geworden ist und daher immer noch Durchbrüche zu befürchten sind. An wieder anderen Stellen sind diese Durchbrüche bereits passiert. – Die Revulkanisierungsdauer dieser ist noch völlig unabschätzbar. 4. An Blasbalganschlussstellen, die dafür vorgesehen sind, aber an denen mit viel Geschick viel zu viel Luft gepumpt wurde, sind oft einige Stadtausformungen zu Tage getreten, von denen man bisher nicht einmal zu träumen gewagt hat. Fazit: Kulturhauptstädte sind Luftschlösser, denen Südflügel wachsen können.
Norbert Traweeg ist spielender, lehrender und schreibender Musiker. www.traweeg.at