Gedanken zur Arbeit in Kulturinitiativen und dessen Gründungen macht sich Martin Böhm
»Ich meine, dass alles schon passiert ist. Zukunft ist schon angekommen, alles ist schon angekommen, alles ist schon da. Es lohnt sich nicht, zu träumen oder irgendeine Utopie der Umwälzung oder der Revolution zu nähren. Es ist alles schon umgewälzt. Ich meine, alles hat schon seinen Ort verloren. Alles hat Sinn und Ordnung verloren. Es ist keine Übertreibung, wenn wir sagen, alles sei schon eingetreten.« Baudrillard
Dieser Satz von der Gruppe Tocotronic war oft vielleicht eines von vielen Motiven, warum sich (meist) junge Leute entschlossen, Kulturarbeit zu betreiben und ihre eigene Initiative zu gründen, fernab vom Establishment und der kompakten Majorität, wie dies Rolf Schwendner bereits 1971 in seiner »Theorie der Subkultur« formulierte, in der er Kulturinitiativen als progressive Subkulturen, also solche, die den Zustand der Gesellschaft verändern, vorantreiben und einen Neuen herstellen wollen, bezeichnete, während er Gruppierungen, die sich nach Ver gangenem sehnen, als regressiv titulierte. Nun, dies ist mittlerweile ein alter Hut und manchen schon seit dem Populär-Werden der Theorie bekannt.
Vor den Spießern auf der Flucht zu sein, oder den gesellschaftlichen Zustand vorantreiben zu wollen, mögen u.U. gute Motive für die Gründung einer Kulturinitiative und die (meist) nachfolgenden ehrenamtlichen (um nicht von Ausbeutung sprechen zu müssen oder davon, dass Kulturarbeit kein Honiglecken ist oder wie auch immer) Tätigkeiten sein, jedoch sind sie nicht die Einzigen. So definiert jedes Urgestein für sich selbst die Motivationslage, sei es um sich von der Konformität durch das »Bewusstsein der Differenz« (Horkheimer) zu unterscheiden oder gegen die »Diktatur der Angepassten« (Blumfeld) ein klares Statement zu setzen. Denn will man sich wirklich jeden Scheiß (auch nüchtern) reinziehen und tradierte Modelle der Mehrheit widerstandslos in Anspruch nehmen? Natürlich nicht!! Und so versucht man sich eben mit der Gründung einer Kulturinitiative sein kulturelles Umfeld selbst zu gestalten, um nicht auf die etablierte Kultur angewiesen sein zu müssen. Aus einer anderen Perspektive könnte argumentiert werden, dass überall dort, wo es Macht gibt, es auch zu Widerstand kommt und diese Konfrontationen mit der Gegenmacht die reproduzierende Gesellschaft zur dynamischen verändert und so waren (sind) viele Kulturinitiativen notwendig und wichtig, um Sichtweisen zu verändern, Entwicklungen kritisch zu hinterfragen, Grenzen zu sprengen und mehr als das Bekannte zu bringen. Hier könnte einem sofort der Vergleich mit einem Indielabel, das fast jedes Majorlabel betreibt, um die Hit Band (od. sagt man Top Ten Band?) von morgen aufzuspüren, in den Sinn kommen – muss aber nicht – , denn wer hat nicht schon Bands in einer Kulturinitiative, die morgen zum Star wurden und mittlerweile für den kleinen Verein finanziell nicht mehr leistbar sind, gesehen?
Mittlerweile sind aber einige Kulturvereine beträchtlich in die Jahre gekommen und mit ihnen die AktivistInnen. So manchen plagen Rückenschmerzen (wahrscheinlich nicht nur, aber auch vom Schleppen der PA und der Bühnenelemente) bzw. dürften einige ihren athletischen Körper, den sie sich vielleicht als frühere »Sportfreizeitprofis« antrainierten, im Laufe der kulturellen Tätigkeiten eingebüßt haben und auch widerständiges (falls jemals vorhanden) dürfte unter der Doktrin »mehr Privat, weniger Staat« und der damit verbundenen Konsequenz zur Rentabilität und der verstärkten massenkompatiblen Vermarktung und Kommerzialisierung der Angebote, verschwunden sein. Was laut dem Soziologen Gerhard Schulze zu dem Motto »Gut ist, was gut läuft« führt, und dies dürfte nicht mehr nur für staatliche und private Institutionen gelten, denn der interessierte Kultursüchtige wird diese Tendenz auch des öfteren bei Kulturinitiativen des dritten Sektors wahrgenommen und Alternatives vermisst haben. Von den einstigen Motiven, die für bürgerschaftliches Engagement von Jugendlichen verantwortlich sind und die Keupp, Kraus und Straus (2000) mit dem Lohn, der persönlichen Nähe, Spaß, Lebensfreude, Humor und Lockerheit des Engagements, sowie dessen Sichtbarkeit und wohltuenden Wirkung für das Ego benennen, haben sich wahrscheinlich ebenso einige verändert und an Wichtigkeit verloren (ev. auch gewonnen?), und so manche Vereine sind vielleicht schon des »erfolgreichen Scheiterns als Überlebensstragie« 6 müde. 7 Vielleicht wird es ja auch immer beschwerlicher in einer Gesellschaft, in der Zusehen zu einer Variante des Wegsehens wird und die staunende Anteilnahme am Spektakel eine Form der Ignoranz ist, alternative Kulturarbeit zu betreiben. Nicht mehr die bunte Vielfalt steht nebeneinander und ideologische Kämpfe werden ausgefochten, sondern es existiert eine Zitadellenkultur, in der es nur mehr konkurrierende Angebote und keine Fronten mehr gibt oder anders gesagt: Probleme lassen sich nicht lösen, sondern können nur ausgedrückt, erörtert und ertragen werden. 8 Natürlich wäre es eine schulmeisterliche Anmaßung, »das Recht auf Unterhaltung zu bestreiten und eine widerwillige Bevölkerung mit Kultur vollzustopfen. … Dennoch tut Unterhaltung objektiv denen Unrecht, denen sie wider- fährt und die subjektiv danach begehren … Den in Waren verwandelten Kulturgütern wird das Leben ausgetrieben.« 9
Ein weiteres Motiv für die Gründung und die Mitarbeit in einer Kulturinitiative könnte vielleicht mit dem Buchtitel von Andreas Kumps »Es muss was geben – die Anfänge der alternativen Musikszene in Linz« beschrieben werden, denn es muss ja doch! irgendwas geben in der Diktatur der Angepassten, die Nonkonformisten und Abweichende ausschließt, da sie den Schein der Individualität und des nonkonformistischen vortäuscht. So fördert die herrschende demokratische Kultur Heteronomie »unter der Maske der Autonomie, hemmt die Entwicklung der Bedürfnisse unter der Maske der Beförderung und beschränkt Denken und Erfahrung unter dem Vorwand, sie überall zu erweitern und weithin auszudehnen. … Freiheit selbst wirkt als Vehikel von Anpassung und Beschränkung.« 10 Dem Bedürfnis, dass es fernab etwas geben muss, steht ein vitales Bedürfnis nach einem Wandel voraus, ebenso der Wunsch nach Alternativen und die Erfahrung unerträglicher Verhältnisse. Laut Marcuse werden diese Erfahrung und dieses Bedürfnis in der etablierten Kultur daran gehindert, sich zu entwickeln. Hierfür wäre eine Herstellung von Zuständen, in denen die unendlichen Fähigkeiten der Menschen nicht mehr gehemmt, sondern sich in voller Freiheit zum Wohle der Gesellschaft entwickeln könnten, wünschenswert. 11 Ein interessantes Modell lieferte bereits im Jahr 2000 der Soziologe Ulrich Beck, der bezahlte Bürgerarbeit als die Seele der Demokratie erkennt und diese mit: doing democracy tituliert. (Auch könnte von Schumpeters Begriff der »schöpferischen Ungehorsamkeit« gesprochen werden.) Beck spricht davon, Bürgerarbeit anstatt Arbeitslosigkeit zu finanzieren, da in einer globalisierten Welt die bezahlte Arbeit von der Wirtschaft immer weniger nachgefragt wird und eine Verzahnung von Bürgerarbeit und Erwerbsarbeit eine Reduktion der Arbeitslosigkeit zur Folge hätte bzw. ein wichtiger Beitrag für gelebte Demokratie wäre. Nicht das Engagement, sondern der infrastrukturelle Rahmen soll bezahlt werden und die Belohnung soll immaterial und materiell erfolgen. 12 Vielleicht kann das ein Modell sein, um nicht dem Grundprinzip der Spaßgesellschaft: »Je ernster die Lage, umso dümmer muss der Witz sein, damit es lustig zugeht.« 13 zu verfallen und Alternativen gegenüber dem Mainstream nicht nur zuzulassen, sondern auch aktiv zu fördern. Und nur um Missverständnissen vorzubeugen, sei erwähnt, dass dieses Modell nichts mit einer vernünftigen und fairen anstatt prekären Entlohnung der im Kulturbereich Tätigen, die schon lange ansteht, zu tun hat und des weiteren auch nichts mit dem Verschwinden der sozialen Absicherungen, die durch die atypischen Beschäftigungsverhältnisse und damit verbundenen Dienstverträge entstehen.
Mag sein, dass einige der oben angeführten Gründe und Motive vielleicht auch den Kulturvereinen Jazzatelier Ulrichsberg (35 Jahre), Altes Kino St. Florian und Gallnsteine (20 Jahre), Zuckerfabrik (15 Jahre), FIFTITU%, Social Impact, Radio Fro und KV Woast, (jew. 10 Jahre) bekannt vorkommen mögen, wenn sie anlässlich ihres Geburtstages über getane Arbeit und alternative Kulturarbeit vor Ort resümieren….
Jedenfalls Gratulation zur vitalen Alterung und mit den Worten Brechts »Barbarische Belustigungen! Wir wissen, dass die Barbaren eine Kunst haben. Machen wir eine andere!« 14 hoffen wir auf die nächsten gelungenen Jahre!
1 detaillierte Ausführungen hierzu unter: Schwendtner, R. (1993): Theorie der Subkultur. 2,8,14 vgl. Behrens R. (2003): Die Diktatur der Angepassten. S. 16, 54, 149. 3 vgl. Hechler D. / Philipps A. (2008): Widerstand denken – Michel Foucault und die Grenzen der Macht. S. 7. 4 vgl. Lewitzky U. (2005): Kunst für alle? – Kunst im öffentlichen Raum zwischen Partizipation, Intervention und Neuer Urbanität. S. 18. 5 vgl. Keupp H./Kraus W./Straus F. (2000): Civics matters: Motive, Hemmnisse und Fördermöglichkeiten bürgerschaftlichen Engagements. In: Beck U. (Hg.): Die Zukunft von Arbeit und Demokratie. S. 238ff. 6 Dieser Begriff beinhaltet die These, dass Kulturinitiativen zwar ihre Aufgabe als „erfolgreich scheiternde Organisationen“ erfüllen und als Vereine des dritten Sektors überleben, aber nicht obwohl, sondern weil sie, gemessen an den Maßstäben der Effizienz und Rechtmäßigkeit, versagen, d.h. sie weisen eine begrenzte Responsivität und Lernmäßigkeit auf. 7 vgl. Szirota H. (1996): Organisationsentwicklung und Kulturinitiativen. In: IG Kultur Österreich/ Raunig G. (Hg.): Relevanz und gesellschaftliche Funktionen freier Kulturarbeit. S. 173. 9-11,13 Behrens R.: S. 180, 161, 161, 215. 12 vgl. Beck U. (2000): Die Seele der Demokratie: Bezahlte Bürgerarbeit. In: Beck U. (Hg.): Die Zukunft von Arbeit und Demokratie. S. 416, 433ff.
Martin Böhm studiert Soziologie, ist Mitbegründer des KV Woast, im Vorstand der KUPF – Kulturplattform OÖ und Aktivist bei qujOchÖ– experimentelle Kunst- und Kulturarbeit.