Gedanken von Lars Göhring zum Medienprojekt DORF, nicht zum Selbstbeschäftigungsprojekt der Immergleichen zu werden.
Bekannt ist: TV macht Kinder dumm, unkonzentriert und aggressiv. Jugendliche werden durch faschistoide Zurichtungsprogramme zu geklonten, bulimischen Supermodel-Singsternchen-Abziehbildern, für die gelangweilten Hausfrauen gibt es Streitsendungen, Kochsendungen, Einrichtungssendungen und Einkaufsfernsehen, nachts erschießen Kommissarinnen und Terroristinnen sich gegenseitig, unterbrochen von nackten Frauen, welche Lieder singen, die nur aus Zahlen bestehen. Die öffentlich-rechtlich bezahlten Programme eifern den werbefinanzierten Privaten in punkto Unsinn, Schlichtheit und Volksbelustigung gehetzt nach und erfinden als Messlatte für Qualität die Quote, denn Milliarden Fliegen können nicht irren.
Attestierte Vilem Flusser den Massenmedien namens Radio und Fernsehen eine totalitäre Tendenz, die aufgrund des Missverhältnisses von Empfängern und Sender und der Ein-Gerichtetheit des Informationsflusses entsteht, geißelte Adorno bereits 40 Jahre früher die Massenkultur als Verflachung der Kulturleistungen des Menschen. Der Aufklärung verpflichtete Essayisten wie Neil Postman sehen im TV eine echte Gefahr für die zwischenmenschliche Kommunikation, für die Erziehung und letztlich für die Demokratie. Marshall McLuhan negiert bekanntlich das TV als Inhaltsträger an sich, das Medium reproduziert und präsentiert sich selbst, nachzusehen in beliebig vielen Talksendungen mit sogenannten Prominenten aus Vorabendserien, Boulevardmoderatorinnen oder anderen, vom TV geborenen Aufmerksamkeitsverwerterinnen. In dieses intellektuellenfeindliche, undifferenzierende und auf den kleinsten gemeinsamen Nenner egalisierende Medium stürzt sich nun auch eine oberösterreichische Kulturproduzentengruppe. Wie soll das gutgehen? In einer Zeit, da mobile, zeitunabhängige Inhalte via Podcasts, Videoportalen, Blogs und sich ständig neu generierenden Darbietungs- und Vermittlungsformen mittels des Internets zur Verfügung stehen, soll eine Steinzeitform der Inhaltsverbreitung Trägerin des kulturellen Anders-Seins werden? Denn das müsste der Mindestanspruch sein: Eine Andere Sicht, eine Andere Welt, eine Andere Kultur als die des massenmedial Vermittelten zu überbringen, anzubieten und Allen zugänglich zu machen, auch jenen, die sonst die elitären Schwellen der Museen, Galerien, Clubs nicht überwinden können. Die Akteurinnen sind erfahren im Radio-Machen. Sie sind alte Häsinnen im Kulturbereich und in der regionalen Vernetzung, sie führen die Rede der »Gegenöffentlichkeit« im Munde; sie scheinen gut vorbereitet. Doch es ist eine große Schwierigkeit, einerseits ein Adabei-TV der »freien« Szene a la LT1 zu verhindern oder andererseits ein Nischen-TV für Nischen-Menschen zu basteln oder einen zusammenhanglosen, thematischen Flickenteppich zu vermeiden. Offene Kanäle in anderen Städten zeigen sich oft als lieblos produzierte Aneinanderreihungen von 14-jährigen Rapperinnen, religiösen Fundamentalistinnen oder redundanten Sportsendungen, welche unvermittelt aufeinander folgen. Das soll evtl. die »collagenhafte Vielfalt unserer Kultur« darstellen, in Wirklichkeit ist es ein zusammengewürfelter Haufen von Scheininformation und Fan-to-Fan-Unterhaltung. Das für hiesige Verhältnisse mit füllhornartig üppigem Budget ausgestattete Medienprojekt DORF-TV sollte kein Selbstbeschäftigungsprojekt der Immergleichen sein, sondern sollte viel wollen, können und leisten: In der durch Besitz- und Meinungs-Oligopole geprägten oö. Medienlandschaft benötigen wir eine hochpolitische, d.h. am Gemeinwesen orientierte Berichterstattung zu regionaler und lokaler Verwaltung, zur beherrschenden Industrie und Finanzwirtschaft, zu Stadtentwicklung, Verkehr und ergänzend auch zur Kultur. Dabei sollten neben der umfassenden Faktendarstellung die Stimmen der jeweiligen Opposition gleich laut zu hören sein, sollten Themen abseits der Tagespolitik Gehör finden, sollte ein investigativer Zugang verpflichtend sein. Der übliche, alles zukleisternde Konsensdrang und die allgegenwärtige duckmäuserische Konfliktangst wären das Todesurteil für ein ambitioniertes Medienprojekt dieser Art. Infrastrukturell muss die maximale Vernetzung aus TV, Radio, Internet, mobilen Formaten, Feedbackmöglichkeiten und tatsächlicher menschlicher Präsenz durchgesetzt werden. Zudem muss die Struktur niederschwellig, transparent und unabhängig gehalten werden. Im Formalen lässt ein offener TV-Kanal auch mehr Freiheiten zu, Video- und Medienkunst sollte einen Einfluss auf die Vermittlung bekommen. Die Erfahrungen der Akteurinnen sowie die bekannten Institutionen in Linz wären hierfür produktiv zu nutzen. Es bleibt der Spagat zwischen erreichbaren Zuschauerinnen einerseits und der Freiheit des Inhalts und der Form andererseits sowie als dritter Problempunkt die Struktur des Mediums selbst. Hier Antworten jenseits der ausgetretenen Pfade zu finden, auch aus den Problemen mit den Radioformaten zu lernen, ist dringend geboten und stellt eine anspruchsvolle Aufgabe für die Verantwortlichen dar.
Lars Göhring, geb. 1976 in Gera (D), Architekt, Raketenforscher und Musikfreundin