Andi Wahl über winterliche Traditionen im Salzkammergut, wo Frauen nichts verloren haben. Scheinbar.
Die Menschen aus Ebensee stehen im Ruf, ein besonders lauter und mitunter derber Menschenschlag zu sein. Das ist natürlich genau so falsch und richtig wie alle Stereotype, die über Menschengruppen kursieren.
Das Stereotyp wirkt auf jene zurück, über die es verbreitet wird. Auf jeden Fall können Auseinandersetzungen in Ebensee eine Heftigkeit entwickeln, die andernorts bereits als bedrohlich empfunden würde. Einen Anlassfall für eine solche Auseinandersetzung liefert derzeit das Innovationstopfprojekt des Frauenforum Salzkammergut. Das seit 1988 bestehende Frauenforum hat sich nämlich zur Aufgabe gestellt, den traditionellen Glöcklerlauf beim nächsten Mal um eine »Pass« (so nennt man eine teilnehmende GlöcklerInnengruppe) zu bereichern. Der Umstand, dass dies eine reine Frauenpass sein soll, lässt manche Gemüter in Ebensee hochkochen.
Die Tradition der Glöcklerläufe
im Salzkammergut reicht etwa 150 Jahre zurück. Als ein aktiv betriebenes und gelebtes Brauchtum waren die Glöcklerläufe immer wieder starken Veränderungen und Anpassungen ausgesetzt. So kann man in einschlägigen Publikationen nachlesen, dass sich dieser Brauch aus Versatzstücken mehrerer Brauchtümer zusammensetzt, und die heute charakteristischen Kappen um 1900 eine ältere Form des Brauches verdrängten. Zudem waren die Kappen früher bedeutend kleiner und leichter. Heute stellt sich dieser Brauch so dar, dass am Abend des 5. Jänners (letzte Raunacht) mehrere Gruppen (Passen) mit aufwändig gestalteten auf dem Kopf getragenen »Kappen « durch den Ort ziehen. Diese Kappen bestehen aus einem Holzgerüst, um das eine Papierummantelung gespannt ist. Die immer wieder neuen und auf aktuelle Anlässe bezugnehmenden Motive werden aus Tonpapier geschnitten oder gestanzt, mit halbtransparentem farbigem Papier hinterlegt und von innen mittels Kerzen beleuchtet. Solch eine Kappe kann eine Dimension von 2 mal 3 Metern und ein Gewicht von 15 Kilogramm erreichen. Die namensgebende Glocke wird von jeder Kappe um die Taille getragen. Um eine »Pass« vollständig zu machen, braucht es auch noch eine Person, die den Kappen den Weg weist, eine, die erlöschte Kerzen wieder anzündet und einige Personen, die von den Zuschauern Geld für ihre »Pass« erbitten.
Frauen
spielen bei der Herstellung der Kappen seit jeher eine bedeutende Rolle. Die Funktion des Kappentragens blieb ihnen in Ebensee aber bisher verwehrt. Ein Sinnbild der Unsichtbarkeitsmachung von Frauenarbeit, wie man es wohl treffender nicht erfinden könnte. Diesem Umstand will das Frauenforum Salzkammergut nun mit einer eigenen Frauen-Pass begegnen. Die Motive der Kappen sollen auf Frauenleben bezug nehmen. Dieses einfach nachvollziehbare Vorhaben hat allerdings in Ebensee einigen Aufruhr erzeugt, und einige Passen kündigten im ersten Eifer sogar an, in der Zeit, in der die Frauenpass unterwegs sei, nicht mitlaufen zu wollen. Nach längeren Diskussionen, die unter anderem in der lokalen Presse geführt wurden, hat sich der Wind aber gedreht. Viele Menschen unterstützten die Idee einer eigenen Frauen-Pass und selbst eingefleischte Traditionalisten mussten eingestehen, dass Frauen als »Kappen« eigentlich kein Skandal sind.
Der Skandal ist das Geld
aus dem KUPF-Innovationstopf, das die Frauen für ihre Pass bekommen, ist nun immer öfter zu hören. Tradition, so heißt es, lebt von der Ehrenamtlichkeit aller Mitwirkenden. Wer dafür Geld kassiert, zerstört eigentlich die Tradition. Abgesehen davon, dass dieses Argument stark in Verdacht steht, ein vorgeschobenes zu sein (weil man mit dem, dass Kappentragen reine Männersache sei, Schiffbruch erlitt) stellt das Land Oberösterreich jährlich viel Geld für Traditionskultur zur Verfügung. Dennoch erweist sich das Geldargument als durchaus mächtig und verhindert mitunter eine breitere Solidarisierung mit dem Frauenforum Salzkammergut in der aktuellen Auseinandersetzung. Weshalb wohlmeinende Stimmen dem Frauenforum raten transparent zu machen, wieviel Geld von den 10.811,- Euro für die begleitende Aufklärungsarbeit verwandt wird. Etwa unter dem Motto: Wenn wir euch nicht ständig aufklären müssten, könnten wir uns viel Geld und Arbeit ersparen.
Andi Wahl verlegt zur Zeit einen Estrich im Badezimmer.
Wer liebt die Heimat mehr? In der aktuellen Auseinandersetzung um die geplante Frauen-Pass in Ebensee stehen sich auch zwei Konstruktionen von »Heimatliebe« gegenüber. Die eine Seite will allem Anschein nach in Zeiten der Globalisierung die Unverwechselbarkeit des Ortes Ebensee bewahren und meint, dies am besten durch das Festhalten an Gewohnheiten und Sitten erreichen zu können. Die andere Seite wiederum meint, der Heimat am besten dadurch dienen zu können, dass sie die Heimat selbst immer wieder verbessert. Sie sieht sich selbst wohl als VertreterIn des »fortschrittlichen Ebensee«. Das Frauenforum Salzkammergut ist wohl in dieser zweiten Gruppe fest verankert. Zumindest drängte sich mir dieser Schluss auf, als mich die Geschäftsführerin des Frauenforums nach einem langen, langen Telefongespräch nochmals anrief und mir auftrug, ich sollte doch unbedingt in meinem Artikel schreiben, dass die Frauen des Frauenforums den Brauch des Glöcklerlaufens schätzen und lieben und dieser Brauch für sie identitätsstiftend sei. Das habe ich hiermit gemacht. Auch wenn dieses Statement auf mich reichlich bizarr, ja exotisch wirkt.