Das Wunder von Schwanenstadt

Sylvia Nagl über Hartgesottene, unerbittliche und gnadenlose Kämpferinnen und Kämpfer im Kinodschungel.

 

Ein Jahr nach der Eröffnung eines 10 km entfernten Großkinos wurden die Lichtspiele Schwanenstadt Ende 2005 geschlossen. Auch der dort beheimatete Filmclub Schwanenstadt verlor somit seine etablierte Spielstätte und wurde obdachlos. Erst nach fast zwei Jahren Betriebssperre ist es den unermüdlichen Filmclub-MacherInnen gelungen, im September letzten Jahres den Kinobetrieb mit Unterstützung durch das Land Oberösterreich, die Gemeinde und private SponsorInnen wieder aufzunehmen und einmal wöchentlich Filme zu zeigen.

Die Wiederöffnung mit dem preisgekrönten Episodenilm »Babel« am 21. September 2007 war ein voller Erfolg: 100 BesucherInnen mussten aus Platzmangel auf einen Alternativtermin vertröstet werden. Allein im ersten Halbjahr 2007/08 konnten rund 5.000 Menschen für cineastische Feinkost begeistert werden. Ein Zuspruch, der die Zeit dazwischen vergessen lässt. »Die Resonanz in der Stadt ist unerwartet hoch, teils überschwänglich«, meint Filmclub-Urgestein Heinz Müller. Wie wichtig das traditionsreiche Kino für die Identität der Kleinstadt ist, zeigt auch ein Blick auf die Liste der SponsorInnen, hier findet sich beinahe ein repräsentativer Querschnitt der Schwanenstädter Bevölkerung wieder, von den Goldhaubenfrauen bis zum Architekturbüro.

15 Menschen führen derzeit aktiv fort, was 1979 mit Sidney Lumets Spielilmdebüt »Die zwölf Geschworenen« (1957) begann. Zehn ehrenamtliche MitarbeiterInnen im »Erwachsenenfilmclub« und fünf im »Kinderfilmclub« suchen basisdemokratisch aus, was an Schwanenstadt filmkulturell nicht vorübergehen darf. Dass die Filmclub-Crew kein abgehobenes Auswahlgremium ist, zeigt der schöne Usus, dass das Publikum nach dem Film die Möglichkeit hat, im Schulnotensystem seine Wertung abzugeben. Was natürlich bei der Filmauswahl hilft, aber nicht bedeutet, dass hier nur nach dem Geschmacksdurchschnitt programmiert wird.

Auf Publikumswünsche reagiert man trotzdem spontan, so konnte eine Turnerinnen-Gruppe sogar die Verschiebung der üblichen Beginnzeit erwirken. Nach einer Urabstimmung der BesucherInnen im Kinosaal starten die Abendvorstellungen jetzt immer montags um 20:15 Uhr. Einmal im Monat findet am Samstagnachmittag »Kino für junge Leute« statt, das die Glotze vergessen lassen soll – auch dieses filmbildnerische Engagement hat eine lange Tradition, denn schon sehr früh stand diese bemerkenswerte Facette regelmäßig auf dem Spielplan. Die Ideen für die Zukunft gehen den SchwanenstädterInnen nicht aus: die nächste programmatische Ausbaustufe soll sich an Jugendliche zwischen 13 und 18 Jahren richten.

Inspiration holt man sich nicht nur in nächster Nähe. Nach dem Besuch des Filmfestivals Locarno, wo täglich auf der Piazza Grande eine beeindruckende Open-Air-Vorstellung geboten wird, wagte man 1988 als erster Filmclub in Österreich eine Freiluftveranstaltung von Mel Brooks’ »Silent Movie« im Sparkassenpark. Was als Experiment gedacht war, wuchs sich zu Happenings mit bis zu 450 Besuchern aus. Und was in Locarno die Piazza Grande ist, ist in Schwanenstadt der Stadtplatz, der jetzt alle Jahre wieder in der warmen Jahrzeit bespielt wird.

Auf Nachfragen erfährt man das hinter allem liegende Erfolgsrezept der FilmclubberInnen: kämpfen, kämpfen, kämpfen. Der Kulturbereich erscheint als Experimentierfeld des Darwinismus, der die Hartgesottenen am Leben lässt. Heinz Müller zieht den Vergleich mit einem in die Jahre gekommenen Kinohelden, der ebenfalls gerade sein Comeback erlebt hat: Rambo – und meint, der sei dagegen ein »Lärcherlschas«.Wunder gibt es immer wieder. Und vielleicht kommt der Tag, an dem das »Modell Schwanenstadt« Schule macht. Dieser Glücksfall zeigt jedenfalls, dass es Wert hat, gewachsene Strukturen zu erhalten, die so viel für ihre jeweiligen Orte und deren Identität leisten. Eine kulturelle Identität, die kein Shoppingcenter oder Unterhaltungstempel auf der grünen Wiese stiften kann. Das müssen noch viele begreifen, zuerst aber die politisch Verantwortlichen in den Gemeinden und darüber hinaus. Denn auch die Revitalisierung des Kinos in Schwanenstadt ist nicht zuletzt einem Gesinnungswandel der Gemeindepolitik zu verdanken. Es bleibt nur zu hoffen, dass Entscheidungen in Zukunft schneller getroffen werden, damit die KulturveranstalterInnen ihre Kampfanzüge wieder ausziehen und sich auf ihre ursprünglichen Interessen konzentrieren können.

Wer seine alte Kinoleidenschaft wieder neu entflammen will, kann unter www.filmclub.schwanenstadt.at den Newsletter bestellen. Demnächst laufen unter anderem Wes Andersons Darjeeling Limited, Maria Schraders Liebesleben und der Oscar-Abräumer No Country for Old Men.

Sylvia Nagl, Kinoliebhaberin und Autorin der Studie »Cinema Paradiso: Eine kultursoziologische Studie über die KinobesucherInnen abseits der großen Städte« (2003)