WIR

Wer sind wir denn überhaupt, wir, die wir Kulturhauptstadt sind? fragt Norbert Trawöger.

Nun sind wir Kulturhauptstadt und gleich zu Beginn beinahe »Opfer unseres eigenen Erfolgs geworden«, wie es Martin Heller so trefflich formulierte, nachdem 130.000 von uns (schon wieder die kulturhauptstadtheilige Zahl hundertdreissig – siehe Odyssee in KupfZeitung 126/2008) bei den eröffnenden Rutschfeierlichkeiten einfach zu viel des zu Erwartenden gewesen sind. »Der Erfolg liegt im Erfolghaben, nicht darin, dass man die Vorraussetzung zum Erfolg besitzt.«, heißt es im »Buch der Unruhe« von Fernando Pessoa, das auch Grundlage für die erste und wirklich fein durchtriebene 09 Musiktheaterproduktion war. Aber die Betrachtung über Erfolg oder Misserfolg der Kulturhauptstadt wird spätestens 2010 höchst unterschiedlich erfolgen und deren Folgen sind sicher nicht von den Erfolgreichen zu tragen. Vielleicht von uns.

Wer sind wir denn überhaupt, wir, die wir Kulturhauptstadt sind?

Wir, die wir uns überschätzen? Oder – Wir, die wir so heftig in der Weltwirtschaftskrise stecken? Wir, die wir nicht mehr überall und sonst wo rauchen dürfen? Wir, die wir einen neuen amerikanischen Präsidenten haben? Wir, die wir mehr Bewusstsein für unsere akustische Umgebung erobern dürfen? (Wenn auch nicht gleich bei den Rutschfeierlichkeiten, da war noch einmal hemmungslose Zwangsbeschallung gefragt.) Wir, die wir erfolgreich Opfer unseres Erfolgs werden? Oder wir, die wir einfach wir sind?

Es etabliert sich ein »neues« Wir-Gefühl. Der Einzelne erspart sich so vieles, fast alles, wie eigene Entscheidungen, Fragen, Gedanken, Überlegungen, Meinungen oder Gefühle….. Das kollektive Wir-Gedächtnis (Intendanten, Politiker, Bischöfe oder andere VerWIRrer) sagt uns, wo es erfolgreich lang und leise geht. Was gut und nicht gesund ist?

»… das Recht zu leben und zu triumphieren erwirbt man heute fast durch die gleichen Verfahren, mit denen man die Einweisung in ein Irrenhaus erreicht: die Unfähigkeit zu denken, die Unmoral und die Übererregtheit. «, schreibt Pessoa (oder eine seiner Parallelidentitäten) in seiner losen Fragmentesammlung der Unruhe.

Welche Wahl bleibt uns noch, außer der im Herbst kommenden? (Haben wird dabei wirklich eine?) Oder sind wir längst nur mehr wir, Schallrauchkulturhauptstadtwirtschaftserfolgsopfer?

norbert traweeg ist spielender, lehrender und schreibender musiker. http://www.traweeg.at